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  • Ausstellung »I am Sun Mu: Facing North Korea«

Sun Mu: Propaganda für den Frieden

Der in Nordkorea geborene Künstler Sun Mu steht politisch und künstlerisch zwischen zwei Systemen – gerade ist sein Werk in Berlin zu sehen

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 5 Min.
Sun Mu sitzt nicht zufällig mit dem Rücken zur Kamera – seine Identität preiszugeben wäre gefährlich für den Künstler.
Sun Mu sitzt nicht zufällig mit dem Rücken zur Kamera – seine Identität preiszugeben wäre gefährlich für den Künstler.

Ein 210 x 870 cm großes Gemälde auf Leinwand, das über Eck an zwei Wänden platziert ist, bildet das visuelle Zentrum der ersten Berliner Einzelausstellung von Sun Mu. Das vorwiegend in Rot, Weiß und Blau gehaltene Tableau erscheint auf den ersten Blick wie ein abstrakt-expressionistisches Werk und könnte eine Explosion darstellen. Gemalt hat es der in Südkorea lebende, 1972 in der nördlich gelegenen »Demokratischen Volksrepublik Korea« (DVRK) geborene Künstler vor Ort im Berliner Projekt- und Ausstellungsraum Meinblau – und hat dafür nur wenige Tage gebraucht.

Sun Mu bedeutet »nicht Linie« oder besser gesagt »ohne Grenze« und ist ein Pseudonym zum Schutz der Familie in Nordkorea einerseits und programmatischer Künstlername zugleich. Er träumt von einem dauerhaften Frieden und einer Vereinigung beider Hälften der Halbinsel. Um seine Identität nicht preiszugeben, lässt sich Sun Mu nur von hinten ablichten und gibt lediglich grobe Daten seiner Biografie preis. Während seiner Armeezeit ließ er sich zum Propagandamaler ausbilden und vertiefte sein Wissen und die Kunstfertigkeit in einem späteren Studium noch in Nordkorea. In den 1990er Jahren war er während der Hungerkrise durch den Grenzfluss Tumen nach China geflohen und gelangte vier Jahre später über Thailand und Laos nach Südkorea.

Das eingangs erwähnte Bild mit dem Titel »Meine Landschaft« offenbart aus der Nähe Fische und haiähnliche Wesen, die ihre Köpfe aus dem von Fontänen bewegten Gewässer recken. Die Farben des Gemäldes finden sich auch in den Flaggen der beiden verfeindeten Staaten der Halbinsel; die Anmutung einer Explosion könnte mit der brisanten Grenzsituation mit dauernden Scharmützeln in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig erinnert das Bild auch an die Flucht von Sun Mu durch das Wasser. Seine künstlerisch-politische Position liegt zwischen den konträren Systemen, »er beschäftigt sich intensiv mit der Repräsentation und Darstellung beider koreanischer Staaten«, wie es Jae-Hyun Yoo und Alexander Steig in einem Katalog zu einer Ausstellung Sun Mus in München 2019 formulierten. Während sich das nordkoreanische Regime im ideologischen Dauerbeschuss der westlichen »Wertegemeinschaft« unter Führung von USA und Nato befindet, dringt nur selten Kritik an den nicht demokratischen Verhältnissen Südkoreas in die westlichen Medien. Die kapitalistisch und technisch hochentwickelte Gesellschaft mit starkem Konsumerismus wird gemeinhin als frei verstanden, auch wenn es viele Einschränkungen und Zensurmaßnahmen gibt. Sun Mu kann davon ein Lied singen, denn seine Werke, die natürlich auch in Nordkorea überhaupt nicht gelitten sind – er gilt dort als Verräter –, wurden in Südkorea mehrfach für Ausstellungen gesperrt und zensiert. 2008 sind sie mit Verweis auf die »Nationale Sicherheit« aus der Busan Biennale entfernt worden.

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Viele seiner bei Meinblau gezeigten Bilder sind im Stil einer Verquickung von knalliger Pop Art mit einem von stark satirischen Elementen durchzogenen Propagandismus gezeichnet. In seiner Kritik an beiden Systemen bedient sich Sun Mu oft der Überaffirmation und Doppelbödigkeit. Auf zwei kleinen und nebeneinander hängenden Gemälden ist eine Atomrakete mit nordkoreanischer und eine mit US-amerikanischer Emblematik zu sehen. Der titelgebende Slogan unter beiden lautet gleichermaßen: »World Peace«. Hinter den martialischen Waffen und der zynisch wirkenden Botschaft steckt etwas Wahres, von dem auch Sun Mu überzeugt ist. Denn besäße die DVRK unter Kim Jong-un keine Atomwaffen, hätten vielleicht die USA oder das mit ihnen verbündete Südkorea schon längst gewaltsam interveniert, um einen Regierungswechsel herbeizuführen.

Sun Mu gibt in einigen Bildern die eigentümliche Prägung des nordkoreanischen Sozialismus als Chuch’e-Ideologie sowie den Personenkult um den als Messias begriffenen Kim Jong-un der Lächerlichkeit preis. In einem Gemälde schreitet der Führer voran und hält mit erhobenen Armen die Nationalflagge gegen den niederprasselnden Regen wie einen Schirm über das Volk. Metaphorisch gesprochen schützt Kim Jong-un das Land vor allen Feinden.

Auf den Stufen in die erste Etage von Meinblau sind die Slogans montiert, die der Bevölkerung in der DRVK überall im Alltag begegnen. Sun Mu zwingt die Besucher damit zum Sakrileg: Sie müssen auf dem Weg nach oben die Glaubensgrundsätze mit Füßen treten.

Mustergültige Reihung von Kindern mit gleichen Gesichtern und perfekt sitzenden Uniformen unterstreichen in diversen Bildern die Sterilität der erzwungenen Passform, die nur der Folgsamkeit des Systems dient und Individualität zumindest in der Öffentlichkeit ausradiert. Weitere Parolen der Partei auf schmalen Paneelen, in weißer Typografie auf rotem Fond gemalt, unterbrechen den Bildparcours. Es geht aber nicht um Zitat und Repetieren, sondern um geschickte Korrespondenz zwischen den Parolen. Auch wenn »Let’s live our way« als Forderung gegenüber den erklärten Feinden gemeint ist, wird es hier gegen Zwang des Regimes und als Widerspruch zu »Long live the great leader Comrade Kim Jong-un« lesbar. Vereinnahmen lassen für einen westlichen Propagandafeldzug gegen Nordkorea will sich Sun Mu jedoch nicht. Er begreift sich als Vermittler und künstlerische Kraft für den Frieden und malte sich in einem als »Selbstportrait« deklarierten Bild als fliegende Taube vor blau-rotem Hintergrund.

»I am Sun Mu: Facing North Korea«, bis 10. September, Meinblau Projektraum

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