Sachsens Innenminister stoppt Gesichtserkennung

In der Grenzregion von Görlitz werden Autos und Fußgänger nicht mehr mit Kameras gescannt

Alle deutschen Polizeibehörden haben Zugriff auf ein Gesichtserkennungssystem beim Bundeskriminalamt, das dort seit 2008 in Betrieb ist. Die Lichtbilder können aber nur rückwirkend abgeglichen werden, etwa mit Fotos von unbekannten Verdächtigen. Eine Echtzeit-Erkennung von solchen Gesichtsbildern gibt es in Deutschland nirgends – mit Ausnahme von Sachsen. Diese Anlage soll jedoch zum Jahresende abgeschaltet werden, erklärte Innenminister Armin Schuster (CDU) am Dienstag im Kabinett.

Seit 2019 überwacht die Polizei in der Oberlausitz Kraftfahrzeuge und Fußgänger mit einem »Personen-Identifikations-System« (Peris). Es wird von der Sonderkommission »Argus« in Görlitz betrieben, die an der deutsch-polnischen Grenze Straftaten im Bereich der Eigentumskriminalität verfolgen soll. Dazu werden Kennzeichen gescannt und mit vorhandenen Daten abgeglichen. So kann entdeckt werden, ob ein Fahrzeug in deutschen oder europäischen Polizeidatenbanken zur Fahndung ausgeschrieben ist. »Im Verdachtsfall« werden die Informationen für weitere Ermittlungen gespeichert. Alle übrigen Daten sollen nach 96 Stunden gelöscht werden.

Auch Gesichter können mit »Peris« in polizeilichen Datenbanken gesucht werden. Angeblich wird diese Funktion aber »aus datenschutzrechtlichen Gründen nur auf staatsanwaltliche Anweisung und nur bei schweren Verbrechen« eingesetzt, sagt der Leiter der Soko »Argus«. In Görlitz sei auf diese Weise etwa ein »islamistischer Gefährder« entdeckt und diese Information »nach Berlin weitergereicht« worden.

Das Videoüberwachungssystem hat die Görlitzer Polizei von der Bremer Firma Opto Precision beschafft. Es besteht aus zehn Säulen, die an Kreuzungen, am Grenzübergang zu Polen und an einer Fußgängerbrücke zwischen Görlitz und Zgorzelec, dem polnischen Teil der Stadt, installiert sind. Hinzu kommen mobile Kameras in Polizeifahrzeugen. Angeblich seien die Aufnahmen von »Peris« so messerscharf, dass sogar Seriennummern von Geräten auf der Rückbank von Fahrzeugen erkannt werden können. Aufnahmen seien sogar möglich, wenn Autos mit bis zu 300 Stundenkilometern unterwegs sind.

Laut einer Präsentation der Görlitzer Polizei bei der EU-Grenzagentur Frontex hat »Peris« 5 Millionen Euro gekostet. Bis Anfang dieses Jahres habe das System rund 6,5 Millionen Gesichter und 300 000 Kennzeichen gescannt. Bei der Nutzung zur Strafverfolgung seien 560 Fahndungstreffer erzeugt worden.

Erlaubt sind Bildaufnahmen von »Peris« in der gesamten 30-Kilometer-Grenzregion der Oberlausitz. Als rechtliche Grundlage hatte die Landesregierung Paragraf 59 des sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes geändert. Seit 2019 darf die Polizei demnach schwerer grenzüberschreitender Kriminalität mit dem »Einsatz technischer Mittel« begegnen. Darunter fällt auch die anlasslose Gesichtserkennung.

Die Regelung ist bis zum 31. Dezember 2023 befristet und sollte nach drei Jahren auf ihre Brauchbarkeit evaluiert werden. Hiermit hatte die Landesregierung das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer beauftragt. Man habe mit dem Erkennungssystem »juristisches, technisches und fachliches Neuland betreten«, heißt es nun im Ergebnis von der Landesregierung. Jedoch sei der »technische und personelle Aufwand sehr groß« gewesen. Deshalb soll die Gesetzesnorm nach Ende des Jahres nicht mehr verlängert werden.

Die Mitteilung überrascht, denn die sächsischen Innenbehörden hatten »Peris« als Erfolg in der Kriminalitätsbekämpfung gelobt. Laut dem Leiter der Soko »Argus« sei der Einsatz der Technik »besonders hilfreich« gewesen; die Anzahl der schweren Diebstähle habe sich zwei Jahre nach dessen Einführung rund um Görlitz drastisch reduziert. Noch im März hieß es, dass weitere Überwachungsfahrzeuge für Görlitz angeschafft werden sollten. Für November war zudem die Installation von sieben Überwachungssäulen in Zittau anvisiert. Daraus wird nun offenbar nichts.

Mit der Abschaltung von »Peris« und der damit verbundenen Nicht-Verlängerung der Gesetzesnorm entfällt auch ein Aspekt einer Normenkontrollklage, die von den Fraktionen der Linken und Grünen 2019 gegen das Polizeigesetz in Sachsen eingereicht wurde. Nach fast genau vier Jahren hat das dortige Verfassungsgericht für Mitte September eine mündliche Verhandlung angesetzt. Als Prozessbevollmächtigten haben die beiden Fraktionen den Professor für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Matthias Bäcker von der Universität Mainz beauftragt. Er kritisiert unter anderem, dass der Einsatz von »Peris« gemäß Polizeigesetz anlasslos erfolgen darf: »So wird im Ergebnis eine flächendeckende Überwachung möglich, die aus meiner Sicht verfassungswidrig wäre.«

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