»Kolumbiens Militär muss zurückkehren«

Der indigene Politiker Hilario Guejia sieht keine bessere Alternative zur Befriedung des Cauca

  • Interview: Sara Meyer, Popayán
  • Lesedauer: 4 Min.

In den vergangenen Wochen gab es viele Morde und Angriffe in der Cauca-Region. Mehrere indigene Führungspersonen, politische Schlüsselfiguren und drei Polizisten wurden von illegal bewaffneten Akteuren getötet. Wie sehen Sie die Sicherheitslage?

Wir stehen weiterhin fest hinter dem Ansatz von Präsident Gustavo Petro für einen »vollständigen Frieden«, aber wir leben in schwierigen Zeiten. Während Petro seine Versprechen der Nicht-Aggression in unserer Region einhält und das Militär nicht einsetzt, merken wir, dass die bewaffneten Gruppen sich nicht daran halten. Sie nutzen die Gutgläubigkeit der Regierung aus, insbesondere weil es keine Militär-Präsenz gibt. Dementsprechend ist in den vergangenen zwei bis drei Monaten die Unsicherheit sehr stark gestiegen, nicht nur im Cauca, in allen Städten und Gemeinden. Allein in den vergangenen zwei Wochen wurden zwei unserer Parteimitglieder ermordet und eine Autobombe gezündet, bei der drei Polizisten starben. Die Menschen machen sich große Sorgen, da die bewaffneten Gruppen mittlerweile fast auf den Straßen präsent sind. Wegen dieser verheerenden Situation reiste der Präsident eigens nach Popayán, um Lösungen zu finden.

Was soll die Regierung Ihrer Meinung nach für Mittel ergreifen?

Obwohl wir als Partei für eine friedliche Lösung sind, sehe ich keine andere Lösung als die erneute Militarisierung in allen Winkeln der Region. Die Verfassung ermöglicht dem Staat ein solches Vorgehen. Petro hatte den Cauca zunächst demilitarisiert und die Streitkräfte abgezogen, da er so eine friedliche Lösung herbeiführen wollte und daran glaubt, mit den illegalen Gruppen reden zu können. Seit dem Abzug der Streitkräfte hat sich die Lage aber verschlechtert.

Ist die Rückkehr der Militärs eine Lösung auf lange Sicht?

Ja, wir haben im Cauca schon alles versucht: kollektive Prozesse, bei denen wir alle füreinander sorgen und gegenseitig auf uns aufpassen. Aber aufgrund der komplizierten Lage und der Anwesenheit so vieler verschiedener bewaffneter Gruppen ist es völlig unmöglich, so weiterzumachen. Der Großteil der Bevölkerung hofft immer noch auf den Frieden, aber ein anderer bewaffneter Teil nutzt die derzeitige Abwesenheit der Streitkräfte aus, um seine Position zu stärken, und tötet weiterhin. Leider sehe ich keine andere Möglichkeit, als dass die Regierung erneut Truppen hierher schickt.

Momentan sind mehrere illegal bewaffnete Akteure im Cauca aktiv und für unzählige Tötungsdelikte, Entführungen und Anschläge verantwortlich. Ist Ihnen bewusst, wer sie sind und welcher Gruppe sie angehören?

Nein, ich persönlich kann sie nicht eindeutig identifizieren, und ich denke, das geht vielen so. Heutzutage haben sie keine klare politische oder ideologische Position: Einige sind abtrünnige Kämpfer, die mit dem Friedensvertrag 2016 zwischen Staat und Farc-Guerilla ihre Waffen nicht niederlegen wollten; andere sind neu Formierte oder sogar individuell und im Zusammenhang mit Drogenbanden unterwegs. Deshalb ist es so schwierig, die Verantwortlichen ausfindig zu machen: Es gibt keinen direkten Ansprechpartner, und alle schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

Die Bevölkerung weiß also nicht, wer für die Morde und Entführungen verantwortlich ist und was diese bezwecken sollen?

Generell hört man, dass Farc-Dissidentengruppen, die ELN-Guerilla und die paramilitärischen AUC vor Ort sind, aber mit Sicherheit kann man das nicht sagen. Wir wissen nicht, auf wessen Befehl sie handeln und was genau sie wollen.

Am 29. Oktober sind Regionalwahlen im Cauca. Diese gelten als wichtiger Gradmesser für die aktuelle Linksregierung, die in Ihrem Departamento bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr sehr gut abgeschnitten hat. Die Mais-Partei setzt sich nicht nur für Indigene, sondern auch für andere Teile der Landbevölkerung ein und ist Teil der Basis von Präsident Petros »Historischem Pakt«. Wie steht es um den Wahlkampf Ihrer Partei?

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Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Ziemlich gut. Wir haben es geschafft, im ganzen Departamento Cauca 37 Bürgermeister-Kandidat*innen aufzustellen. Unser Ziel ist es, die sechs, die derzeit schon regieren, zu halten und neue Gemeinden hinzuzugewinnen. Wir erwarten, dass uns die zwei Deputados (Anm.: vergleichbar mit Landesministerin) und 67 Stadträte erhalten bleiben. Es herrscht eine sehr positive Atmosphäre. Wir denken, wir könnten bei diesen Wahlen 100 Stadträte stellen und weitere Deputados. Obwohl wir eine sehr junge Partei sind – wir existieren erst seit 2013 –, haben wir es geschafft, die zweitstärkste Kraft im Cauca zu werden. Die Mais-Partei gilt als Sensation und wird bewundert, wir sind sozusagen in Mode. Auf nationaler Ebene sind im Wahlkampf etwa 8000 Kandidatinnen im Rennen.

Arbeitet die Mais-Partei über die einzelnen Verwaltungsbezirke eng miteinander zusammen? Insbesondere mit dem Parteizweig in Bogotá?

Es gibt natürlich Zusammenkünfte, aber wir hier im Cauca vertreten die Philosophie, uns auf die Region zu fokussieren, da man in der Hauptstadt andere Interessen verfolgt.

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