Bolivien: Die MAS steckt in Turbulenzen

In Bolivien tobt ein Führungsstreit in der linken Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus

  • Steffen Heinzelmann, La Paz
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Jahre vor den Wahlen von Präsidentschaft und Parlament vertieft sich in Bolivien die Spaltung der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS). Präsident Luis Arce und der langjährige Staatschef Evo Morales streiten sich um die Präsidentschaftskandidatur 2025, ihre Anhänger*innen liefern sich Auseinandersetzungen um die Kontrolle in der Partei und in den sozialen Organisationen an der Basis.

Vor Kurzem eskalierte der Kongress des Gewerkschaftsbunds der Landarbeiter*innen (CSUTCB) in der Stadt El Alto: Dort kam es am 19. August zu erbitterten Schlägereien, mehr als 450 Teilnehmende wurden verletzt. Der CSUTCB ist jetzt gespalten, die einflussreiche Gewerkschaft besteht aus zwei Fraktionen und hat zwei Vorsitzende. Einer wird von der Regierung Arce anerkannt, der andere vom MAS-Parteivorsitzenden Morales.

Anfangs hatten manche in der Fehde zwischen Arce und Morales ein Schauspiel zur Verwirrung der rechten Opposition vermutet, inzwischen ist aber klar: Ein tiefer Graben zieht sich durch die MAS und durch gesellschaftliche Organisationen wie den CSUTCB oder die Landfrauenorganisation Bartolina Sisa, die jahrelang als starke Basis den politischen Prozess der Umgestaltung in Bolivien durch die MAS unterstützten: Auf der einen Seite sind die Anhänger*innen von Präsident Luis Arce, die »Arcistas«; ihnen gegenüber stehen die »Evistas«, die Unterstützer*innen von Parteigründer Evo Morales.

Eine Entscheidung in dem Streit könnte schon auf dem Nationalen Parteikongress der MAS fallen, der vom 3. bis 5. Oktober in Lauca Ñ stattfinden soll. Und auch um den Ort dieser Versammlung gibt es Zank: Morales wählte Lauca Ñ aus, weil es im tropischen Teil des Departamentos Cochabamba liegt, der als seine Bastion gilt. Die Arcistas wollen sich dagegen in der Großstadt El Alto treffen, wo die Stimmung gegenüber Morales deutlich kritischer ist.

Die Parteiversammlung könnte wichtige Entscheidungen treffen: Wer ist Parteivorsitzender, wer Präsidentschaftskandidat 2025? »Der Kongress in Lauca Ñ wird wahrscheinlich beschließen, dass Evo Morales der Kandidat für die Wahl 2025 ist«, sagt Fernando Molina gegenüber dem »nd«. Der bolivianische Journalist ist Autor des kürzlich veröffentlichten Buches »Die Krise der MAS«. Molina ist sicher: »Das kann von den Arcistas nicht akzeptiert werden, sie werden auf einem anderen Kongress Luis Arce zum Kandidaten küren.«

Zwei Präsidentschaftskandidaten aus einer Partei hätte mutmaßlich weitreichende Folgen. »Ich glaube, dass sich die MAS in zwei Parteien aufspalten wird«, vermutet Molina. Zu tief scheint die Spaltung zwischen Arce und Morales mittlerweile – dabei gibt es zwischen beiden keine großen ideologischen Unterschiede. Arce war viele Jahre lang Wirtschaftsminister in den Regierungen von Morales und galt als dessen Verbündeter.

Vor einem Jahr, im September 2022, beklagte Morales einen »schwarzen Plan« der Regierung Arce gegen ihn und sein Umfeld. Und es begannen zahlreiche scharfe Auseinandersetzungen, die Wunden auf beiden Seiten hinterlassen habe: Im Juni 2023 warnte Morales zum Beispiel vor einem »Komplott« der Regierung, um ihn zu »zerstören«. Und der gegenseitige Vorwurf, korrupt zu sein und in den Drogenhandel verwickelt, ist fast schon Standard in dieser politischen Fehde.

Der Ursprung des Konflikts liegt dabei wahrscheinlich früher: Vor der Wahl 2020 hatte Evo Morales noch Luis Arce als MAS-Kandidaten durchgesetzt, um seinen politischen Rivalen und den eigentlichen Favoriten der Partei, David Choquehuanca, zu verhindern. Die MAS gewann deutlich die Wahl, Arce wurde Staatspräsident und Choquehuanca sein Vize. Angeblich hatte es damals die Vereinbarung gegeben, dass Morales 2025 als Kandidat zurückkehren würde, doch Arce und Choquehuanca etablierten sich selbstbewusst als Regierung der Erneuerung statt als Platzhalter. Denn in Teilen der Partei gab es schon damals die Forderung, sich von der Identifikationsfigur Evo Morales und seinem Gefolge abzunabeln.

Falls es innerhalb der MAS keine Einigung gibt oder sich eine der beiden Parteiströmungen durchsetzt und danach die volle Unterstützung erhält, könnte sich das politische Bild Boliviens erstmals seit dem ersten Wahlsieg von Morales 2005 entscheidend verändern. Bis zur Wahl 2025 sind noch zwei Jahre Zeit, aber eine Spaltung könnte den politischen Gegnern helfen, die bislang noch schwach wirken: Sie verfügen nicht über eine Organisation an der Basis wie die MAS, prominente Oppositionspolitiker*innen wie der rechte ehemalige Präsidentschaftskandidat Luis Camacho oder die De-facto-Präsidentin Jeanine Añez sitzen in Haft.

Nicht zu unterschätzen sind die Folgen des aktuellen Streits für die Basis. Die politische Vertretung des Landes sei in der Krise und die sozialen Organisationen seien »zerbrochen«, warnt Jorge Richter, Sprecher des Präsidenten vor einem »Parallelismus« in den sozialen Bewegungen.

Von einer »selbstmörderischen Einstellung« der MAS spricht Molina, bevor er hinzufügt: »Das schlimmste Szenario für die bolivianische Linke ist, dass die MAS die Wahl 2025 verliert und aufgrund der Spaltung der sozialen Organisationen keine Kraft hat, sich der neuen Regierung entgegenzustellen.« Dann könne der Neoliberalismus nach Bolivien zurückkehren, weil niemand die Kraft habe, die sozialen und politischen Errungenschaften der vergangenen Jahre zu verteidigen.

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