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Fridays for Future: »Systemkritisch, aber breit anschlussfähig«
Protestforscher Simon Teune über Hochs und Tiefs von Fridays for Future, clevere Bündnisstrategie und die Bedingungen für einen starken Klimastreik
Diesen Freitag steht der 13. globale Klimastreik von Fridays for Future an. 2019 entstand damit eine riesige Bewegung, die inzwischen jedoch stark an Aufmerksamkeit eingebüßt hat. Welche Rolle spielt die Gruppe heute noch in der Klimabewegung?
Die Fridays for Future sind nach wie vor ein zentraler Bestandteil der deutschen Klimabewegung. Sicher haben die Proteste nach einem fulminanten Start an Dynamik verloren. Nachdem die großen Klimastreiks von der Politik mehr oder weniger ignoriert worden sind und nicht zu einer radikal anderen Klimapolitik geführt haben, haben sich viele Menschen gefragt: Was macht das jetzt noch für einen Unterschied, ob ich bei der Demo bin oder nicht? Dadurch sind die Proteste kleiner geworden. Trotzdem kamen nach den Corona-Einschränkungen immer noch zum Teil mehrere Hunderttausend Menschen zu den Klimastreiks. Das ist aber nicht mehr auf den Titelseiten gelandet.
Fridays for Future ist jetzt fünf Jahre alt. Ist es normal, dass eine Bewegung mit der Zeit den Zulauf verliert, oder haben sie sich das selbst zuzuschreiben?
Man kann so eine Mobilisierung nicht über einen längeren Zeitraum in der gleichen Intensität aufrechterhalten. Die Substanz ist schmaler geworden, Ortsgruppen haben sich aufgelöst oder sind weniger aktiv. Viele ehemalige Aktive sind nicht mehr in der Schule und in eine andere Lebensphase eingetreten. Es ist eine ganz normale Entwicklung im Verlauf von sozialen Bewegungen, dass es Mobilisierungshochs und -tiefs gibt. Es kann gut sein, dass der anstehende Klimastreik wieder recht groß wird, weil es bei vielen Leuten eine große Unzufriedenheit über die öffentliche Diskussion der Klimabewegung gibt. Die Menschen sind genervt von der Debatte, ob sich die Letzte Generation auf die Straße kleben darf oder nicht, während das Klimaproblem immer größer wird.
Simon Teune ist politischer Soziologe mit dem Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung an der Freien Universität Berlin. Außerdem sitzt er im Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin, ein selbstorganisiertes uniübergreifendes Institut. 2013 promovierte er an der Freien Universität Berlin über Protest-Rationalitäten. Seit Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung widmet er sich unter anderem dem zivilen Ungehorsam des Schulstreiks.
Allerdings hat sich Fridays for Future ja auch schon einige Fehltritte geleistet: Immer wieder sind Streits öffentlich ausgetragen worden, es gab Rassismus-Vorwürfe gegen die Bundes-Organisator*innen, zuletzt ist die Bremer Ortsgruppe deswegen geschlossen ausgetreten. Wie ordnen Sie diese Geschehnisse ein?
Ich glaube nicht, dass das einen großen Effekt auf die Beteiligung hat. Wenn Menschen politisch zusammenarbeiten, entdecken sie irgendwann Differenzen untereinander. Solche Konflikte durchziehen aber alle Bewegungen und zeichnen nicht Fridays for Future im Besonderen aus. Ich finde eher, dass es bei ihnen einen sehr schnellen Lernprozess gab. Sie sind schnell dazu übergegangen, nicht nur über Klimapolitik zu sprechen, sondern gleichzeitig auch über postkoloniale Herrschaftsverhältnisse, über Rassismus, Sexismus und Antifaschismus. Da gibt es eine lebendige Diskussion und immer wieder sehr durchdachte Positionierungen.
Der Vorwurf des Rassismus hängt aber auch damit zusammen, dass die Gruppe es in fünf Jahren nicht geschafft hat, diverser zu werden, und sich nach wie vor überwiegend aus weißen Schüler*innen und Student*innen rekrutiert. Kann man Ihnen das vorwerfen?
Die Bewegungslandschaft insgesamt ist sehr stark weiß und akademisch dominiert. Das gilt noch mehr für die Umwelt- und Klimabewegung und spiegelt sich auch bei Fridays for Future. Insofern starteten sie mit einem ziemlichen Gepäck. Man hätte mehr Energie auf andere Schulformen richten können. Das ist dann allerdings auch eine Ressourcenfrage. Proteste funktionieren einfach häufig so, dass bestehende, oft homogene Netzwerke genutzt werden, um Menschen zu mobilisieren.
Inzwischen verbündet sich Fridays for Future mit Organisationen, die einen Zugang zu weniger privilegierten oder armutsbetroffenen Menschen haben. Seit dem letzten Klimastreik zum Beispiel mit Verdi. Jetzt haben sie gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband zum Klimastreik aufgerufen. Kann das fehlende Diversität ausgleichen und die Glaubwürdigkeit erhöhen?
Ja, was man in den eigenen Reihen nicht über Repräsentation hinbekommt, das kann man über Bündnisse hinbekommen. Auch von Seiten der Verbände ist ein neues Bewusstsein für die Klimakrise entstanden. Sie setzen sich für eine sozial verträgliche Gestaltung von Klimaschutzmaßnahmen ein. Eine sozial schlecht organisierte Klimapolitik ist auch ein Einfallstor für rechte Deutungsmuster, die sich dann gegen Klimapolitik insgesamt wenden. Das ist nicht im Interesse von Gewerkschaften und Sozialverbänden, weil die das Problem der Klimakrise auch sehen, und dass Menschen, die von Armut betroffen sind, am meisten unter den Folgen leiden werden.
Bewegungsintern wird Fridays for Future oft dafür kritisiert, dass ihre Aktionen zu brav sind: immer dieselben Demos, dieselben Schilder und Parolen, Applaus von der Politik, aber nichts ändert sich. Haben die Klimastreiks dann nicht ausgedient?
Na ja, die Messlatte ist extrem hoch (lacht). Wenn der Anspruch ist, dass die Bundesregierung sofort eine radikal andere Klimapolitik macht, dann sind alle bisherigen Klimaproteste gescheitert. Natürlich gibt es diese Frustration. Trotzdem glaube ich, dass die Fridays for Future nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, weil sie strategisch auf Überzeugung mit wissenschaftlichen Argumenten ausgerichtet sind und gleichzeitig eine radikale Systemkritik vortragen.
Die Systemkritik sehe ich bei anderen Klimagruppen aber sehr viel deutlicher. Darüber gab es durchaus schon Streit zwischen Fridays for Future und anderen Aktivist*innen, die ihnen die Unterdrückung von Kapitalismuskritik vorgeworfen haben, und dass bei Demos der antikapitalistische Block nicht erwünscht war.
Ich würde sagen, es ist eine Frage des Gestus: Will ich betonen, dass der Kapitalismus das Problem ist, oder will ich eine Position formulieren, die systemkritisch ist, aber möglichst breit anschlussfähig? Die Fridays for Future haben den zweiten Weg gewählt, das ist ihre Marke. Sie stehen dafür, dass die Kritik nicht zu unversöhnlich formuliert ist. In der Konsequenz gedacht sind die Forderungen der Fridays for Future aber nur mit einem ganz radikalen Umbau des Wirtschaftssystems machbar. Es ist eine strategisch gewählte, moderate Position.
Was könnte Fridays for Future denn tun, um wieder zu der vollen Stärke von 2019 zurückzufinden?
Dass 2019 so ein großer Moment war für Fridays for Future, hat auch mit einer sehr spezifischen historischen Situation zu tun. Sie wurden von Anfang an von anderen Umweltorganisationen unterstützt. Und es gab mit dem Dürresommer 2018 das erste Mal eine stärkere Wahrnehmung dafür, was die Klimakrise für Deutschland bedeutet. Unter diesen Rahmenbedingungen haben die Proteste an Fahrt aufgenommen. Wie man aus dem Mobilisierungstal wieder zu einem Mobilisierungshoch kommt – das ist eine Frage, die nicht so ohne weiteres zu beantworten ist. Helfen könnte eine symbolische Aufladung, wie es zum Beispiel in Lützerath gelungen ist. Oder ein Extremwetterereignis, das in Deutschland viele Leute betrifft. Bei der Anti-Atombewegung gab es mit der Reaktorhavarie in Fukushima ein solches Ereignis, das zu einer schnellen Wende geführt hat. Aber das ist alles nicht berechenbar.
Außerdem hängt die Wirkmächtigkeit von Protesten sehr stark von der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Art der Berichterstattung ab. Die Letzte Generation saugt gerade den ganzen Sauerstoff der Klimaberichterstattung auf, weshalb die Fridays for Future weniger Beachtung finden. Das liegt auch daran, dass die Straßenblockaden der Letzten Generation deutlich kontroverser sind. Da sind die Emotion und der Konflikt sichtbarer. Der Letzten Generation ist es also gelungen, die Bilder zu erzeugen, die es braucht, um gehört zu werden. Allerdings nicht ohne den Nebeneffekt, dass das, was man sagen will, anders bewertet wird, als beabsichtigt. Für die Fridays for Future ist es leichter gewesen, die Botschaft zu kontrollieren.
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