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Mexiko: Neue Lehrpläne stoßen auf Widerstand

Mexikos Konservative halten progressiven Bildungsansatz für kommunistisch und laufen Sturm

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.
Mexikos Schulbücher sollen genderneutral und indigenenfreundlicher werden. Für Konservative gleicht das einem Aufruf zur Revolution.
Mexikos Schulbücher sollen genderneutral und indigenenfreundlicher werden. Für Konservative gleicht das einem Aufruf zur Revolution.

Drei mexikanische Kinder treffen sich auf dem Zócalo, dem zentralen Platz der mexikanischen Hauptstadt Mexiko-Stadt. Zwei von ihnen sprechen Me'phàà, eine indigene Sprache, das dritte Kind macht sich darüber lustig. »Guten Morgen, Indios«, sagt Pascacio. »Guten Morgen, Hochnäsiger«, antworten Juan und Pedro und weisen ihn darauf hin, dass sie zwei Sprachen sprechen, während er nur eine spreche, was »beunruhigend« sei. Schließlich entschuldigt sich Pascacio bei ihnen.

Die Geschichte mit dem Titel »Los niños me'phàà« (Die Me'phàà-Kinder) findet sich in einem der neuen kostenlosen Schulbücher, die alle mexikanischen Schülerinnen und Schüler der ersten neun Klassenstufen erhalten sollen, wenn am 28. August nach den Sommerferien die Schule wieder losgeht.

Senatorin wittert kommunistische Unterwanderung

Für die Senatorin der rechtskonservativen früheren Regierungspartei PAN, Kenia López Rabadán, dagegen riecht die Erzählung nach kommunistischer Unterwanderung. »Der Kommunismus von @lopezobrador will die Mexikaner spalten!« twitterte sie in Richtung Präsident Andrés Manuel López Obrador unter der beschriebenen Geschichte. Die Verfasserin des vermeintlich kommunistischen Machwerks – eine indigene Grundschülerin.

Um die von der Regierung in den Schulbüchern veranlassten Änderungen ist in Mexiko eine hitzige Debatte entbrannt – weit über den Bildungssektor hinaus. Konservative Familienverbände, Klerus und Politiker der Opposition laufen Sturm. Einige kritisieren fehlende Absprachen mit den verschiedenen Bildungsakteuren; andere werfen der Regierung »Indoktrination« vor.

Die Fronten in der Debatte sind verhärtet

Die Texte versuchten, den Kindern »das Virus des Kommunismus« einzuflößen, bemühte der Moderator Javier Alatorre im mexikanischen Fernsehen ebenfalls das Gespenst des Kommunismus. Er warf den Lehrbüchern »die Verachtung von Arbeit, Kultur, Religion und sogar der Familie« vor. Der PAN-Vorsitzende Marko Cortés behauptete gar, dass Mexiko im Bereich der Grundbildung eine der »größten Tragödien seiner Geschichte« erlebe und schlug vor, einige der neuen Schulbücher zu vernichten, woraufhin ihn Befürworter*innen der Regierung mit Hitler verglichen. Eine Kongressabgeordnete der Regierungpartei Morena wiederum stellte eine Gesetzesinitiative vor, die für die Beschädigung oder Vernichtung der kostenlosen Schulbücher 15 Jahre Gefängnis vorsieht.

Die Fronten sind verhärtet. Die ideologische Debatte aber verdeckt die Tatsache, dass mit den Texten erstmals neue Lehrmethoden eingeführt werden. So wird Wert gelegt auf inklusive Sprache (wie das genderneutrale todxs anstelle vom männlichen todos oder weiblichen todas), Aufklärung über sexuelle Vielfalt oder Antirassismus gelegt. Die Lehrinhalte sind in Geschichten oder themenübergreifende Projekte eingebettet, um einen stärker erfahrungsorientierten Lernprozess und einen partizipatorischen Ansatz zu ermöglichen. Bislang beruhte das Schulwesen zu sehr auf dem Auswendiglernen von Inhalten, die die Schüler in den meisten Fällen nicht verstünden, so Bildungsministerin Leticia Ramírez Amaya.

Regierung will Bildung an Realität anpassen

Die neuen Schulbücher sind Teil der Strategie der Regierung, die Bildung an die Alltagsrealität der Kinder anzupassen und dem Staat die Kontrolle über die Inhalte zu geben, die laut Marx Arriaga, dem Generaldirektor für Bildungsmaterialien des Bildungsministeriums (SEP), in privater Hand waren. »Wir mussten die Privatisierung des Schulbuchs stoppen. Das Buch war ein Geschäft und kam einigen wenigen Verlegern zugute, dafür war das Schulbuch da. Jetzt geben wir den Schulbüchern die goldenen Jahre zurück, in denen sie kein Geschäft mehr sind, sondern der Schatz des SEP.«

Arriaga steht im Mittelpunkt der Kontroverse, weil er für die Koordinierung des Inhalts der neuen Schulbücher zuständig ist. Ihm wird vorgeworfen, eine gewisse linksideologische Nostalgie, die vor allem auf die Zeiten der Sowjetunion zurückgeht, in das öffentliche Bildungswesen einzubringen. Gerade in den Lehrerhandbüchern gibt auch eine klare Kritik am kapitalistischen Modell und dessen Zusammenhang mit der Zerstörung der Umwelt.

Nicht alle Bundesstaaten wollen Inhalte übernehmen

Daraus einen Aufruf zur Revolution oder zum Kommunismus abzuleiten, wie es einige tun, schießt aber übers Ziel hinaus. Trotzdem haben einzelne, von der Opposition geführte Bundesstaaten erklärt, dass sie die neuen Inhalte nicht in die Schulen aufnehmen und ihre eigenen Schulbücher entwickeln werden; andere, dass sie die Ausgabe der Bücher aussetzen, bis Gerichtsentscheidungen über das Schulmaterial vorliegen. So hat der Oberste Gerichtshof bereits angeordnet, die Verteilung der Schulbücher im Bundesstaat Chihuahua auszusetzen.

Der Präsident wiederum nutzt die Kontroverse, um erneut Druck auf die Justiz auszuüben. Er richtete einen »Aufruf an die Bevölkerung, über die Notwendigkeit nachzudenken, den Wandel des Landes weiter voranzutreiben und die Justiz zu erneuern«: »Am besten wäre es, wenn Richter, Staatsanwälte und Minister vom Volk gewählt würden und nicht von den oberen Rängen der Macht«, sagte López Obrador, der damit an seinen jüngsten Vorschlag anknüpft, die höchsten Justizämter in einer Volksabstimmung zu wählen. Dabei wäre statt ideologischer Grabenkämpfe eine breite gesellschaftliche Debatte über Bildung und Erziehung in Mexiko wünschenswert.

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