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Benachteiligt ohne rechtliche Folgen
100 Organisationen fordern eine schnelle Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
Den Job oder die Wohnung nicht bekommen? Ohne Grund von der Polizei kontrolliert worden? Weniger Gehalt als der Kollege erhalten? Fälle wie diese gibt es viele, Konsequenzen haben sie sehr viel seltener. Das liegt an der Architektur des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das 2006 in Kraft getretene Gesetz verbietet eine Ungleichbehandlung »aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität«.
Zum 17. Jahrestag des Gesetzes erinnern 100 zivilgesellschaftliche Organisation die Bundesregierung an ihr Versprechen, das Gesetz zu reformieren. Denn es hat einige Lücken: Es schützt nicht alle von Ungleichbehandlung betroffenen Gruppen, es ist auf das Arbeitsleben und Dienstleistungen begrenzt, das heißt, es schützt nicht in allen Lebensbereichen, insbesondere behördliches Handeln ist nicht eingeschlossen. Außerdem ist es für Betroffene schwer, die Durchsetzung ihres Rechts zu erwirken. Kurze Fristen, eine schwierige Beweisführung und unverhältnismäßig teure Klageverfahren halten Betroffene regelmäßig davon ab, ihre Rechte einzufordern. Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP deshalb angekündigt, das AGG zu evaluieren, Schutzlücken zu schließen, den Rechtsschutz zu verbessern und den Anwendungsbereich auszuweiten.
»Wir erwarten vom Justizminister, dass er seine Blockadehaltung aufgibt und mit uns ins Gespräch kommt«, sagt Karen Taylor von der Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO). Mehr als ein Drittel der gemeldeten Diskriminierungsfälle fallen nach einem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) gar nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes – dabei sei es das zentrale Instrument gegen Rassismus und Diskriminierung. Mitte Juli schickte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, ihre Vorschläge an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der federführend für die Reform zuständig ist. Damals sagte ein Sprecher des Justizministeriums, zu der Reform sei man noch in der »Prüfphase«, einen konkreten Zeitplan nannte er nicht. Das Bündnis befürchtet, dass Buschmann auf die angekündigte EU-Richtlinie zu Antidiskriminierungsstellen warten will. Doch ihre Umsetzung könne Jahre dauern, warnt Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland. »Die Gefahr ist, dass die Legislaturperiode verstreicht, ohne dass die Reform umgesetzt wird«, so Andrades.
Auf der Pressekonferenz am Donnerstag kommen Vertreter*innen verschiedener Organisationen zu Wort, um die Bandbreite des lückenhaften Schutzes vor Diskriminierung deutlich zu machen. Sie fordern eine Erweiterung der Diskriminierungskategorien, zum Beispiel um sozialen Status, Sprache, Körpergewicht und Fürsorgeverantwortung. Die Bundesregierung wolle den Katalog kurz halten, dabei gebe es dafür keinen Grund, so Oriel Klatt von der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. In Frankreich etwa gebe es 25 geschützte Diskriminierungskategorien. Klatt kritisiert, dass dicken Amtsanwärter*innen häufig eine Verbeamtung versagt werde und sie stattdessen im öffentlichen Dienst angestellt würden. Damit gelte gleicher Lohn für gleiche Arbeit nicht. Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat (DBR) betont, dass es eine Verpflichtung für angemessene Vorkehrungen im AGG und somit auf dem Arbeitsmarkt, im Dienstleistungsbereich und dem Waren- und Güterverkehr brauche. Auch Unternehmen müssten stärker in die Pflicht genommen werden. »Wir wollen auch bei der Bäckerei um die Ecke unsere Brötchen kaufen und zu dem Arzt gehen, der uns am qualifiziertesten erscheint. Das ist bislang nicht möglich, da es dort keine verpflichtende Barrierefreiheit gibt«, kritisiert Arnade.
Eine komplette Lücke gebe es außerdem bei dem Schutz vor Diskriminierung durch automatisierte Entscheidungssysteme. »Dabei kann das jeden treffen: Algorithmen geben vor, wer es in die nächste Bewerbungsrunde schafft, wer die Wohnung bekommen soll, bei wem es als wahrscheinlich gilt, dass der Erhalt von Sozialleistungen unbegründet war«, sagt Pia Sombetzki von Algorithm Watch. Sexistische, rassistische und klassistische Grundannahmen würden von Menschen in diese Systeme übertragen und dann systematisch angewendet. »Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz ist nicht dafür gerüstet, Diskriminierung durch Algorithmen etwas entgegenzusetzen«, so Sombetzki.
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