Wagner-Chef: Ende einer Söldner-Truppe

Fragen und Antworten zum Tod von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 5 Min.
»Fracht 200 (der russische Militärcode für Gefallene) wir sind zusammen« steht auf Jewgenij Prigoschins Brust. Immer wieder hatte der Wagner-Chef mit dem Tod kokettiert.
»Fracht 200 (der russische Militärcode für Gefallene) wir sind zusammen« steht auf Jewgenij Prigoschins Brust. Immer wieder hatte der Wagner-Chef mit dem Tod kokettiert.

Was ist passiert?

Am Abend des 23. August ist ein Privatflugzeug vom Typ Embraer Legacy 600 in der Nähe von Twer, gut 175 Kilometer nordwestlich von Moskau, abgestürzt. Das Flugzeug gehörte dem Chef der Söldner-Gruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, und war von Moskau nach St. Petersburg unterwegs. Wenige Minuten nach dem Start verlor das Flugzeug plötzlich an Höhe und stürzte ab.

Wer war alles an Bord?

Laut der russischen Luftaufsichtsbehörde waren neben der dreiköpfigen Crew sieben weitere Personen an Bord. Auf der Passagierliste stand neben Prigoschin auch Dmitrij Utkin, ein ehemaliger Elitesoldat und Neonazi, der den Rufnamen »Wagner« hatte und der Söldnertruppe seinen Namen gab. Weitere Passagiere waren Sergej Propustin, Jewgenij Makarjan und Alexander Totmin, nach russischen Medienberichten allesamt Wagner-Kämpfer. Hinzu kommen Wagner-Vizechef Walerij Tschekalow und Nikolaj Matusejew, Chef von Prigoschin Sicherheitsdienst.

Ist Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin bei dem Absturz ums Leben gekommen?

Zunächst wurde über ein Ablenkmanöver spekuliert, mit dem Prigoschin sich absetzen wollte. Für eine Bestätigung des Todes am Absturzort waren die Leichen zu verbrannt. Am Mittag des 24. August hat ein Wagner-Kommandeur Prigoschin und Utkin im Leichenschauhaus von Twer identifiziert. Am Abend bestätigte auch Präsident Putin den Tod.

Welche Vermutungen gibt es zur Absturzursache?

Schon kurz nach dem Absturz preschte die »Financial Times« vor und schrieb mit Verweis auf ausländische Regierungsquellen vom Abschuss des Privatflugzeuges. Tatsächlich befindet sich in der Nähe ein Militärstützpunkt, der über Flugabwehrraketen verfügt. Allerdings, so schreibt etwa »Meduza«, sei das Flugzeug auf 8,5 Kilometern Höhe geflogen und damit unerreichbar für gewöhnliche Flugabwehr. In dieser Höhe können nur Systeme wie die Buk, die 2014 über der Ostukraine eine Malaysia-Airlines-Maschine abschoss, agieren. Diese Raketen sind jedoch riesig und hätten viel mehr Zerstörung angerichtet.

Wenn das Flugzeug nicht abgeschossen wurde, was war dann die Absturzursache?

Das relativ unversehrte Wrack führte schnell zur Vermutung, dass sich an Bord eine Bombe befunden haben könnte. Durch deren Explosion haben alle Passagiere das Bewusstsein verloren, weshalb die Piloten nicht reagieren konnten, schreibt der für sein Insiderwissen bekannte Telegramkanal WTschK-OGPU. So wäre auch das abgetrennte Heckruder zu erklären, das fünf Kilometer von der Absturzstelle entdeckt wurde. Mit den Ermittlungen wurde Iwan Sibul beauftragt, der bereits mehrere Flugabstürze untersucht hatte. Am Mittag des 24. August wurde mit Prigoschins Privatpilot Artjom Stepanow ein erster Tatverdächtiger genannt. Vor dem Flug stand der Jet zur Wartung zehn Tage im Hangar, wo die Bombe platziert worden sein könnte. Stepanow befindet sich seit ein paar Tagen auf einem Wanderausflug auf Kamtschatka und wird derzeit gesucht.

Wurde Prigoschin auf Anweisung Wladimir Putins ermordet?

Angesichts der langen Liste unliebsamer Personen, die (wahrscheinlich) im Auftrag des Kreml in den vergangenen Jahren ermordet wurden, liegt diese Vermutung nah und wird auch in Russland favorisiert. Möglich sei auch ein interner Wagner-Machtkampf oder ein Anschlag ausländischer Geheimdienste. Russische Medien vermuten, dass die letzte Version bald zur offiziellen erklärt wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, dass sein Land nichts mit dem Absturz zu tun habe.

Was sagt das offizielle Russland zum Tod Prigoschins?

Zum Zeitpunkt des Absturzes befand sich Präsident Wladimir Putin in Kursk, um dort den 80. Jahrestag der Schlacht bei Kursk zu feiern. Noch in der Nacht kehrte Putin eilig nach Moskau zurück. Seitdem gibt es von ihm keine Äußerung. Sergej Mironow, der als Vorsitzender der Partei Gerechtes Russland im Januar von Prigoschin einen berüchtigten Wagner-Hammer geschenkt bekommen hatte, schrieb auf Twitter, dass Prigoschin zu viele Leute gestört habe und »konkrete Dreckskerle« für seinen Tod verantwortlich seien. Wiktor Sobolew, Mitglied des Verteidigungsausschusses der Duma, brachte ein Staatsbegräbnis für den Söldnerchef ins Spiel, schließlich bekam er im vergangenen Juni die höchste Austeichung des Landes – »Held Russlands« – verliehen und durfte diese auch nach seinem gescheiterten Aufstand im Juni behalten. Der offizielle Wagner-Kanal hat zur Ruhe aufgerufen und veröffentlichte ein Video von Söldnern, die an einer improvisierten Gedenkstätte in Tränen ausbrechen.

Was meinen Beobachter und Experten?

Dass Prigoschin im Juni mit seinem gescheiterten Putsch davongekommen ist und Putin sogar noch persönlich traf, hat viele Beobachter verwundert. Niemand hatte erwartet, dass der Kremlherr dem Söldnerchef den Aufstand verzeiht. »Was auch immer die Gründe für den Flugzeugabsturz sein mögen, jeder wird ihn als einen Akt der Rache und Vergeltung ansehen – und der Kreml wird das nicht groß verhindern«, schreibt die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowja auf Telegram. Prigoschins Tod, so Stanowja, soll allen potenziellen Nachfolgern eine Lehre sein. Prigoschin habe Putins Emotionalität unterschätzt, meint der Politikwissenschaftler Abbas Galljamow. Wichtiger als Wagner (etwa in Afrika) sei für Russlands Präsidenten Vergeltung.

Welche Auswirkungen hat Prigoschins Tod auf Belarus?

Nach dem gescheiterten Aufstand sind die Wagner-Söldner ins Nachbarland Belarus abgezogen, wo sie für Präsident Alexander Lukaschenko einheimische Soldaten trainieren und immer wieder mit Überfällen auf Polen und Litauen drohen. Der Historiker und Analyst Alexander Friedman schreibt, der Tod des Söldnerchefs mache Lukaschenko zu einem »neuen Prigoschin«, der Teile der Gruppe unter seine Kontrolle bringen könne. Im Onlinemedium »Pozirk« meint der Historiker Alexander Klaskowskii, Lukaschenko habe mit den Wagner-Truppen eher »ordentlich viele Probleme übergeholfen bekommen«.

Wie geht es mit Wagner in Afrika weiter?

Das Antikorruptionsprojekt Gulagu.net schreibt auf Telegram, dass in Moskau in den kommenden Tagen eine Entscheidung über die Zukunft Wagners fallen wird. Entweder werde man die Marke Wagner still und heimlich begraben, oder die Strukturen unter die Kontrolle des Auslandsgeheimdienstes GRU stellen. Dessen stellvertretender Vorsitzender Andrej Awerjanow habe bereits versucht, Wagner in Afrika zu ersetzen, wo die Söldner seit vielen Jahren aktiv sind. Dagegen habe sich Prigoschin aber gewehrt. Laut Investigativseite »Waschnyje istorii« hat das Verteidigungsministerium vor Kurzem angefangen, über seine eigenen Söldnertruppen Konvoi und Redut Kämpfer für Afrika zu gewinnen. »Wagner ist Geschichte«, war dabei einer der Slogans.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.