Lärmaktionsplan in Berlin: Der Sound der Stadt

Noch bis Mittwoch können Hinweise für den Berliner Lärmaktionsplan eingereicht werden

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Dreckig und sauber, reich und arm: Berlin kann manchmal sehr gegensätzlich sein. Das gilt auch für die Lautstärke. Im Tiergarten hört sich die Stadt dann doch anders an als auf der Sonnenallee. Mit dem eigenen Hör- und Belastungsempfinden können Berliner sich noch bis Mittwoch online an der Erstellung einer Lärm-Übersicht beteiligen. Dort können sie eintragen, wo ihrer Erfahrung nach der Verkehr auffällig laut ist und zugleich auch, wo sich die persönlichen städtischen Ruhe- und Erholungsräume befinden.

Nach der Auswertung, welche Straßen am häufigsten als Problem identifiziert wurden, sollen die Ergebnisse der Beteiligung dann in die Erstellung eines Lärmaktionsplans für die Jahre 2024 bis 2029 einfließen. »Der Lärm in der Großstadt kann für viele Menschen Stress und gesundheitliche Belastungen bedeuten«, sagte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) zum Start der Online-Beteiligung.

Die Berliner seien aufgerufen, zu zeigen, wo es weiteren Handlungsbedarf gebe. Angeben lässt sich dabei nicht nur, wo es laut ist, sondern auch, ob der Lärm beispielsweise von schnell anfahrenden Autos oder lauter Musik kommt und ob er am Tag oder auch in der Nacht auftritt. Schon Lautstärken ab 60 Dezibel können das Gehör beeinträchtigen, sie sorgen dauerhaft für Stress und können Erkrankungen nach sich ziehen. Anders als bei der Schadstoffbelastung ergibt sich daraus aber kein einklagbarer Anspruch. Im Innenstadtbereich und vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg ist bisher die größte Beteiligung zu verzeichnen.

Erstmals 2008 hat es auf Grundlage einer EU-Richtlinie solch einen Lärmaktionsplan gegeben. Bei der Aufstellung des vergangenen Plans von 2019 bis 2023 tat sich die Friedrich-Engels-Straße in Pankow als negativer Spitzenreiter hervor. Viele Anwohner beschwerten sich über den Lärm des Verkehrs auf der Einfallstraße mit kaputtem Pflaster. Auf eine Sanierung müssen sie voraussichtlich noch Jahre warten.

Dafür ist bei der zweitplatzierten Lärmquelle aus dem vergangenen Jahr Besserung in Sicht. Die Zossener Straße in Kreuzberg dient vielen Autofahrern als Schleichweg neben dem Mehringdamm. Schon lange fordern Anwohner hier ein Durchfahrtsverbot für den motorisierten Individualverkehr. Mit der Einrichtung eines Zwei-Richtungs-Radwegs auf der Bergmannstraße 2021 kann die Zossener Straße nur noch in einer Richtung befahren werden. Die südliche Zossener Straße wird nun außerdem aus dem Hauptstraßenverkehrsnetz herausgenommen. Damit hat der Bezirk mehr Handlungsmöglichkeiten und will diesen Abschnitt in den kommenden Jahren für Autos sperren.

Doch es muss nicht immer eine Sperrung sein, um den Verkehrslärm zu reduzieren. Vielerorts würde Tempo 30 reichen, um spürbare Verbesserungen für Anwohner umzusetzen. Der Lärmaktionsplan 2019 hatte vorgeschrieben, ein Tempo 30 Nacht-Konzept zu erstellen. Daran wird derzeit noch gearbeitet. Teils muss umfangreich geprüft werden, ob das zu Verkehrsverlagerungen oder zum Nachteil des ÖPNV passiert. »Aktuell wird unter anderem evaluiert, welche Maßnahmen – alternativ zu einer nächtlichen Geschwindigkeitsreduktion auf 30 km/h – für Lärmsenkungen an verschiedenen Straßenabschnitten in Betracht gezogen werden können«, informiert die Senatsverkehrsverwaltung.

Martin Schlegel, Mobilitätsexperte des Umweltverbands BUND, ist skeptisch. Verkehrssenatorin Schreiner hätte bisher Skepsis erkennen lassen, Tempo 30 nachts auf Hauptstraßen in dem entsprechend großen Umfang, wie er im Entwurf des Plans vorgesehen ist, umsetzen zu wollen. Derzeit gelte das nur auf rund einem Viertel des 1550 Kilometer langen Hauptstraßennetzes Berlins. »Vor allem nachts brauchen Menschen Erholung, Lärm ist für viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich. Daher darf die Spitze der Verkehrs- und Umweltverwaltung nicht politische Ziele über den Gesundheitsschutz stellen«, sagt Schlegel.

Einem anderen Phänomen kommt man damit alleine nicht bei: Getunte Fahrzeuge und rücksichtsloses Beschleunigen an Ampeln wurden zuletzt immer wieder in der Öffentlichkeitsbeteiligung genannt. Verkehrssenatorin Schreiner hatte im Mai einen Lärmblitzer am Kurfürstendamm eingeweiht. Dieser sollte laute Fahrzeuge im Rahmen eines Forschungsprojekts erfassen, dessen Ergebnisse dann auch in den Lärmaktionsplan einfließen sollen.

Ein Zwischenbericht zeigt: Bis zum 4. Juli wurden bereits 1144 Fahrzeuge erfasst, die einen Vorbeifahrtpegel von 82 Dezibel überschritten. Auffällig ist, dass über die Hälfte der lauten Fahrzeuge Motorräder waren. Für Martin Schlegel vom BUND ist das vor allem »Freizeitlärm«. Die Krankenschwester fahre nicht mit dem Motorrad zur Arbeit. »Viel zu laute Motorräder und SUV gehören aus dem Verkehr gezogen und für die Landeskasse versteigert«, fordert er.

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