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Invictus Games: Werbetrommel für die Bundeswehr
Die Sportspiele für im Einsatz verwundete Soldaten in Düsseldorf: Missbrauch von Kriegsopfern für Propaganda
Zig Schülerinnen und Schüler bewaffnet mit ihren Smartphones wuseln über das Gelände der Invictus Games zwischen Düsseldorfer Fußballstadion und Leichtathletikhalle. »Alter, wo ist der Harry? Ich will ein Foto mit ihm«, hört man von einem jungen Mädchen, nicht älter als 14 Jahre, das aus einer Gruppe Schülerinnen durch ihre schrille Aufmachung hervorsticht. »Der Prinz ist so süß«, sagt eine andere Schülerin zu ihren Kameradinnen, als der Reporter sie gerade passiert. Auch ihr Ziel dürfte ein Selfie mit Prinz Harry sein.
Dabei geht es bei den sogenannten Invictus Games, die erstmals seit ihrer Gründung vor neun Jahren in Deutschland veranstaltet werden, doch gar nicht um den Prinzen, den Initiator der internationalen Militärspiele oder um royale Prominenz.
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In erster Linie soll es um an Seele und Körper verwundete, verletzte und erkrankte Soldatinnen und Soldaten gehen. Ziel der Veranstalter ist es, so liest man überall, eine »größere Wahrnehmung und Anerkennung in der Gesellschaft für diese Soldaten zuteilwerden zu lassen und ihren Weg in der Rehabilitation zu unterstützen«. Ehrenhaft. Dankenswert. Haben diese Soldaten und Veteranen doch in gefährlichen und geheimen Einsätzen im Ausland ihren Ländern und Zielen der Nato gedient. Darunter natürlich auch unsere wackeren Soldaten der Bundeswehr. Sie opfern sich auf, damit wir in Frieden und Freiheit leben können. Natürlich. Passend dazu fordert die Wehrbeauftragte des Bundes, Eva Högl (SPD), mehr Wertschätzung für Soldaten und Veteranen. Sie unterstützt die Idee eines jährlichen Veteranen-Tages in Deutschland, wie ihn unlängst der Deutsche Bundeswehr-Verband ins Gespräch gebracht hatte. Ein Hauch angelsächsischer Veteranenkult liegt in der Luft.
Soldaten, Bundeswehr mit zahlreichen Ständen und andere Verteidigungsorganisationen sieht man rund um das Gelände der Invictus Games zuhauf; schließlich ist die Bundeswehr Hauptveranstalter und das Verteidigungsministerium mit knapp 40 Millionen Euro Hauptfinanzier. Deshalb beantwortet die Bundeswehr die Frage nach der Wichtigkeit der Spiele so: »Aus Sicht der Bundeswehr sind die Invictus Games ein integraler Bestandteil der individuellen Rehabilitation von im Einsatz und Dienst oder durch Krankheit an Körper oder Seele zu Schaden gekommenen Soldaten. Ziel der Rehabilitation ist die vollständige Wiedereingliederung in den Dienst.«
Ähnlich äußert sich auch Friedhelm Julius Beucher, Präsident vom Deutschen Behindertensportverband: »Ich sehe es als Pflicht und Verantwortung unserer Gesellschaft, dass wir diejenigen unterstützen, die auf der Welt die Demokratie verteidigen und dabei eine schwere Verletzung oder eine Behinderung erlitten haben. Diese Menschen dürfen wir nicht zurücklassen. Sport und Wettkampf haben das Potenzial, zu mehr Lebensqualität beizutragen.« Folglich unterstützt der Verband die Bundeswehr bei den Spielen in Düsseldorf mit Material, Know-how sowie mit der Kontaktvermittlung zu Schiedsrichtern, Offiziellen und in die Strukturen des Sports von Menschen mit Behinderung.
Tatsächlich, so scheint es bei zwei Besuchen der Spiele der Unbesiegbaren sowie unzähligen Gesprächen mit Zuschauern und Soldaten, ist die unter dem Motto »A Home For Respect« (Ein Zuhause für Respekt) rein versehrten Soldaten und Veteranen gewidmete Veranstaltung eine großangelegte PR-Kampagne für Krieg, Militär und Bundeswehr. Maßgeblich gesponsert von den skrupellosen US-Rüstungskonzernen Boeing und Lockheed Martin. Und die Stadt Düsseldorf macht – scheinbar bedenkenlos – eifrig mit.
Zum Glück gibt es auch kritische Stimmen, die bei solchen neumodischen und aufgebauschten Events, die nicht selten ihren selbst gesteckten Zielen eben nicht gerecht werden, oft viel zu kurz kommen. »Die Invictus Games werden propagandistisch missbraucht, schon indem Boris Pistorius bei der Eröffnung zur unaufhörlichen Unterstützung der Ukraine und damit zur Kriegsverlängerung aufruft statt Verhandlungsinitiativen zu ermöglichen«, lässt sich auf Anfrage Martin Singe von der Initiative »Rheinmetall entrüsten!« zitieren.
Von Didem Aydurmuş aus dem Vorstand der Linken heißt es: »Die Absicht, Menschen mit Kriegsverletzungen oder Traumata zu unterstützen, ist wichtig, aber ein öffentliches Spektakel dieser Art verharmlost Kriege. Das Motto wirft die wichtige Frage auf, wofür wir Respekt haben sollen und ganz allgemein nach der außenpolitischen Rolle der Bundesrepublik. Nach wie vor sind wir einer der größten Waffenexporteure und damit direkt verantwortlich für Tod und Elend von Millionen Menschen.« Abstrus findet Singe auch einen Veteranentag: »Was wir bräuchten, ist ein Bundesbesinnungstag für den Friedensauftrag des Grundgesetzes statt Propaganda und Kriegsverharmlosung.«
Während man von Wettkampf zu Wettkampf – einige vermissen einen konkreten Wettkampfzeitplan – und übers weitläufige Gelände mit den vielen Bundeswehr-Anwerberständen tingelt, stellt sich einem die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Spiele, zu denen Soldaten und Veteranen aus 21 Ländern, vornehmlich aus dem Westen, in zehn Disziplinen bei 500 Wettkämpfen gegeneinander antreten. Versehrte Soldaten aus Afghanistan oder dem Irak sind Fehlanzeige. So wird es zu einer fast ausschließlich westlichen Militärsportveranstaltung, die im Verdacht steht, Krieg zu glorifizieren und Soldaten, die Menschen umbringen müssen, zu heroisieren.
Reichen nicht die Paralympischen Spiele oder andere inklusive Wettkämpfe wie jüngst die Kanu-Weltmeisterschaft in Duisburg aus, damit auch Soldaten oder Veteranen sich sportlich messen können und wieder einen Sinn in ihren durch und von Krieg eingeschränkten oder zum Teil auch zerstörten Leben zu verspüren? Der sportpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, André Hahn, drückt es so aus: »Mit den Paralympics, Deaflympics und Special Olympics sowie weiteren inklusiven und behindertenspezifischen Möglichkeiten des organisierten Sports gibt es bereits gute Angebote auch für ehemalige Militärangehörige mit Behinderungen.« Hahn empfiehlt dem Bundespräsidenten, die Schirmherrschaft für dieses »skandalöse militärsportliche Spektakel« zurückzuziehen.
»Paralympische Spiele sind eine Sportveranstaltung für körperlich versehrte Leistungssportler. Eine psychische Schädigung wird hier nicht berücksichtigt«, argumentiert die Bundeswehr, die 31 Soldaten im 37 Athleten zählenden Team Deutschland stellt, wiederum. Die restlichen speisen sich aus sogenannten Blaulichtorganisationen wie Feuerwehren, die erstmals im deutschen Team dabei sein dürfen.
Es heißt immer wieder, auch in Reportagen im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk, dass die Invictus Games verwundeten Soldaten eine Bühne und ein neues Ziel im Leben geben würden – durch den Sport zurück ins Leben beziehungsweise zurück in Armee. Aber steht der verwundete und erkrankte Athlet – die Hälfte der Teilnehmer ist an der Seele durch eine posttraumatische Belastungsstörung erkrankt – tatsächlich im Vordergrund? Oder die Bundeswehr? Oder doch Harry?
Was immer wieder auffällt: Bundeswehr, Bundeswehr und Bundeswehr. Dazu: Merchandising- und Marketingstände sowie die gefühlt permanenten Durchsagen des Stadionsprechers, sich bloß ein Souvenir der Spiele zu sichern. Auf Englisch, der Sprache des Westens. Dass Interviews mit den verwundeten oder erkrankten Soldaten oder Veteranen geführt werden oder diese selbst zu Wort kommen, dies bekommt der Berichterstatter an den beiden Tagen nicht mit.
Das Rollstuhlrugbyspiel zwischen Australien und »Team unconquered« – mehr muss nicht gesagt werden – interessiert rund 200 Zuschauer im perfekt für die Spiele umgebauten Fußballstadion. In Rollstühlen sitzend werfen sich die Spieler eines Teams den Ball zu, um ihn möglichst oft auf der gegnerischen Seite des Feldes unterzukriegen. Die Spieler bewegen sich rasend schnell in ihren eigens auf die Disziplin abgestimmten Rollstühlen, sie rammen sich und schubsen. Nach zehn Minuten ist das Match vorbei, es heißt 16 zu 7 für Australien.
Richtig vom Hocker reißen einen weder diese Disziplin noch die Leichtathletikwettkämpfe, obgleich die Leistungen der Athleten nicht hoch genug zu würdigen sind. Toll, wie ein früherer rumänischer Kampftaucher trotz fast kompletter Lähmung sich dennoch wieder mithilfe von Trainern ins Wasser traut und an den Schwimmwettkämpfen teilnimmt. Oder die zahlreichen Athleten, die trotz komplexer seelischer Erkrankung Menschenmassen nicht meiden und vor Publikum und Kameras ihren Mann oder Frau stehen.
Jedes einzelne Schicksal der Athleten, die bei den Wettkämpfen eher glücklich als angespannt in die Kameras blicken, ist bedauernswert. Dennoch haben sich alle mehr oder weniger freiwillig dafür entschieden, zum Militär zu gehen und auch in Kampfeinsätze entsendet zu werden. Und verletzt oder getötet zu werden. Ob die Schülerinnen den ehemaligen Soldaten Prinz Harry – der in Afghanistan 25 Menschen erschoss und dessen Empfang am Eröffnungstag in Düsseldorf 281 000 Euro kostete – tatsächlich trafen, um ein Selfie zu erhaschen?
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