- Kommentare
- EU-Regionalpolitik
Den Regionen eine Stimme in Europa geben
Martina Michels und Frederike-Sophie Gronde-Brunner über linke Regionalpolitik
Anfang Oktober findet in Brüssel die diesjährige Europäische Woche der Regionen und Städte statt. Zur Jubiläumsveranstaltung – die #EURegionsWeek wurde 2003 aus der Taufe gehoben – werden mehr Teilnehmer*innen als je zuvor zu den Beratungen, zum Meinungsaustausch, zu Kontaktbörsen und zu verschiedenen Ausstellungen in der »EU-Hauptstadt« erwartet. Über 10.000 Anmeldungen gibt es bereits; 300 Journalist*innen werden erwartet. Veranstalter sind der Europäische Ausschuss der Regionen und die Generaldirektion für Regional- und Städtepolitik der EU-Kommission sowie weitere Partner.
Ein großes Event. Aber welche Bedeutung haben die Regionen und Kommunen für die Europäische Union? Und welche Bedeutung hat die EU für Gebiete und Städte in den Mitgliedstaaten?
Tatsächlich gehen heute bis zu 70 Prozent der nationalen Gesetze und Vorschriften auf EU-Richtlinien und Regelungen zurück. Ob das die Vorschriften für Stromnetze und Produktsicherheit, die Gesundheits- und Asylpolitik oder die Wasserrahmenrichtlinie sind – alles beginnt in Brüssel und bestimmt letztlich unser aller Leben, egal wo wir in der EU leben.
Die Linke-Politikerinnen Martina Michels und Frederike-Sophie Gronde-Brunner sind in der Regionalpolitik aktiv - die eine im Europaparlament, die andere in Berlin.
Nicht immer werden die europäischen Vorgaben eingehalten. Nehmen wir als Beispiel die Wasserrahmenrichtlinie: Mit dieser Rahmenverordnung soll bis 2027 eine nachhaltige Nutzung der Wasserressourcen erzielt werden. Dazu gehört, Gewässer in einen guten Zustand zu versetzen – unter anderem die Einleitung gefährlicher Stoffe zu reduzieren –, aber auch die Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und die Minderung der Auswirkungen von Überschwemmungen und Dürren. Das große Fischsterben in der Oder im vergangenen Jahr beispielsweise war die Folge eines Verstoßes gegen die Richtlinie: Polnische Unternehmen hatten salzhaltige Stoffe in den Fluss eingeleitet. Auch Deutschland verschleppt die fristgerechte Umsetzung.
Die Regelungen »aus Brüssel« sind aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die sogenannte Regionalpolitik, oft auch als Kohäsionspolitik bezeichnet. Dieser Bereich ist einer der zentralsten der EU-Politik und verfolgt das Ziel, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft zu stärken. Dies soll mittels der Verringerung des Strukturgefälles zwischen einzelnen Regionen sowie durch Förderung einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung geschehen. Diese Angleichung der Lebensverhältnisse ist ein im Vertrag von Lissabon verankerter Auftrag.
Europäisch zu denken heißt auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass es noch viele unterentwickelte Regionen in der EU gibt. Diese liegen vor allem im Süden und Osten der Gemeinschaft. Praktisch umgesetzt wird die Regionalpolitik vor allem über spezielle Fonds, wie den Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus und den Europäischen Fonds für Ländliche Entwicklung. Für die Regionalpolitik stehen in den Haushaltsplänen der EU stets mit die größten Summen bereit: Im laufenden mehrjährigen Finanzrahmen (2021 bis 2027) macht der entsprechende Bereich »Zusammenhalt, Resilienz und Werte« mit rund 378 Milliarden Euro sogar den größten Posten aus. Das entspricht etwa einem Drittel des gesamten EU-Haushalts.
Das hat seine Gründe. Beim Kampf gegen den Klimawandel – Stichwort Ausstieg aus fossilen Energieträgern und dessen strukturelle und soziale Auswirkungen –, bei der Migrationspolitik und bei der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie stehen die Regionen und Kommunen vor gewaltigen Aufgaben. Und die Lasten sind unterschiedlich verteilt. Hier braucht es Mechanismen, um neu entstehende Ungleichgewichte aufzufangen. Es braucht Regeln, um die Vergabe der Fördermittel zum Beispiel so abzusichern, dass nicht nur die Großen davon profitieren, sondern vor allen Dingen kleine, mittelständische Unternehmen unterstützt werden, die Projekte vor Ort realisieren.
Hierfür braucht es eine starke Linke im EU-Parlament, damit wir uns weiterhin im zuständigen Ausschuss für die Belange und stärkere Mitbestimmung der Regionen einsetzen können. Nur so können wir Politik gemeinsam mit den Menschen vor Ort und in ihrem Sinne gestalten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.