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Warntag 2023 ein Erfolg - Fragezeichen bleiben
Massive Kritik an Kürzungen für Katastrophenschutz
Handys piepen, im Radio laufen Durchsagen, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Texteinblendungen und draußen heulen Sirenen. So war es idealerweise am Donnerstagvormittag um 11 Uhr. Es war wieder ein bundesweiter Warntag. Und dieser war, glaubt man den ersten Meldungen, ein relativer Erfolg. Das ist keine Selbstverständlichkeit, der erste Warntag im Jahr 2020 war ein Fehlschlag. Das gab damals sogar das Bundesinnenministerium zu. Warnungen über Apps wie Nina oder Katwarn kamen mit Verspätungen bei den Menschen an, und Absprachen zwischen unterschiedlichen Behörden, wer Warnungen auslösen muss, gingen schief. Verschiedene Städte erklärten außerdem, dass es bei ihnen seit dem Ende des Kalten Kriegs gar kein Sirenenwarnsystem mehr gäbe.
Was im September 2020 nur eine Fachöffentlichkeit beunruhigte, verschlimmerte nicht mal ein Jahr später die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, bei der fast 200 Menschen starben. Viele Menschen beklagten nach der Katastrophe, dass sie entweder gar nicht gewarnt wurden, Warnungen nicht wahrnahmen oder diese nicht verständlich waren. Das führte zumindest kurzfristig zu einem Umdenken. Kurz nach der Flut beschloss der Bundestag, auch in Deutschland künftig per Cell Broadcast zu warnen, in anderen Ländern wie den Niederlanden, schon seit Jahren ein etabliertes System. Der große Vorteil der Cell-Broadcast-Warnungen: Sie werden an alle Mobiltelefone in einem Warnbereich gesendet und nicht an technische Hürden wie Warnungen per App gekoppelt. Beim Warntag 2022 wurden über eine Million Nutzer*innen der Warnapp Nina nicht benachrichtigt, weil sie in der App keinen Ort angegeben hatten und von ihren Telefonen keine Standortdaten gesendet wurden. Nutzungsfehler, die beim Cell Broadcast nicht möglich sind. Doch auch an der Umsetzung des Cell Broadcastings gibt es Kritik. Die aus dem Chaos Computer Club hervorgegangene AG Kritis macht in einer aktuellen Meldung darauf aufmerksam, dass in Deutschland ein Standard genutzt wird, bei dem ältere Telefone die Warnungen nicht erreichen. Insgesamt blickt die Arbeitsgruppe aber durchaus positiv auf die Warninfrastruktur. Eine Umfrage des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ergab nach dem letzten Warntag, dass 90,8 Prozent der Bevölkerung durch mindestens ein Warnmittel alarmiert wurden. Das sei ein guter Wert, so die AG Kritis.
Schlechter als die Warnlage per Handy sieht es zum Beispiel mit den Sirenenalarmen aus. »Katastrophenschutz ist keine kommunale Spielwiese!«, kritisiert Manuel Atug, Sprecher der AG Kritis. Er fordert eine Harmonisierung der Landesgesetze für Brand- und Katastrophenschutz. Derzeit würden viele Aufgaben von den Ländern an die Kommunen weitergegeben. Deswegen ist die Sirenenabdeckung und die Anbindung an Stadtinformationssysteme äußerst unterschiedlich.
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Mangelndes Wissen kritisiert auch der Linke-Bundestagsabgeordnete André Hahn. Wichtiger als der Jubel nach dem Warntag sei es, »dass endlich ein Überblick im Bundesministerium für Inneres und Heimat hergestellt wird, wie bundesweit eigentlich der Zustand bei den Warnmitteln ausfällt«. Selbst nach den katastrophalen Extremwetterereignissen der vergangen Jahre genieße das Thema offensichtlich keine Priorität, bemängelt Hahn. Ein Warnmittelkataster, also eine zentrale Übersicht darüber, wo im Land überhaupt (funktionstüchtige) Sirenen stehen, soll erst 2024 fertiggestellt werden. Das Innenministerium hatte in der vergangenen Woche auf eine schriftliche Frage von Hahn eingeräumt, den bundesweiten Ausbaustand des Sirenen-Warnsystems nicht zu erheben und somit nicht zu kennen. André Hahn wirft dem Innenministerium ein »erhebliches Desinteresse« am Thema Katastrophenschutz vor, dies zeuge nicht von »Verantwortungsbewusstsein«.
Schon in der vergangenen Woche kritisierte Hahn während der Haushaltsdebatte die Bundesregierung. »Anstatt aus der todbringenden Flutkatastrophe im Ahrtal vor gut zwei Jahren die richtigen Lehren zu ziehen oder auch aus den verheerenden Waldbränden in der Sächsischen Schweiz oder im Harz, will die Ampel-Koalition die Mittel für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe um 49 Millionen Euro kürzen.« Auch das Technische Hilfswerk soll im kommenden Jahr 42 Millionen Euro weniger bekommen als in diesem Jahr.
Kritik an diesen Plänen kommt nicht nur von den Linken. Zahlreiche Fachleute zeigen sich erschrocken über die Mittelkürzungen. Besonders kritisiert wird die mangelnde Beschaffung von mobilen Betreuungsmodulen. Diese sollen dazu dienen, im Katastrophenfall 5000 Menschen komplett zu versorgen. Geplant war die Anschaffung von zehn solcher Module. Bislang ist lediglich eins ausfinanziert.
Kritik an diesen Sparplänen gibt es auch aus den Regierungsfraktionen. Leon Eckert, bei den Grünen für Bevölkerungsschutz zuständig, bemängelt, der angekündigte Neustart im Bevölkerungsschutz bleibe »auch 2024 ohne die nötige finanzielle Ausstattung hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurück«. Er hofft, das könne im parlamentarischen Verfahren noch »behoben« werden.
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