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DFB und Klubs liegen wegen Pyrotechnik im Zoff
Fußballfans zündeln mehr als zuvor. Doch in der Debatte um Pyrotechnik stehen auch die Klubs und der DFB in der Kritik
In der vergangenen Saison bot die Fußball-Bundesliga bekanntlich einen spannenden Kampf um die Meisterschaft – mit umso langweiligerem Ausgang. Da ist anderes im Rückblick interessanter: Vom 5. August 2022 bis zum 27. Mai 2023 wurde jedenfalls weit mehr Pyrotechnik gezündet als in den Jahren zuvor. Offizielles Zahlenmaterial gibt es noch nicht. Doch sowohl Vereins- als auch Fanvertreter teilen den Eindruck, dass in den Kurven mehr gezündet wurde als vor der Corona-Pandemie.
Meist waren es die hell leuchtenden Bengalfackeln, die im Block entfacht und entsorgt wurden. Bei richtiger Handhabung stellen sie eine vergleichsweise sichere Spielart der Pyrotechnik dar. Doch bei der blieb es nicht. Erschreckend oft wurden auch Knallkörper gezündet, Leuchtraketen geschossen oder Pyrotechnik Richtung Spielfeld geworfen – in zwei Fällen wurden dabei Fotografen verletzt. All das sind Dinge, die die meisten Ultras angeblich selbst ablehnen, genau wie Böller und Raketen. »Pyro darf die Hand nicht verlassen«, lautet ein ungeschriebenes Gesetz der Kurve. Doch ungeschriebenen Gesetzen geht es offenbar manchmal wie geschriebenen: Sie gelten nicht mehr. Nach der Coronapause seien jüngere, eventorientiertere Fans in die Stadien gedrängt, für die auch szeneinterne Absprachen und Regeln kaum noch Relevanz haben, klagt mancher Kurven-Veteran.
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Manchmal ist es aber auch ganz anders: Beim Erstrundenspiel im DFB-Pokal zwischen Lok Leipzig und Eintracht Frankfurt im August benahm sich die Lok-Fankurve mitsamt aktiver Fanszene wunderbar. Dafür drehten eher ältere Herrschaften auf der Haupttribüne durch. Das Spiel stand kurz vorm Abbruch, nachdem Leuchtraketen Richtung Frankfurter Bank geschossen wurden. Dass direkt dahinter die Rollstuhlfahrer platziert worden waren, hatten die »dummen Vollidioten« entweder übersehen, oder es war ihnen so egal wie mutmaßlich tags darauf die vollkommen zutreffende Formulierung in der Pressemitteilung des Regionalligisten: »Ein paar dumme Vollidioten haben dieses Fußballfest beschmutzt. Ihr seid keine Fans! Niemand will eure bescheuerte Ego-Show sehen.« Ähnlich fiel das Urteil auch in den Fankurven aus. Nicht nur in der der Leipziger. Strafen wurden bislang noch nicht verhängt. Kleine Vereine wie Lok treffen sie bis ins Mark.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kann mit dem Status quo gut leben. Der Verband kassierte in der vergangenen Saison über acht Millionen Euro. Spitzenreiter bei den Strafen ist Eintracht Frankfurt mit 860 000 Euro, Platz zwei belegt Hannover 96 mit fast 600 000 Euro. Was mit dem Geld passiert, das nach Frankfurt überwiesen wird, bleibt intransparent. Mit welchem Recht es eingezogen wird, ebenfalls. Angeblich, heißt es beim DFB, soll so ein erzieherischer Zweck verfolgt werden. Um weniger Geld bezahlen zu müssen, so die angebliche Hoffnung, würden die Vereine den Druck auf die Ultras erhöhen, die wiederum bei entsprechender Höhe der Strafe ihr eigenes Tun infrage stellen, um dem geliebten Verein nicht noch mehr zu schaden. So in etwa.
Sollte dieses Kalkül aufrichtig sein, wäre es weltfremd. Geht es in Wahrheit auch um eine lukrative Einnahmequelle für einen Verband mit finanziellen Schwierigkeiten, wäre es verlogen. Zudem ist die bisherige Praxis nicht einmal in sich logisch. Schließlich sanktioniert der DFB die Klubs für den Umstand, dass der von ihnen gestellte Ordnungsdienst die Fackeln nicht gefunden hat.
Beim Pokalfinale im Mai, bei dem der DFB Veranstalter war, wurde indes so heftig gezündelt wie seit Jahren nicht mehr. Zahlen mussten dennoch die Vereine. RB Leipzig wurde wegen unsportlichen Verhaltens seiner Fans gegen die Eintracht mit einer Geldbuße von 36 900 Euro belegt, 260 000 waren es für Frankfurt. Leipzig hat Einspruch eingelegt, ebenso interessant wie schlüssig begründet: RB bemängelte die unzureichenden Einlasskontrollen durch den vom DFB beauftragten Ordnungsdienst. Zudem habe man keine Einsicht in vorliegende Videoaufzeichnungen erhalten, »um bei den Ermittlungen mitzuwirken, die Täter zu identifizieren und die Strafe zu reduzieren beziehungsweise entsprechend auf die Täter umzulegen«.
Der Schwarze Peter liegt also beim DFB. Zu Recht, folgt man dessen ureigener Logik. Denn der Verband bittet schließlich auch sonst die jeweiligen Veranstalter zur Kasse. Juristisch scheint diese Praxis übrigens unanfechtbar zu sein: Der Heimverein wird sanktioniert, da er für die Spieler, Offiziellen, Mitglieder und Zuschauer als Veranstalter der Spiele verantwortlich ist. »Jedoch hat der Klub die Möglichkeit, die Schädiger in Anspruch zu nehmen, wenn diese identifiziert werden können«, meint Sportrechtler Hanns-Uwe Richter. Das jedoch ist meist bloße Theorie. Denn wie sollen die Vereine einzelne Fans identifizieren, die vermummt und versteckt unter Transparenten zünden? »Das würde ich liebend gerne tun, wenn mir die Polizei Bilder liefern würde, auf denen ich etwas erkenne«, sagt der Sicherheitsbeauftragte eines Erstligisten. »Das tut sie aber nicht.«
Auch Zweitligist Hannover will offenbar nicht mehr akzeptieren, dass er für die Zündeleien seiner Anhänger bezahlen soll und stellt das Prinzip infrage: »Die Klubs haften für das Fehlverhalten Dritter. Das halten wir grundsätzlich für falsch.« Von einer erzieherischen Wirkung könne eh keine Rede sein. Es sei »nicht zu erkennen, dass diese Art der Sanktionierung den angestrebten Effekt erzielt. Das bisherige Strafmaßsystem trägt zu keiner Reduzierung der unerlaubten Aktivitäten bei – es ist das falsche Mittel«.
Das falsche Mittel scheint indes Hannover 96 selbst anzuwenden, indem die Pyro-Kosten auf alle Zuschauer umlegt werden sollen. Die Rede ist davon, künftig alle Tickets um den Preis teurer zu machen, den die Strafen den Klub kosten. Das ist der gleiche Denkfehler wie beim DFB: Denn Kollektivmaßnahmen, die wenige treffen sollen, aber Tausende tangieren, bewirken meist das Gegenteil dessen, was sie angeblich erreichen sollen.
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