- Berlin
- Die Linke
Den Frieden feiern mitten im Krieg
Friedensfest und Friedenswoche in Strausberg und Märkisch-Oderland mit Dietmar Bartsch und Kerstin Kaiser
Niels-Olaf Lüders hat über die seltsame Situation nachgedacht. »Man feiert ein Fest des Friedens, aber gleichzeitig sterben Menschen«, erinnert der Linke-Kreisvorsitzende von Märkisch-Oderland. Aber er ist zu der Überzeugung gelangt: »Es war nie anders: Wir haben immer Friedensfest gefeiert, und es fanden irgendwo auf der Welt Kriege statt.« Also: »Wir halten daran fest.«
Die Bezeichnung der Veranstaltung wird auch bei der 33. Auflage des Strausberger Friedensfestes am 9. September nicht geändert. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Vorbereitungskomitee überlegt, angesichts des Ukraine-Krieges den Namen zu ändern. Eine Idee lautete: »Frieden! Fest.« Doch das Komitee entschied sich für die Beibehaltung des gewohnten Namens. »Es ist ja nicht nur eine Feier, sondern auch ein Gedankenaustausch«, erklärt Susanne Lang, die das Vorbereitungskomitee leitet.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Das Strausberger Friedensfest hat eine lange Tradition und wurde früher in ganz großem Rahmen begangen, mit Besuchern aus verschiedenen Bundesländern und sogar aus dem Ausland, die extra anreisten. Doch mit den Jahren fiel das Fest bescheidener aus, und dann kam auch noch die Corona-Pandemie. Im vergangenen Jahr, als das Friedensfest auf dem Marktplatz begangen wurde, wie es dieses Jahr von 11 bis 16 Uhr wieder geplant ist, kamen 1000 Gäste. Aber da gab es eine Unwetterwarnung – viele Einwohner blieben lieber zu Hause, obwohl dann gar kein Sturm aufzog. Wie viele diesmal kommen, vermag Susanne Lang schwer einzuschätzen. Das hänge erneut auch vom Wetter ab. Aber eins kann die Linke-Stadtvorsitzende sagen: »Wir wollen wieder wachsen.«
Das Strausberger Friedensfest bildet den Abschluss einer sogenannten Friedenswoche des Kreisverbandes Märkisch-Oderland. So genannt, weil sich der Veranstaltungsreigen über fast zwei Wochen erstreckt. Eröffnet wurde die Friedenswoche bereits am 25. August mit einem Hoffest in der Kreisstadt Seelow. Dort trat auch der amtierende Bürgermeister Robert Nitz (parteilos) auf, der bei der Wahl drei Tage später von den Seelowern mit einem überzeugenden Ergebnis als Rathauschef bestätigt wurde und seinen Konkurrenten Falk Janke (AfD) deutlich distanzierte. Robert Nitz genoss die Unterstützung der Linken, aber auch der SPD, der CDU und der FDP – überhaupt aller demokratischen Kräfte in der Stadtverordnetenversammlung von Seelow.
Beim Strausberger Friedensfest am 9. September gibt es mindestens 25 Infostände unter anderem von den »Omas gegen Rechts« und vom Bad Freienwalder Verein »Wir packen’s an!«, der Geflüchtete an den EU-Außengrenzen mit Kleidung und anderen notwendigen Dingen versorgt und beim Friedensfest Spenden sammelt.
Vorab via Internet oder noch vor Ort gestellte Fragen beantwortet auf dem Markt Dietmar Bartsch. Er wird am 9. September noch Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag sein. So geplant war das nicht, denn er möchte seinen Posten abgeben, und eigentlich sollte am kommenden Montag ein Nachfolger bestimmt werden. Aber das wurde jetzt erst einmal verschoben.
Auch der Linksfraktionschef im Brandenburger Landtag, Sebastian Walter, wird beim Strausberger Friedensfest erwartet. Sein Thema dort: der soziale Frieden, der in Deutschland auch durch den Krieg in der Ukraine gefährdet ist, infolge dessen die Lebensmittel- und Energiepreise explodierten. Zum vielfältigen Programm gehört auch eine Ausstellung über den Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann (1921–2018).
Der 1. September ist Weltfriedenstag – ein historisches Datum, denn am 1. September 1939 überfiel Hitlerdeutschland Polen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. Die mahnende Erinnerung sei 84 Jahre danach notwendig angesichts von Kriegen heute, in denen Millionen von Menschen getötet, verwundet oder vergewaltigt werden, sagt Sebastian Walter. »Wir sehen besonders Deutschland in der Verantwortung, sich dafür einzusetzen, weltweit die Waffen schweigen zu lassen und die diplomatischen Bemühungen darauf auszurichten, dauerhaft für gerechten Frieden zu sorgen«, so der Politiker. »Unser ›Nein!‹ zum Krieg wird an diesem 1. September zu hören sein und bestimmt unser politisches Handeln zu jeder Zeit«, verspricht Walter am Freitagmorgen. Am späten Nachmittag sollte er bei einem Friedensfest in Cottbus auftreten.
Aus dem Strausberger Friedensfest am 9. September ausgekoppelt ist ein Forum »Kriegen wir Frieden in Europa?«. Es findet bereits am 7. September von 16 bis 21 Uhr im Parkhaus in der ehemaligen Landhausstraße 16-18 von Strausberg statt. Das hat laut Susanne Lang den Grund, dass im Trubel des Festes nur Schlaglichter auf diesen und jenen Aspekt geworfen werden können – die Vorträge und die Diskussion bei diesem Forum erfordern jedoch mehr Zeit und Beachtung. Das Forum wird von der ehemaligen Landtagsabgeordneten Kerstin Kaiser moderiert, die bis Anfang August 2022 das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau leitete. Dann musste sie Russland verlassen.
Kaiser weist am Freitag bei einer Vorstellung des Programms von Friedensfest und Friedenswoche darauf hin, wie sich Deutschland von Strausberg aus in den Krieg in der Ukraine einschaltet. Hier sitze der Koordinierungsstab für die Ausbildung ukrainischer Truppen in der Bundesrepublik, sagt sie. 80 Dienstposten seien extra geschaffen und ein Bundeswehrgeneral an die Spitze gestellt worden. In diesem Zusammenhang steht auch ein »Strausberger Brief«, für den unter den Einwohnern der Stadt Unterschriften gesammelt werden. Ziel ist es, die Stadtverordnetenversammlung zu einem Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu veranlassen. »Wir sind zutiefst besorgt über die andauernde Eskalation des Krieges zwischen Russland und der Ukraine«, heißt es in diesem Brief. Der Kanzler wird aufgefordert, sich für eine friedliche Lösung einzusetzen, »um eine Ausdehnung des Krieges auf ganz Europa zu verhindern«.
Das Friedensforum am 7. September startet mit Vorträgen. So widmet sich der Ostasien-Spezialist Wolfram Adolphi der Frage, ob eine militärische Auseinandersetzung mit China droht, und der Wirtschaftswissenschaftler Kai Kleinwächter beleuchtet die ökonomische Lage der Ukraine vor dem Krieg. Das Land sei schon arm gewesen und verarme mit dem Krieg weiter, gibt Kerstin Kaiser einen Ausblick. Umso dringender sei es, den Krieg schnell zu beenden. Die Ukraine würde sonst immer mehr zum Spielball ihrer Geldgeber werden, was eine demokratische Entwicklung erschwere.
Besorgt ist die Slawistin, die einst in Leningrad studierte, über das Erstarken der AfD. Dabei sei diese keine Friedenspartei und schon gar kein Freund Russlands. »Die AfD schwimmt auf einer Welle und benutzt die Verantwortung der Deutschen, sich für die im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion angerichteten Verheerungen schuldig zu fühlen.«
Dass viele Wähler Die Linke nicht mehr als Friedenspartei wahrnehmen, ist Kerstin Kaiser bewusst. Sie selbst zweifelt nicht: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand in der Linken ist, der Krieg als Mittel der Politik gutheißt.« Und doch gibt es unterschiedliche Ansichten. Die Sollbruchstelle wurde Kaiser zufolge bereits 2021 sichtbar, als es darum ging, im Bundestag darüber abzustimmen, ob die Bundeswehr sich am Rettungseinsatz auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul beteiligen solle. Es mussten damals Menschen herausgeholt werden, die mit dem Einmarsch der radikalislamischen Taliban vom Tode bedroht waren.
»Wir wollen alle Fragen auf den Tisch legen«, kündigt Kaiser für das Friedensforum an. Antworten geben sollen dort auch die Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Linke) und Simona Koß (SPD).
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.