EU: Bis 2024 neues Gemeinsames Europäisches Asylsystem (Geas)

Die EU könnte das Konzept der »sicheren Drittstaaten« künftig ausweiten. Was würde das für Geflüchtete bedeuten? Zwei Fallbeispiele

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zeit drängt: Bis zur EU-Wahl im Juni 2024 wollen die Entscheider*innen der Europäischen Union den Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (Geas) abgeschlossen wissen. Ein Knackpunkt werden die sogenannten sicheren Drittstaaten sein, also Staaten außerhalb der EU, in denen Asylsuchende angeblich Schutz finden sollen. Der Soziologe Gerald Knaus, Gründer der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative, lobbyiert für eine Ausweitung der sicheren Drittstaaten. Er war es auch, der 2015/16 das Abkommen mit der Türkei maßgeblich vorangebracht hat. Obwohl das seit Jahren dysfunktional ist, setzt die EU weiterhin auf Migrationsabkommen mit Staaten, in denen die Menschenrechte nicht eingehalten werden.

Schon jetzt ist es möglich, einen Asylantrag ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig abzuweisen, wenn die asylsuchende Person durch einen »sicheren Drittstaat« gekommen ist. Die Mitgliedsstaaten können selbst entscheiden, welche Länder sie als sichere Drittstaaten bezeichnen. Bisher muss ein solches Land aber entsprechend der Richtlinie ein funktionierendes Asylsystem vorweisen, durch das ein Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet ist. Außerdem muss es die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert haben. Das könnte, wenn sich der Rat hier durchsetzt, künftig aufgeweicht werden. Dann würde es ausreichen, wenn ein Drittstaat »wirksamen Schutz im Einklang mit grundlegenden Menschenrechtsnormen« bereitstellt. Außerdem könnten Asylsuchende in Staaten abgeschoben werden, in denen nur Teilgebiete als sicher gelten beziehungsweise zu denen die Asylsuchenden nur eine lose Verbindung haben. Menschenrechtler*innen befürchten hier eine Hintertür zu einer Art »Ruanda-Modell«, also dass Asylsuchende an Drittstaaten verwiesen werden könnten, in denen sie noch niemals waren.

Das Konzept der sicheren Drittstaaten wurde in Deutschland mit der Asylreform von 1993 eingeführt. Geflüchtete werden dadurch verpflichtet, im ersten sicheren Land, das sie betreten, Asyl zu beantragen. Institutionalisiert wurde dieses Prinzip mit dem Dublin-System. Es hat dazu geführt, dass die Zahl der Geflüchteten innerhalb der EU sehr ungleich verteilt war. Obwohl offiziell alle EU-Staaten als sichere Drittstaaten gelten, haben deutsche Gerichte Abschiebungen nach Griechenland in der Vergangenheit verboten, weil es dort kein menschenwürdiges Leben für Geflüchtete gibt. Auch der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung wird von europäischen Staaten wie Griechenland, Polen, Litauen, Malta immer wieder verletzt, ohne dass die EU-Kommission einschreitet. »Mit einer ausgeweiteten Drittstaatenregelung würde sich die EU weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen. Und das, obwohl schon jetzt zwei Drittel der weltweiten Flüchtlinge in armen und einkommensschwachen Ländern aufgenommen werden«, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl zu »nd«.

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Würde man in Zukunft Drittstaaten außerhalb der EU und assoziierten Staaten zu sicheren Staaten für Asylsuchende deklarieren, wäre es noch schwerer, die Einhaltung der Menschenrechte zu kontrollieren und mögliche Verletzungen zu sanktionieren. Während des laufenden Trilogs zum Geas schließt die EU Migrationsabkommen mit Drittstaaten, in die die EU nach geltendem Recht Asylsuchende nicht zurücksenden dürfte. Diese Vereinbarungen zielen in erster Linie darauf, dass der Drittstaat Asylsuchende an der Weiterreise in die EU hindert. Im Gegenzug erhalten die Staatsangehörigen des jeweiligen Landes bessere Visa-Bedingungen. Es ist im Grunde also ein Kuhhandel: Die EU erleichtert kontrollierte Arbeitsmigration für Staatsangehörige dieser Drittstaaten, letztere setzen im Gegenzug Asylsuchende fest. Wir haben uns zwei Staaten genauer angesehen, in denen es bereits jetzt Abkommen mit der Europäischen Union gibt: die Türkei und Serbien. Beide sind keine Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, haben aber die Genfer Flüchtlingskonvention zumindest in Teilen ratifiziert. Aber wie steht es um die Menschenrechte in der Praxis?

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