Hebammen in Brandenburg: Schwere Geburt

In Brandenburg arbeiten mehr Hebammen als früher, aber jede dritte geht bis 2033 in Rente

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei von vier Müttern in Brandenburg sind zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit der Art, wie sie bei der Geburt ihrer Kinder im Kreißsaal von einer Hebamme betreut wurden. In 43 Prozent der Fälle war diese Hebamme auch nur für sie da. Manchmal allerdings musste sich die Hebamme zur selben Zeit noch um eine weitere Gebärende kümmern. Personalengpässe waren dafür verantwortlich.

Trotzdem sagt Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne): »Im Moment gibt es keinen Mangel an Hebammen.« Dies steht im Widerspruch zu allem, was noch vor ein paar Jahren zu hören und zu lesen war. Doch ein Gutachten zur derzeitigen und künftigen Situation bestätigt die Ministerin. Monika Sander vom Iges-Institut, einer Forschungs- und Beratungseinrichtung für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen, präsentiert dieses Gutachten am Montag in Potsdam. Auf 267 Seiten ist unter anderem festgehalten, dass im Bundesland gegenwärtig 601 Hebammen beruflich tätig seien. Obwohl das eine sehr konkrete Zahl ist, wurde sie doch nur geschätzt. Eine genaue Statistik gebe es nicht, bedauert Sander. Die Zahl der freiberuflichen Hebammen ist seit 2010 um 20 Prozent auf 503 gestiegen, die der angestellten um 42 Prozent auf 248. Zusammengerechnet wären das deutlich mehr als 600. Aber es gibt Hebammen, die fest angestellt sind, darüber hinaus jedoch noch freiberuflich arbeiten. Etwa ein Viertel der Hebammen fallen darunter. Sie werden dann doppelt gezählt.

Verglichen mit der Situation noch vor einigen Jahren hört sich alles ganz gut an. Doch die Schwierigkeiten sind keineswegs überwunden. Sie werden sogar wieder größer. Daraus macht Nonnemacher auch überhaupt keinen Hehl. Denn ein Drittel der Hebammen wird in den kommenden zehn Jahren das Rentenalter erreichen – und die extra geschaffenen Ausbildungskapazitäten sind längst nicht ausgeschöpft. 18 der vorhandenen Studienplätze an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sind zwar besetzt – damit befinden sich zurzeit in Brandenburg so viele Hebammen in Ausbildung wie nie zuvor. Es wäre allerdings Platz für 35 Studierende und es wäre bitter nötig, diese Möglichkeit auszuschöpfen.

Es klemmt bei der praktischen Ausbildung. Pro angehender Hebamme müsste es in einem Kreißsaal 40 Geburten im Jahr geben, rechnet die Ministerin vor. 45 Prozent der Geburtskliniken verzeichnen aber jetzt schon insgesamt weniger als 500 Geburten im Jahr. Das limitiere die Ausbildung, sagt die Politikerin. So könnte die niedrige Geburtenrate paradoxerweise zu einem Hebammenmangel führen.

Und es kommt noch schlimmer. Die Zahl der Geburten sinkt weiter. 19 029 Neugeborene verzeichnete das Land Brandenburg im Jahr 2021. Im vergangenen Jahr waren es lediglich 17 439. Das waren noch weniger als in den ohnehin schon düsteren Prognosen vorhergesagt – und das, obwohl zuletzt viele Geflüchtete eintrafen, die im Schnitt deutlich mehr Kinder zur Welt bringen als deutsche Erwachsene, wie die Ministerin erinnert. Bundesweit führte das zu einem erfreulichen Anstieg der Geburtenzahl, in Brandenburg unterm Strich aber nicht. Die Bevölkerung Brandenburgs wächst indessen sogar wieder leicht, aber ausschließlich weil mehr Einwohner zu- als wegziehen. Daneben halten die Geburten mit den Sterbefällen lange nicht Schritt. In dieser Hinsicht »geht die Schere immer weiter auseinander«, sagt Nonnemacher. Verantwortlich sei der Geburtenknick nach der Wende. Die Kinder, die damals nicht zur Welt kamen, können jetzt nicht Eltern werden.

Hebammen in Brandenburg
  • Im Jahr 2021 waren 35 Prozent der Hebammen im Land Brandenburg 55 Jahre und älter.
  • In den Geburtskliniken sind 43 Prozent der dort überwiegend fest angestellten Hebammen 50 Jahre und älter.
  • Nur 23 Prozent der in Brandenburg tätigen Hebammen haben ihre Ausbildung hier absolviert. 29 Prozent haben das in Berlin getan, jeweils zwölf Prozent in Sachsen und in Sachsen-Anhalt sowie 24 Prozent in anderen Bundesländern oder im Ausland.
  • Von den angehenden Hebammen, die derzeit noch in Ausbildung sind, will fast jede Dritte später eher nicht oder auf gar keinen Fall in Brandenburg bleiben.
  • Fast alle in den Geburtskliniken tätigen Hebammen machen Überstunden, ein Drittel von ihnen mindestens 20 Überstunden pro Monat. Mehr als die Hälfte dieser Hebammen sagt, das habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. af

25 Brandenburger Krankenhausstandorte verfügen über eine Geburtshilfe, doch drei von diesen sind vorübergehend geschlossen – die in Rathenow seit Januar 2021, die in Templin seit Mitte April 2023 und die in Eisenhüttenstadt seit Juli.

»Weitere Schließungen von Geburtsstationen drohen«, erklärt Gutachterin Sander. »Ursachen sind sinkende Geburtszahlen, Personalmangel und Nachwuchsprobleme.« Jahr für Jahr kommen zwischen 4500 und 5000 Brandenburger Babys in Berliner Krankenhäusern zur Welt. Das bringt die Brandenburger Kliniken zusätzlich unter Druck. Denn mit einer nur geringen Zahl von Geburten lässt sich ein Kreißsaal nicht wirtschaftlich betreiben und es gibt dann auch weniger Möglichkeiten, Hebammen auszubilden. Nonnemacher lädt zum Dialog ein, um gemeinsam Wege zu finden, »auf den allumfassenden Strukturwandel und die sich ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren«.

Ein Hoffnungsschimmer ist ein zweiter Hebammenstudiengang, der im Herbst an einer neuen privaten Hochschule für Gesundheitsfachberufe in Eberswalde starten soll.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.