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Gedenken an Mouhamed: Wache Nord – Mörder!
1500 Menschen fordern in Dortmund Gerechtigkeit für erschossenen Mouhamed
»Ihr seid Mörder und Faschisten, ihr seid keine Sicherheit!« und »Wache Nord-Mörder« schallt es den Polizist*innen entgegen, die hinter einem Absperrgitter vor der Nordstadwache stehen. Von hier rückten am 8. August 2022 die Polizist*innen aus, die das Leben von Mouhamed Lamine Dramé beendeten. Der 16-jährige aus dem Senegal war im Hof der Jugendhilfeeinrichtung, in der er untergebracht war, mit einer Maschinenpistole getötet worden. Mouhameds einziges Vergehen: seine Verzweifelung. Mit einem Messer kauerte er in dem Hof, Betreuer*innen hatten die Sorge, er könne sich etwas antun. Die Polizei schoss unter fragwürdigen Umständen. Am Jahresende soll der Prozess gegen fünf beteiligte Polizisten beginnen. Einem Beamten droht eine Verurteilung wegen Totschlags.
Dass es überhaupt zu einem Prozess kommen wird, dürfte maßgeblich auch den Aktivitäten des Solidaritätskreises »Justice4Mouhamed« zu verdanken sein. Schon kurz nach der Tat begannen die Aktivist*innen, Öffentlichkeit herzustellen, suchten den Kontakt zu Zeug*innen und bauten den Kontakt zu Mouhameds Familie im Senegal auf. Zu Beginn der Demonstration am vergangenen Samstag wurde eine Botschaft von Verwandten verlesen. Sie beklagten, dass der Prozess noch nicht begonnen habe und es von Seiten der Stadt Dortmund keine Kontaktversuche gegeben habe. Außerdem bedankte sie sich bei den Unterstützer*innen in Deutschland. Eine andere Rednerin beim Auftakt der Demonstration war die abolitionistische Wissenschaftlerin Vanessa E. Thompson. Sie sprach über die Rolle der Polizei im kolonialen Kapitalismus und darüber, dass der herrschende Rassismus immer wieder Tote produziere, ob im Mittelmeer oder in deutschen Polizeiwachen.
Während die Demo am Samstag ohne Zwischenfälle verlief, begann die Woche in Dortmund unruhig. Am Dienstag, Mouhameds Todestag, hatten Aktive des Solidaritätskreises Flugblätter für das Gedenken und die Demonstration auf dem Dortmunder Nordmarkt verteilt. Dabei wurden sie vom Ordnungsamt angegangen. Ein Mensch wurde sogar eine Stunde in Handschellen auf der Wache des Ordnungsamts festgehalten. Die Stadt rechtfertigte das Vorgehen im Nachgang und bezog sich auf die Marktsatzung der Stadt, nach der das Verteilen von Werbung beim Markt verboten ist. Was die Stadt nicht bedachte: es gibt zahlreiche Gerichtsurteile, die den Unterschied von politischer Information und kommerzieller Werbung herausstellen.
Das Vorgehen des Ordnungsamtes sorgte auch in der Stadtpolitik für Diskussionen. Vertreter mehrerer Parteien erklärten, die Marktsatzung überprüfen zu wollen. »Gruppierungen, wie der Solidaritätskreis Mouhamed, die für eine solidarische Veranstaltung für einen getöteten Jungen werben, sollten alle Freiheiten haben dies auch zu tun«, solidarisierte sich der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Partei gegenüber dem lokalen Nordstadtblog. Dort wird sogar ein AfD-Vertreter zitiert, der sich grundsätzlich für die politische Flugblattverteilung ausspricht.
Am Freitag drohte eine Zuspitzung der Situation. Nachdem Menschen aus dem Solidaritätskreis erklärt hatten, dass sie wieder auf den Markt gehen wollen, fuhren dort am Freitagmorgen zahlreiche Streifenwagen auf, bekannte Aktivist*innen wurden von der Polizei angesprochen, auch einzelne Personalienfeststellungen soll es gegeben haben. Eine weitere Konfrontation zwischen Aktivist*innen und Ordnungsbehörden blieb allerdings aus.
Allerdings sind die Vorkommnisse symptomatisch für die Debatte um die Nordstadt. Das Viertel ist migrantisch geprägt, es gibt viel offen sichtbare Armut. Für viele linke Aktivist*innen in erster Linie ein soziales Problem, in dem die Behörden eine rassistische Rolle einnehmen. Für die Polizei sind Teile des Stadtteils Kriminalitätsschwerpunkte. Sie wirkt in ihrem Agieren oft wie von äußeren Einflüssen getrieben. Einerseits gibt man sich bürgernah, antirassistisch und sensibel für problematische Einsätze. Andererseits hat man nach einem Bericht der Bild, in dem Beamte die politische Korrektheit ihrer Führung beklagen und Geschäftsleute sich über eine fehlende Polizeipräsenz beschweren, reagiert und Großkontrollen verschärft. Insgesamt geben Polizei und Stadtspitze kein stimmiges Bild ab. Sie zeigen sich zwar offen für sensible Themen, greifen aber nur die Kritik von Akteur*innen auf, die ihnen genehm sind. Andere Stimmen werden als Einflüsse von außen abgewertet.
Die Nordstadtwache, an der am Samstag viele Demonstrant*innen ihre Wut besonders lautstark artikulierten, stand in der Vergangenheit immer wieder im Zentrum der Kritik von links. 2012 starb der Schwarze Ousman Sey dort im Gewahrsam. Auch in den Folgejahren gerieten Beamte der Wache immer wieder in die Schlagzeilen, meistens waren überharte Einsätze gegen Migrant*innen der Grund.
Bei einer Zwischenkundgebung an der Nordstadtwache kritisierte die Initiative Death in custody, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung sich für ihre Lehren aus dem Tod Mouhameds feiere. Zwei Stunden mehr Einsatztraining im Jahr und ein Erlass der die Einschaltung von Body-Cams empfehle, seien allerdings nicht mehr als »kosmetische Alibi-Reformen«. Dass die Polizeigewalt in Nordrhein-Westfalen nicht plötzlich aufgehört hat, das belegte ein Redebeitrag von Unterstützer*innen des 19-jährige Bilel G. aus Herford. 34 Mal hatten Polizist*innen im Juni auf ihn geschossen. Er wird wohl sein Leben lang gelähmt bleiben.
Von der konkreten Schilderung tödlicher Polizeigewalt, bis zu den großen Fragen nach Neokolonialismus und Kapitalismus wurde bei der Demonstration über ein breites Themenspektrum gesprochen. Für den Solidaritätskreis Mouhamed wird es in der kommenden Zeit wohl vor allem darum gehen, weiter Öffentlichkeit für den Fall herzustellen und die Familie Mouhameds zu unterstützen, wenn die Polizisten vor Gericht stehen.
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