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30 Jahre Osloer Verträge: Von Frieden keine Spur
Die Osloer Abkommen sollten den Konflikt zwischen Palästina und Israel lösen – stattdessen wurde nur er weiter verfestigt
Die Ereignisse vor 30 Jahren sind in diesen Tagen selten Thema in den israelischen Medien. Vor dem Obersten Gerichtshof geht es um die umstrittene Justizreform. Und außenpolitisch deutet alles auf einen baldigen Friedensschluss mit Saudi-Arabien hin. »Oslo«, wie die Serie von Verträgen genannt wird, die zwischen September 1993 und September 1995 unterzeichnet wurde, gilt heute in Israels Politik und Öffentlichkeit als gescheitert: Die Palästinenser*innen wollten doch gar keinen Frieden, heißt es dann meist, unter Verweis auf Anschläge und Ausschreitungen.
Und auch auf der palästinensischen Seite sieht man das, was davon übrig geblieben ist, vor allem als hinderlich. Die palästinensische Autonomiebehörde (PA), Ergebnis des Osloer Friedensprozesses, hangelt sich gerade so durch. Das »Pariser Protokoll«, das die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Israel und der PA regelt, wurde zum Stolperstein. Und der israelische Siedlungsbau macht einen zusammenhängenden, überlebensfähigen Staat zunehmend unmöglich.
Vor 30 Jahren sah das alles völlig anders aus. Ab Dezember 1987 hatte die erste Intifada das Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen erschüttert. 1991 sollte dann eine Konferenz in Madrid den Friedensprozess zwischen Israel und Jordanien, dem Libanon und Syrien in Gang bringen, die PLO war Teil der jordanischen Delegation. Doch statt über Sachfragen zu sprechen, stritt man sich zwei Tage lang vor allem darüber, wo die Tischfähnchen stehen und wie groß sie sein sollen. Nach diesem Debakel glaubte kein*e Beobachter*in mehr daran, dass irgendwann irgendwas passieren würde. Bis zu jenem Tag im Spätsommer 1993, als bekannt wurde, dass Vertreter*innen der israelischen Regierung und der PLO monatelang in Oslo verhandelt hatten, ohne dass es jemand mitbekommen hatte. Es herrschten Euphorie und Aufbruchstimmung. Gleichzeitig hagelte es Kritik aus dem rechten Lager.
Denn damals gab es kein Sperrwerk aus Mauern und Zäunen, das die palästinensischen Gebiete von Israel trennte. Zu der Zeit lebten 269 000 Israelis in Siedlungen. Heute sind es 733 000. Vor allem aber war in Israel damals gesellschaftlicher Konsens, dass der Siedlungsbau nur der Sicherheit dienen, vorübergehend sein soll. Die Siedlerbewegung, die den Siedlungsbau aus einer Mischung aus religiösen und ideologischen Gründen vorantreiben will, war seinerzeit noch klein – aber auch radikal. Der Likud, der damals noch, gemessen an Deutschland, eine Mischung aus CDU und FDP war, hatte seit seiner Gründung 1973 vor allem als Hüter des Status quo an Unterstützung gewonnen. Der offizielle Schulterschluss mit der religiös-ideologischen Siedlerbewegung kam erst später.
In der Debatte über »Oslo« ging es damals vor allem darum: Gefährdet dieser Prozess die Sicherheit des Staates? Es war der erste große Auftritt des Politikers Benjamin Netanjahu, der von Anfang an eine gewaltige Drohkulisse aufbaute und dabei nicht davor zurückschreckte, Regierungschef Jitzchak Rabin mit Nazi-Kriegsverbrechern zu vergleichen.
Am 4. November 1995 wurde Rabin von einem jüdischen Attentäter erschossen. Und wenn man heute im Rückblick nach dem Moment sucht, an dem »Oslo« zu scheitern begann, dann war es wahrscheinlich dieser. Denn wenn man Jahrzehnte lang verfeindet war und sich gewaltsam bekämpft hat, dann braucht der Prozess der Annäherung Zeit und Konstanz im Verhalten. Und beides war plötzlich nicht mehr da. Die israelische Öffentlichkeit hatte nie die Möglichkeit gehabt, sich daran zu gewöhnen, dass die Übergestalt Yassir Arafat, dessen PLO über Jahrzehnte opferreiche Attentate verübt hatte, nun ein Verhandlungspartner sein, gar einem werdenden Staat direkt in der Nachbarschaft vorstehen sollte. Und die palästinensische Öffentlichkeit musste lernen, dass der bewaffnete Kampf zu Gunsten einer Verhandlungslösung vorüber ist.
Im Juni 1996 kam Netanjahu zum ersten Mal und nur für wenige Jahre an die Macht. Doch die weitere Umsetzung des Osloer Prozesses lag nun auf Eis und zeigte zum ersten Mal sehr deutlich, wie stark ein solcher Prozess von den politischen Mehrheitsverhältnissen abhängig ist. Zwar verhandelten auch Netanjahu und seine Nachfolger weiter; unter Ariel Scharon wurden sogar 1995 alle Siedlungen im Gazastreifen und vier im nördlichen Westjordanland geräumt. Aber nichts davon lieferte den Impuls, den stockenden Motor wieder zum Laufen zu bringen.
Ein Faktor dabei war auch, dass sich auf der palästinensischen Seite eine gesellschaftliche und politische Spaltung anbahnte. Im Zuge der ersten Intifada hatte sich die Hamas gegründet, die schon ab Mitte der Neunzigerjahre begann, den Friedensprozess mit Selbstmordanschlägen zu torpedieren und damit den Kritiker*innen in Israel genau die richtigen Argumente lieferte. Arafat konnte dem nichts entgegensetzen und sein Nachfolger Mahmud Abbas erst recht nicht. 2006 erhielt die Hamas bei den Parlamentswahlen die Mehrheit, 2007 übernahm sie die Macht im Gazastreifen.
Während Israel und Saudi-Arabien sich nun auf einen Friedensvertrag hinbewegen, ist die palästinensische Sache wenigstens wieder zum Thema geworden. Es könne eine »signifikante palästinensische Komponente« darin enthalten sein, so der nationale Sicherheitsberater Zachi Hanegbi, ohne zu sagen, was das wohl sein könnte: Mit den rechtsextremen Regierungspartnern Netanjahus dürften keine substanziellen Zugeständnisse machbar sein. Und für Saudi-Arabien, wie für viele andere arabische Staaten, spielt die Palästina-Frage keine große Rolle mehr. Es ist ein Thema, das man auf der Liste abhakt, so scheint es.
Das Scheitern Oslos ist auch ein Scheitern der internationalen Diplomatie und Politik. Als 1996 die Hamas die Parlamentswahlen gewann, versuchten vor allem die Europäische Union und die USA über eine Einstellung der Finanzhilfen Druck auf die Palästinenser auszuüben, vergeblich: In Palästina wertete man dies als Versuch, das unerwünschte Ergebnis einer weitgehend freien Wahl zu torpedieren. Man drängt auch nicht darauf, dass der mittlerweile extrem unbeliebte, 87-jährige und zudem auch noch diktatorisch regierende Präsident Abbas die seit 15 Jahren überfälligen Wahlen abhalten lässt. Denn man könnte das Ergebnis nicht mögen. Überhaupt beschränkt man sich darauf, die PA irgendwie mit Finanzhilfen am Leben zu halten, mahnende Worte zu sprechen und ansonsten abzuwarten, bis auf beiden Seiten die Rahmenbedingungen für den nächsten »großen Wurf« stimmen.
Gleichzeitig rennt die Zeit davon: Im Gazastreifen sind nur noch acht Prozent des Grundwassers trinkbar, Tendenz stark sinkend; es ist absehbar, dass der gesamte Landstrich sehr bald unbewohnbar werden wird.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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