»Es ist extrem wichtig, dass der Einsatz von KI reguliert wird«

Der aktuelle Streik von Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen legt Hollywood lahm. Doch was passiert hierzulande? Hans-Werner Meyer vom Bundesverband Schauspiel (BFFS) über die Situation der Schauspieler*innen in Deutschland

Ist das hier noch Robert Taylor als Agent Jones oder schon sein Avatar? Standbild aus dem ersten Teil der »Matrix«-Filmreihe von 1999
Ist das hier noch Robert Taylor als Agent Jones oder schon sein Avatar? Standbild aus dem ersten Teil der »Matrix«-Filmreihe von 1999

Herr Meyer, Schauspieler*innen in den USA streiken schon seit knapp zwei Monaten. Warum legen ihre Berufsgenoss*innen in Deutschland nicht die Arbeit nieder?

Ein Streik ist ja ein Arbeitskampfinstrument, das in bestimmten Situationen eingesetzt wird: immer dann, wenn Tarifverhandlungen gescheitert sind. Das ist in Deutschland gerade nicht der Fall – zumindest, was den Film- und Fernsehbereich angeht. Mit dem Deutschen Bühnenverein sind die Verhandlungen derzeit allerdings zäh, darum sieht die Situation da gerade potenziell anders aus.

Wie ist denn die Situation der Schauspieler*innen hier im Vergleich zu den USA? Werden sie ähnlich schlecht entlohnt?

In Deutschland verdienen vier Prozent der Schauspieler*innen über 100 000 Euro im Jahr, 70 Prozent hingegen unter 30 000. 60 Prozent sogar unter 20 000. In den USA ist es ähnlich – mit dem Unterschied, dass die Spitzenverdiener*innen dort umgerechnet weit über 100 000 Euro im Jahr verdienen dürften. Eine so große Spannbreite gibt es hier nicht. Es kann hier nicht passieren, dass man eine erfolgreiche Serie dreht und dann nie wieder arbeiten muss.

Interview

Hans-Werner Meyer ist Schauspieler, Mitbegründer des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) und seit dessen Gründung im Jahr 2006 Vorstandsmitglied. Er war Ensemblemitglied an der Schaubühne, spielte in über 200 Film- und Fernsehproduktionen, liest Hörbücher ein und tritt mit seiner A-Capella-Gruppe Meier & die Geier auf. Gerade laufen die Dreharbeiten zur 13. Staffel der ZDF-Krimiserie »Letzte Spur Berlin« mit ihm in der Hauptrolle des Oliver Radek.

Und wie sieht es mit der Schauspielgewerkschaft und ihrer Arbeit aus, worin bestehen hier die Unterschiede im Vergleich zu den USA?

In den USA gibt es die sogenannte Closed-Shop-Situation: Man kann dort im Grunde nur als Schauspieler*in arbeiten, wenn man Gewerkschaftsmitglied ist. Die Gewerkschaft übernimmt dort aber auch Leistungen, für die hier der Sozialstaat verantwortlich ist, wie Krankenversicherung und Altersvorsorge. In Deutschland würde eine solche Regelung, die Nichtgewerkschafter*innen ausschließt, gegen die vom Staat zugesicherte negative Koalitionsfreiheit verstoßen. Dass der Bundesverband Schauspiel trotzdem über 4000 Mitglieder verzeichnet, etwa ein Viertel aller arbeitenden Schauspieler*innen, ist bemerkenswert.

Ein weiterer Unterschied ist, dass die Schauspielgewerkschaft in den USA, die SAG-AFTRA (Screen Actors Guild – American Federation of Television and Radio Artists) nur einen großen Verhandlungsgegner beziehungsweise -partner hat, die AMPTP (Alliance of Motion Picture and Television Producers). Dieser Verband von TV- und Filmstudios umfasst den ganzen Produktions- und Verwertungsprozess, also auch die Ausstrahlung. Hierzulande agieren Produzenten und Verwerter unabhängig voneinander. Wir verhandeln mit vielen Parteien einzeln.

Im größten Filmstudio Europas, dem Studio Babelsberg in Potsdam, wurde wegen des Streiks in Hollywood Anfang dieses Monats Kurzarbeit eingeführt. Betrifft das auch Schauspieler*innen?

Nein, das hat mit uns nicht so viel zu tun. Es gibt natürlich deutsche Schauspieler*innen, die in US-Produktionen mitspielen, aber das sind verhältnismäßig wenige. Der Streik hat vor allem Auswirkungen auf die Angestellten, die dort die Studios am Laufen halten.

Die Streikenden in den USA erheben hauptsächlich zwei Forderungen. Zum einen geht es ihnen darum, dass Schauspieler*innen auch von Streaming-Plattformen wie Amazon und Netflix Tantiemen für Wiederholungen erhalten sollen. Zum anderen soll der Einsatz von Künstlicher Intelligenz reguliert werden. Die Schauspieler*innen fürchten, durch KI-generierte Avatare ersetzt zu werden – das betrifft besonders Kompars*innen. Inwiefern ist KI auch hierzulande eine Bedrohung? Im deutschen Kino wird eher selten innovative Technik verwendet, so mein Eindruck.

Die Firma Volucap, die in Babelsberg sitzt, stellt solche Avatare her. Sie arbeitet intensiv an Künstlicher Intelligenz im Bildbereich. Bisher waren das meist Auftragsarbeiten für internationale Produktionen, zum Beispiel die »Matrix«-Filme. Derzeit ist es noch ziemlich teuer, solche Avatare zu entwickeln, und die Produktionsfirmen können damit noch nicht im großen Stil einsparen, außer bei Kompars*innen. Ich bin aber sicher, dass KI angewendet werden wird, sobald sich das ändert. Schon jetzt gibt es eine Software, die die Stimme von Schauspieler*innen in anderen Sprachen sprechen lassen kann, was Synchronschauspieler*innen gewissermaßen obsolet macht. Es werden auch schon ganze Hörbücher von KI eingelesen. Wegen dieser Entwicklungen ist es extrem wichtig, dass der Einsatz von KI reguliert wird.

Wie soll das geschehen?

Im Herbst soll es eine neue Gesetzgebung auf EU-Ebene geben. Anders als bei der Debatte über das Urheberrecht vor ein paar Jahren, als Netzaktivisten vehement gegen eine strengere Regulierung protestierten, ist diesmal den meisten Menschen bewusst, dass hier eine Regelung notwendig ist, zumal KI ja unser aller Leben massiv verändern und auch in anderen Berufen Jobs überflüssig machen wird. Die Situation ist gerade übrigens noch alarmierender: Damals ging es darum, dass man die Urheber*innen nicht um ihren Lohn bringt. Jetzt geht es darum, dass man sie nicht überflüssig macht.

Wäre das auch aus künstlerischer Sicht problematisch?

Auf jeden Fall. Künstliche Intelligenz kann nichts erfinden, sie kann nur lernen und zusammenbauen auf eine Weise, die sie selbst nicht versteht. Bei Filmen wie der »Matrix«-Reihe mag das funktionieren, aber die gehören zu einem bestimmten Genre, das man sich wegen der Effekte ansieht und nicht, weil einen das Spiel der Darsteller*innen berührt. Hinzu kommt, denke ich, dass Menschen die Personen hinter den Geschichten kennen wollen, die ihnen erzählt werden – seien es die Regisseur*innen, die Autor*innen oder die Schauspieler*innen. Zwar können auch Avatare Persönlichkeiten haben, wir vergessen jedoch nicht, dass sie nicht menschlich sind.

Es ist natürlich möglich, dass man Menschen, die einen mit ihrem Spiel überraschen können, irgendwann nicht mehr vermisst, dass man sich an eine gleichförmige Mittelmäßigkeit gewöhnt hat, ähnlich wie beim Autotune in der Popmusik – das ist allerdings eine Dystopie.

Kommen wir zum Schluss zum Bundesverband Schauspiel, dessen Gründungsmitglied Sie sind und dem Sie vorstehen. Warum gibt es die Gewerkschaft erst seit 2006? Was gab es davor?

Nichts von Bedeutung, und das war ein Problem. Es war zwar vielen schon länger klar, dass wir dringend eine Interessenvertretung brauchen, aber es musste jemanden geben, der das in die Hand nimmt. Das war dann vor 17 Jahren schließlich Michael Brandner. Er hat sechs weitere Kolleginnen und Kollegen gefunden, und wir haben gemeinsam den Verband gegründet. Drei Jahre zuvor war die Deutsche Filmakademie samt einer Schauspielersektion gegründet worden. Man kann sich also organisieren, dachten viele Leute, und von dieser neuen Energie war die Gründung des BFFS beflügelt. Seitdem ist der Verband stetig gewachsen. Jetzt gibt es Strukturen, die nicht mehr wegzudenken sind.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften im Feld der Darstellenden Künste, zum Beispiel dem Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD)? In den USA streiken ja gerade Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen gemeinsam.

Als es 2018 um das Urheberrechtsgesetz ging, haben wir eng mit dem VDD zusammengearbeitet, wir sind zusammen mit weiteren Interessenvertretungen in der »Initiative Urheberrecht« organisiert. Wenn es jetzt um die Regulierung von KI geht, streben wir wieder eine enge Zusammenarbeit an. Ansonsten führen die Drehbuchautor*innen hier ihre eigenen Verhandlungen, das machen die Drehbuchautor*innen in den USA aber auch.

Welche Erfolge hat der BFFS bislang vorzuweisen?

Hier alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, deshalb nur die wichtigsten: 2013 haben wir den ersten Tarifvertrag für Schauspieler*innen überhaupt ausgehandelt, er betraf die Einstiegsgage. Eine Altersvorsorge durch die Pensionskasse Rundfunk gab es zwar schon vor unserer Gründung, aber viele Produktionsunternehmen haben da nicht eingezahlt oder standen kurz davor, wieder auszusteigen. Das haben wir mit der sogenannten »Limburger Lösung« 2016 verhindert. 2018 haben wir mit einem Tarifvertrag die Tageshöchstarbeitszeit von 13 auf 12 Stunden reduziert. Im selben Jahr konnten wir einen verbesserten Zugang zum Arbeitslosengeld I erwirken – für Menschen, die überwiegend kurzzeitig beschäftigt sind, nicht nur für Schauspieler*innen. Die müssen jetzt nur die Hälfte der Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld I aufbringen. Und 2020 haben wir einen wichtigen Tarifvertrag mit der Streaming-Plattform Netflix über Einstiegsgagen und Folgevergütung geschlossen.

Und was kommt als Nächstes?

Derzeit geht es um Folgevergütungen für Synchronschauspieler*innen. Und demnächst wird es Tarifverhandlungen mit der ARD geben, wieder zusammen mit Verdi. Drücken Sie uns die Daumen!

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