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Bonnie »Prince« Billy: Neues Album gefällt auch Großmüttern
Der US-Songwriter Will Oldham aka Bonnie »Prince« Billy über intuitives Songwriting, die therapeutische Wirkung von Musik und Songs, die auch älteren Damen gefallen
In einer schnelllebigen Welt wie der unseren: Wie relevant ist es, wochen- und monatelang an einem einzigen Song zu feilen, so wie Sie es tun?
Jeder Kreative kennt diese Vorstellung: Was wir machen, ist überflüssig. Wir wissen, dass es nicht so ist. Schon allein deshalb, weil so ein Arsch aus Skandinavien mit der Idee, dass die Menschen einen Bedarf für Musik haben, Milliardär geworden ist.
Sie sprechen von Spotify-Gründer Daniel Ek?
Sie wissen, wen ich meine. Und wir beide wissen, dass Songs wie die auf dem neuen Album einen Wert haben! Gleichzeitig weiß ich, dass ich abstrakte Dinge erschaffe. Ich kann ihren Wert nachvollziehen, aber ich kann ihn nicht erklären. Die Texte meiner Songs könntest du deiner Großmutter zeigen und sie würde sagen: Oh, interessant, wie schön, dass du das hörst. Ich mache Songs, die man auch in einem Eisenwarenladen finden könnte.
Die Metapher passt. Handgemacht, mit Hingabe geschnitzt, so klingen Ihre Songs auf dem neuen Album »Keeping Secrets Will Destroy You«. Es gibt weder Schlagzeug noch elektrische Gitarren, dafür Geige, Mandoline und Saxophon. Wer sind Ihre Mitmusiker*innen?
Es sind alles Freunde, die meisten wohnen hier in Louisville, Kentucky. Eine ist im Hauptberuf Buchhalterin, einer arbeitet für eine klassische Musikakademie, ein anderer leitet die Louisville Folk School.
Der US-amerikanische Singer/Songwriter Will Oldham, geboren 1970, nennt sich nun schon seit einem Vierteljahrhundert Bonnie »Prince« Billy. In Country, Folk und Americana ist er zuhause, zu hören auf über 30 Alben. Er bewundert Merle Haggard und Willie Nelson, hat sich aber nie einer bestimmten Szene zugehörig gefühlt und genießt einen Ruf als Exzentriker. Sein neues Album heißt »Keeping Secrets Will Destroy You« (Domino Records).
Arbeiten Sie gerne mit Leuten, die hauptberuflich anderes machen?
Schon als Kind dachte ich: Wir sollten uns Künstlern widmen, deren Einflüsse von außerhalb ihres eigentlichen Mediums kommen. Leuten, die nicht nur ihr eigenes Instrument spielen, sondern auch die Sprache der Musik voranbringen – und sie in die Hirne der jungen Leute stecken. Ich mag es, wenn die Musiker eine ganz eigene Welt mitbringen.
Schon als Teenager, als Sie noch Schauspieler werden wollten, haben Ihnen verschiedene Menschen nahegelegt, mit dem Songwriting anzufangen. Haben die etwas in Ihnen gehört, was Sie selbst nicht realisierten?
Ich habe schon damals mehr über Musik nachgedacht als über alles andere. Ich bin in einer künstlerischen Umgebung aufgewachsen und habe intensiv am Theater gearbeitet. Aber irgendwann fühlte es sich nicht mehr danach an, als hätte es das Potenzial, meine Existenzgrundlage zu sein. Bestimmte Leute, darunter mein Bruder, bemerkten, dass ich viel Energie hatte, aber nicht wusste, wohin damit. Sie sagten buchstäblich: schreib jetzt einen Song! Das war fantastisch. Wenn du all das, was in dir ist, auf ein Instrument zu übertragen weißt, kann dich das für den Rest deines Lebens begleiten.
Warum hat Musik diese Kraft?
Ob du ein wirklich aktiver Musiker bist oder nicht: Musik ist eine Macht. Sie arbeitet mit der Zeit zusammen. Die Zeit ist unaufhaltsam, du willst sie anhalten, aber es geht nicht. Musik ist dein Begleiter durch die Zeiten. Sie hält deine Hand, begleitet dich für zwei oder zehn Minuten, gibt dir Ordnung und Struktur. Wir müssen uns mit Vergänglichkeit auseinandersetzen. Also halt bitte meine Hand.
Erkennen Sie einen guten Song sofort, wenn Sie ihn hören?
Für mich ist es wichtig, etwas zu erschaffen, was kein anderer erschaffen kann. Wenn ich also Songs höre, suche ich nach solchen, die ich unendlich oft hören kann. Willie Nelsons »I’d Have to Be Crazy« ist so einer, der haut mich noch immer um. Das ist ein großer Song, weil darin so viel passiert.
Spricht man mit Musiker*innen, sagen die oft, Songwriting sei wie Therapie für sie. Für Sie auch?
Es ist mehr als das, es ist eine handfeste Umsetzung von Therapie. Ich war jahrelang in Therapie. Aber in irgendwelchen Praxisräumen passiert gar nichts – wichtig ist die praktische Umsetzung. Denn was ist, wenn du dich bei dieser persönlichen Erforschung nur im Kreis drehst? Deine Gedanken können total sinnlos sein. Songtexte schreiben kann dieses Sich-im-Kreis-drehen aufbrechen. Und Musik hören. Du magst feststecken, dann hörst du einen Song – und er befreit dich. Für fünf Minuten – aber vielleicht auch für eine ganze Woche. Das ist keine kleine Sache. Therapie kann großartig sein. Aber darüber hinaus: Es ist Zeit, den Arsch hochzukriegen und zu leben.
Warum eigentlich der Titel »Keeping Secrets Will Destroy You«? Sind Geheimnisse nicht eigentlich wichtig für große Kunst?
Natürlich, wenn ich Musik mache, gibt es immer ein Minimum an Täuschung. Schließlich gibt es schon in der Musikindustrie soviel Lug und Trug. Dasselbe trifft auf die Zuhörer-Seite zu. Wie wenig die Hörerfahrung eines bestimmten Songs oft mit der Entstehung dieses Songs oder mit der wahren Identität des Künstlers zu tun hat. Da machen sich die Hörer oft etwas vor.
Ihre Songs sind voll von schrägem Humor, rätselhaften Sprachbildern und Naturmetaphern. Da treten schon einmal gewalttätige Bäume auf, um sich für das zu rächen, was die Menschheit ihnen angetan hat. Und dann gibt es da noch die Eichen, die stärker und geduldiger sind als die hinterhältigen Weiden.
Ich habe »Willow, Pine and Oak« wirklich nur über Bäume geschrieben. Und als ich ihn dann gespielt habe, gab es wissendes Gelächter unter den Zuschauer*innen. Weil sie Menschen in den Bäumen erkannt haben. Das ist kein Zufall. Ich habe jetzt ein bisschen Songwriting-Praxis. Wenn ich eine Zeile schreibe, weiß ich, dass sie nur funktioniert, wenn sie mehr als eine Bedeutung hat. Ich muss darüber nicht groß nachdenken. Sie funktioniert einfach.
Gilt das auch für die Musik?
Ja. Erst wenn ich einen Song live performe, merke ich, dass er nur aufgrund eines bestimmten Akkord-Wechsels funktioniert. Beim Schreiben ist mir das gar nicht aufgefallen.
Kennen Sie Schreibblockaden beim Songwriting?
Nein. Wer solche Blockaden hat, der sollte doch die großartige Gelegenheit nutzen, um einen anderen Karrierepfad einzuschlagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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