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Atommüll? Nicht vor der Haustür!
Bayerischer Landrat: Alle radioaktiven Abfälle sollen in ein zentrales Zwischenlager
Mit der Abschaltung der Atomkraftwerke konnten sie sich in Bayern bis zuletzt nicht abfinden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte kürzlich gar an, der Freistaat wolle das AKW Isar-2 bei Landshut wieder anwerfen und in Eigenregie betreiben. Dabei liegt eine solche Entscheidung gar nicht im Ermessen der Bundesländer. Gleichzeitig aber will Bayern mit dem Atommüll nichts zu tun haben. Geeignete Standorte für ein Endlager gebe es im Freistaat nicht, behauptet Söder immer wieder.
Jetzt lässt der Landshuter Landrat Peter Dreier von den Freien Wählern mit dem Vorschlag aufhorchen, die 16 deutschen Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle aufzulösen und diese, bis ein Endlager zur Verfügung steht, in einer einzigen Halle aufzubewahren. Und zwar im niedersächsischen Gorleben.
Bisher 16 Zwischenlager
13 der 16 Zwischenlager befinden sich an den Standorten der stillgelegten Atommeiler, drei weitere im westfälischen Ahaus, bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern sowie eben in Gorleben. Dort stehen auf 420 Stellplätzen bislang 113 Castor-Behälter, die bei insgesamt 13 Transporten gegen den heftigen Widerstand Tausender AKW-Gegner*innen ins Wendland gekarrt wurden.
Der unterirdische Gorlebener Salzstock gleich nebenan wurde jahrzehntelang als einziger Standort auf seine Tauglichkeit als Endlager untersucht, erst 2020 flog er aus dem neu aufgerollten Suchverfahren. Die Endlagersuche werde sich noch über Jahrzehnte hinziehen, eine Zwischenlagerung deshalb noch lange notwendig bleiben, schrieb Dreier nun an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ein einziges Zwischenlager sei viel leichter zu überwachen und zu schützen als 16 über ganz Deutschland verteilte Anlagen.
Endlagerfähig gemacht
Dass Gorleben der Standort für dieses eine Zwischenlager sein soll, begründet Dreier vordergründig damit, dass dort bereits eine sogenannte Pilotkonditionierungsanlage (PKA) errichtet wurde, in deren »heißer Zelle« beschädigte Castoren repariert werden könnten. Die PKA wurde in den 90er Jahren für rund 400 Millionen Euro gebaut. In der Anlage sollten probeweise abgebrannte Brennstäbe aus den großen und schweren Castoren in kleinere Behälter verpackt, also für eine direkte Endlagerung »konditioniert« werden. Zum Nutzungszweck der PKA schrieb der damalige Betreiber, die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), diese diene als Versuchs- und Erprobungsanlage zur Herstellung »endlagerfähiger Gebinde«.
Zwischenzeitlich erledigte sich dieser Arbeitsauftrag. Er hätte nur Sinn ergeben, wenn in Gorleben gleichzeitig das zentrale Endlager für Atommüll eingerichtet worden wäre. Für die PKA bedurfte es also einer neuen Daseinsberechtigung. Politik und Betreiber erklärten die Fabrik deshalb zur Service- und Reparaturstation für defekte Castor-Behälter. Die Atomkraftgegner brachte das auf die Palme: »Wenn die Behälter unsicher sind, dürfen sie gar nicht benutzt werden«, erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.
Anlage in Gorleben ist veraltet
Gleichzeitig machte die BI auf das erhebliche Gefahrenpotenzial der – technisch im Übrigen veralteten – Anlage aufmerksam: Über den 60 Meter hohen Schornstein und über eine Pipeline zur Elbe könnten größere Mengen Radioaktivität in die Umwelt gelangen. Landrat Dreier sei wie Söder nicht auf der Höhe der Zeit, sagt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Das »Argument«, in Gorleben gebe es für Castor-Behälter eine Reparaturmöglichkeit, sei falsch. Die PKA habe nie den »heißen Betrieb« aufgenommen und solle abgerissen werden.
Dass die Tage der PKA gezählt sind, bestätigen sowohl Niedersachsens Landesregierung als auch der Betreiber, die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Die Fabrik sei ein »Relikt aus alten Zeiten«, erklärte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Der Abriss soll voraussichtlich 2026 beginnen, teilte die BGZ auf Anfrage mit. Atomkraftgegner drängen darauf, dass es schneller losgeht. Die Kosten für den Unterhalt der Anlage beliefen sich auf jährlich 6,3 Millionen Euro, rechnet Ehmke vor.
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