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Linke-Fraktionsklausur: »Die stabile Seitenlage ist erreicht«
Die Linksfraktion gibt sich einig: Sie muss gerettet werden. Wer das wie tun soll, bleibt aber weiter unklar
Die Linksfraktion im Bundestag gibt in den letzten Wochen das Bild eines Schwerverletzten ab, an dem man verzweifelt Erste Hilfe leistet, um dann hoffentlich gerade noch so sein Überleben zu ermöglichen. Insofern ist die Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers (PGF) Jan Korte eigentlich passend, der am Mittwochabend am Rande der zweitägigen Fraktionsklausur der Linken erklärte: »Wir haben es heute doch hinbekommen, die Fraktion in eine stabile Seitenlage zu bringen.« Diesen »vorsichtigen Optimismus« begründete Korte damit, dass es unter den Fraktionsmitgliedern eine große Einigkeit darüber gebe, alles zu tun, um die Fraktion doch noch zusammenzuhalten.
Auch die Fraktionsspitze zeigte sich am Donnerstag bemüht, die von Korte zitierte Einigkeit in den Vordergrund zu rücken. »Wir sind als soziale Opposition in den Bundestag gewählt worden und wollen diese Rolle weiterhin wahrnehmen«, beteuerte der Noch-Fraktionsvorsitzende Diemar Bartsch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner Co-Chefin Amira Mohamed Ali. Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, sieht ebenfalls genügend inhaltliche Gemeinsamkeiten, um das Fortbestehen zu sichern, wie sie dem Deutschlandfunk mitteilte. Grund dafür seien der sachliche Austausch und die konstruktive Debatte, die die Fraktionsmitglieder bei der Klausur geführt hätten.
Neben der eigenen Krise diskutierten die Fraktionsmitglieder auch andere politische Fragen, zum Beispiel die Haushaltspläne der Ampel-Regierung und die jüngst vom Kabinett verabschiedete Kindergrundsicherung, die diesen Namen, so Bartsch, gar nicht verdiene. Darüber hinaus habe man sich viel Zeit genommen, um renten- und gesundheitspolitische Themen zu besprechen. Dazu lud die Fraktion extra einen Experten zum Vortrag und Gespräch ein.
Doch ein Patient in stabiler Seitenlage ist noch lange kein Patient, der sicher durchkommt. »Man kann danach vollständig wieder gesunden – es sind aber auch andere Dinge möglich«, so Bartsch. Bei der Frage, wann, wo und wie die Partei von wem gerettet wird, riet der Fraktionschef zu Entspannung. Doch genau das sind die Fragen, die jetzt dringend geklärt werden müssten, um einen Zusammenbruch der Fraktion abzuwenden. Antworten müssten sowohl die Parteispitze als auch der Fraktionsvorstand liefern.
Schon bei der Wer-Frage sieht es aktuell mau aus: Die turnusmäßige Wahl des Fraktionsvorstands, die eigentlich für den kommenden Montag angesetzt war, muss auf weiteres verschoben werden. Bisher hat sich niemand gefunden, der oder die den Vorsitz übernehmen will, nachdem Mohamed-Ali und Bartsch sowie Jan Kotte angekündigt hatten, nicht mehr für ihre Posten anzutreten. Bis ein neuer Vorstand gewählt ist, werden sie aber noch im Amt bleiben. Das soll laut Mohamed-Ali bis Ende Oktober passiert sein, denn dann endet ihre zweijährige Amtszeit formal. Ganz führungslos ist die Fraktion also nicht, aber eine starke Führung stellt ein Vorstand, der diese längst nicht mehr übernehmen will, nicht dar.
»Die Schwierigkeit besteht darin, ein Team zu finden, das die Breite der Fraktion abbildet und gleichzeitig gut miteinander und mit der Partei kooperieren kann«, sagte die Linke-Abgeordnete Kathrin Vogler dem »nd«. Alle Mitglieder seien sich dessen bewusst, dass an der Existenz der Fraktion sehr viel hängt. Etwa die vielen Stellen der Mitarbeitenden, die im Falle einer Fraktionsliquidierung verloren gingen. Aber manche stellten ihre eigene Profilierung eben konsequent über die Gemeinsamkeiten, »und das ist zerstörerisch«.
Aber nicht nur das personelle Problem bleibt ungelöst. An den innerparteilichen Fronten – mit dem sozialkonservativen Flügel Sahra Wagenknechts auf der einen und dem progressiveren Lager des Parteivorstandes auf der anderen Seite – scheint sich nur wenig geändert zu haben. »Das Verhalten einzelner Abgeordneter deutet darauf hin, dass es Leute gibt, die keinen Wert auf eine gemeinsame Zukunft legen und auch nicht auf eine stabile Seitenlage«, so Vogler. Klaus Ernst, ehemaliger Parteivorsitzender und Wagenknecht-Unterstützer, hatte sich schon am ersten Klausurtag gegenüber der Presse gegen die Parteispitze gestellt. Wagenknecht blieb der Klausur fern.
Ein Indiz dafür, dass Sahra Wagenknecht ihre Pläne zur Parteineugründung niedergelegt haben könnte, gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: Noch am Montag sprach die ehemalige Fraktionsvorsitzende bei einem außerplanmäßigen Treffen, das Sören Pellmann vor einigen Wochen angeregt hatte, erneut von ihrem Vorhaben, eine Konkurrenzpartei aufzubauen, wie es aus Fraktionskreisen heißt.
Aktuell gibt es für die Zukunft der Linksfraktion drei mögliche Szenarien: Treten außer Wagenknecht noch mindestens drei andere Mitglieder aus der Fraktion aus, könnte der Bundestag die Fraktion komplett auflösen. Das würde die Bundestagsgeschäftsordnung ermöglichen. Eine zweite Möglichkeit wäre, dass die Abgeordneten - egal, zu welchem Flügel sie gehören -, als Fraktionslose bis zum Ende der Wahlperiode im Bundestag bleiben. Es könnten sich auch kleinere Abgeordnetengruppen bilden. Das würde aber bedeuten, dass sie keine kleinen Anfragen mehr an die Bundesregierung stellen könnten und auch ihre Mitarbeiter verlieren würden. Schließlich könnte die Linksfraktion in ihrer jetzigen Konstellation auch bestehen bleiben. Die Wahrscheinlichkeit hierfür bleibt allerdings trotz des vermeintlichen Optimismus der Fraktionsspitze eher gering.
»Dazu müssten wir als Fraktion in der Lage sein, verschiedene Strömungen innerhalb der Partei und damit das große Spektrum linker Stimmen im Land abzubilden«, so Vogler. Dazu gehören, so die Abgeordnete, der türkischstämmige Arbeiter bei Opel, aber eben auch die Klimaaktivistin, die sich mit zivilem Ungehorsam gegen die fossilen Energiekonzerne stellt, und die Alleinerziehende, die mit Bürgergeld in Armut leben muss.
Ob und wie die stabile Seitenlage der Linksfraktion – und der gesamten Partei – in eine überlebenssichere Situation umgewandelt werden kann, muss in den nächsten Wochen entschieden werden. Wenn das nicht passiert, implodiert sie womöglich einfach. Die zweitägige Fraktionsklausur lässt einen wirklichen Optimismus über die Zukunft der Fraktion noch nicht zu. Dazu braucht es erst einmal eine neue Führung, die zu weitaus mehr bereit ist, als nur Erste Hilfe zu leisten.
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