»Wer für ›Missy‹ arbeitet, muss finanzielle Abstriche machen können«

Im 15. Jahr seines Bestehens kämpft das »Missy Magazine«, Deutschlands größte queerfeministische Zeitschrift, um seine Existenz

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 5 Min.
»Dass es uns weiterhin auf Papier gibt, hat gute Gründe«, sagt Naira Estevez.
»Dass es uns weiterhin auf Papier gibt, hat gute Gründe«, sagt Naira Estevez.

Seit 2008 gibt es das »Missy Magazine«. Wie grenzt sich »Missy« von anderen Magazinen ab?

Wir sind ein queerfeministisches, sexpositives Magazin, das intersektional ausgerichtet ist. Das heißt, dass wir neben Sexismus auch andere Diskriminierungsformen und deren Verschränkung mitdenken. Die ganzen »-ismen« wie Ableismus (Diskriminierung wegen körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen), Klassismus und Rassismus finden wir hochproblematisch und schreiben dagegen an. Diversität ist inzwischen zwar kein Fremdwort mehr, gleichzeitig erleben wir seit ein paar Jahren einen besorgniserregenden Aufschwung rechter und konservativer Kräfte.

Wie viele andere linke Medien – auch das »nd« – kämpft das »Missy Magazine« derzeit um seine Existenz. Wie kam es zu der finanziellen Schieflage?

Letztes Jahr hat unsere langjährige Stammdruckerei Insolvenz angemeldet, also mussten wir wechseln, was mit höheren Kosten verbunden ist. Die Papierpreise sind über 100 Prozent gestiegen. Auch unser Vertrieb ist dieses Jahr pleite gegangen, weshalb wir auch hier wechseln mussten und jetzt mehr zahlen. Dazu kommen Mietererhöhung, höhere Vertriebs- und Personalkosten und höhere Ausgaben durch die Inflation, die alle betrifft, auch unsere Abonnent*innen.

Interview

Naira Estevez absolvierte 2018 während eines Studiums der Theater- und der Filmwissenschaft ein redaktionelles Praktikum beim »Missy Magazine«, jetzt ist sie dort Assistenz der Geschäftsführung und Redakteurin des Podcasts PISSY sowie freie Autorin. Für die Kulturstiftung des Bundes übersetzte sie zwei Gedichte von Warsan Shire. Zuletzt erschien »Wo kommst du denn her?«, ein Kindersachbuch, das sie gemeinsam mit »Missy«-Mitgründerin Sonja Eismann geschrieben hat.

Ende Juli startete das Team einen Aufruf, dass 1500 »Missy«-Abos benötigt werden, damit die nächste Ausgabe gesichert ist. Innerhalb von 48 Stunden war das Ziel erreicht. Wie war das möglich?

Das war eine absolute Teamleistung seitens unserer Community. Viele, die für »Missy« schreiben, haben eine große Reichweite auf Social Media und unsere Kampagne dort geteilt, was schnell für viel Sichtbarkeit gesorgt hat – dafür sind wir sehr dankbar. Auch haben wir andere Medien angeschrieben und von ihnen Unterstützung und Aufmerksamkeit erfahren. Wir selbst haben viel über Instagram kommuniziert, wo wir rund 84 000 Follower haben. So konnten wir viele unserer Leser*innen direkt ansprechen. Inzwischen versuchen wir, auch Personen zu erreichen, die finanziell bessergestellt sind. Sie können zum Beispiel ein Support-Abo abschließen, das ein bisschen teurer ist als das reguläre Jahres-Abo, oder sie verschenken ein Abo an eine andere Person, die sich keines leisten kann. Eigentlich hatten wir zehn Wochen für die Kampagne angepeilt. Die gewonnene Zeit nutzen wir jetzt, um weiter auf unsere Situation aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es leider nicht selbstverständlich ist, dass es uns gibt.

Anfang August veröffentlichte »Missy« einen Artikel über die weiterhin prekäre Lage mit den Anfangsworten »Happy Birthday – Du bist pleite«. Wo steht das Magazine nun finanziell?

Unsere Auflage liegt bei 30 000 Stück. Das Abo-Geschäft macht dabei den größten und verlässlichsten Teil der Einnahmen aus. Am Kiosk gehen die Verkäufe kontinuierlich zurück. Dank der vielen neuen Abo-Abschlüsse sind wir vorerst über den Berg und können die nächsten ein bis zwei Ausgaben produzieren. Dann müssen wir noch mal schauen, wie sich die Lage entwickelt. Ob die Abo-Zahlen weiter steigen oder mehr Kündigungen reinkommen, aber auch, ob sich die allgemeine wirtschaftliche Lage stabilisiert. Rücklagen haben wir keine, weil wir als kleiner unabhängiger feministischer Verlag seit Anbeginn prekär wirtschaften müssen und auch keine externen Geldgeber*innen haben, die uns den Rücken stärken.

Die »Missy«-Redaktion sowie das Lager der »Missy« befinden sich in einem Dachgeschosszimmer. Wenn alle 20 Teammitglieder zusammenkommen, wird es ganz schön eng. Wie spart oder generiert »Missy« noch Geld?

Wir bekommen alle einen Einheitslohn. Wer für »Missy« arbeitet, muss finanzielle Abstriche machen können. Bei »Missy« arbeiten deshalb alle in Teilzeit, um Zeit zu haben, mit weiteren Jobs Nebeneinkünfte generieren zu können. Außerdem ist »Missy« krisenerprobt: 2019 haben wir beispielsweise ein paar Monate gemeinschaftlich auf einen Teil unserer Gehälter verzichtet, damit »Missy« weiterexistieren konnte. Jetzt haben wir die Abo-Preise an die gestiegenen Ausgaben angepasst, damit wir kein Verlustgeschäft machen. Zurzeit lassen wir uns nur noch auf Kooperationen ein, die sich finanziell für uns lohnen – da waren wir vor der jetzigen Krise flexibler und haben auch mal Projekte gemacht, weil wir einfach Lust darauf hatten und fanden, dass es inhaltlich wichtig und unterstützenswert ist.

Warum gibt es das »Missy Magazine« denn noch als Printmagazin? »Missy« nur online anzubieten, wäre doch viel günstiger.

Dass es uns weiterhin auf Papier gibt, hat gute Gründe. Für »Missy« ist die grafische Gestaltung sehr wichtig, haptisch und visuell hat es im Heft eine ganz andere Wirkung als digital. Durch Leser*innenbefragungen wissen wir, dass das gedruckte Magazin weiterhin gewollt ist. Viele finden es angenehm, nicht noch mehr auf Bildschirme schauen zu müssen, sondern in unseren Heften blättern zu können. Print ist weniger schnelllebig und eine tolle Erfahrung, die nicht einfach ersetzt werden kann.

Printprodukte finanzieren sich vor allem durch Anzeigen. Wie siehts da bei »Missy« aus?

Wir haben durchaus feste Anzeigenpartner*innen aus dem Kunst- und Kulturbereich. Bei Anzeigenbuchungen schauen wir immer, ob die Institution oder die Firma hinsichtlich ihrer Ausrichtung gut zu uns passt, so bleiben wir unabhängig. Es wäre natürlich schön, wenn wir finanzstarke Anzeigenpartner*innen mit sehr großer Reichweite hätten, damit »Missy« noch mal mehr Sichtbarkeit bekommt und höhere Honorare fordern kann. Aber je größer die Firmen sind, desto schwieriger ist es oft, die eigenen antikapitalistischen Ideale mit ihnen in Einklang zu bringen. Das betrifft zum Beispiel den Umgang mit Ressourcen und Arbeiter*innen. Wir setzen daher auf unsere Communities und Allies – auf keinen Fall wollen wir uns ausverkaufen.

15 Jahre besteht das »Missy Magazine« schon. Gratulation, das ist eine lange Zeit. Wie hat es die Zeitschrift so weit geschafft?

Mit viel Kreativität, Eigeninitiative und Durchhaltevermögen. Leider aber auch mit viel Selbstausbeutung derjenigen, die das »Missy Magazine« machen. Unser Verlag hat sich schon immer dazwischen bewegt, eine Firma und gleichzeitig aktivistisch zu sein. Seit ein paar Jahren sind wir dabei, unsere Strukturen sozial nachhaltiger zu gestalten. Zum Beispiel durch Festanstellungen, bessere Honorare und Gehälter und gemeinsame Entscheidungsfindungen. Wir wollen weg von kostenloser Arbeit, auch wenn das nicht immer ganz funktioniert, weil auch wir innerhalb kapitalistischer Zwänge agieren müssen. Dank der treuen Leser*innen, die seit Jahren unser Magazin kaufen, konnten wir überleben. Dank der nun neu gewonnenen Abonnent*innen steigt die Hoffnung, dass es uns noch lange geben wird.

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