Tagebau Nochten: Gallisches Waldstück an der Grube
Kohleförderer Leag will Grundbesitzer am Tagebau Nochten enteignen lassen
Beim Blick auf die Landkarte, die René Schuster von der Grünen Liga Cottbus präsentiert, fühlt man sich an das sprichwörtliche »gallische Dorf« erinnert. Gestrichelte Linien markieren darauf die aktuelle Ausdehnung des Braunkohletagebaus Nochten in der sächsischen Lausitz und dessen Erweiterung, wie sie der Energiekonzern Leag plant. Mitten auf der Karte ist ein winziges, rot markiertes Rechteck zu sehen: ein Waldstück östlich der Ortschaft Rohne. Und so wie das gallische Dorf in den Comics um Asterix und Obelix den römischen Eroberern widersteht, so stehen die Eigentumsverhältnisse an dem Waldstück der Leag im Wege.
Es handelt sich um einen halben Hektar Forst, den dessen Besitzer nicht an den Kohleförderer verkauft, sondern stattdessen an die Grüne Liga verpachtet haben – bis 2037, also ein Jahr vor dem spätesten Datum für den Ausstieg aus der Braunkohle. Gelingt es der Leag nicht, an diesem Zustand etwas zu ändern, dann müsste sie laut Schuster »den Tagebau anhalten oder südlich umfahren«. Dadurch müsste sie auf 22,8 Millionen Tonnen Braunkohle verzichten.
Nach Ansicht von Schuster und anderen Umweltverbänden wäre das nicht schlimm. Sie drängen aus Gründen des Klimaschutzes ohnehin auf ein baldmögliches Ende der Kohleförderung in der Lausitz. Um das Ziel einer maximalen Erwärmung des Erdklimas um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit einzuhalten, dürften in der Region einer im April veröffentlichten Studie von Fridays for Future zufolge nur noch höchstens 205 Millionen Tonnen Kohle gefördert und zur Stromgewinnung verfeuert werden. Die derzeitigen Planungen der Leag liefen indes auf die Verstromung von 697 Millionen Tonnen hinaus. Die Verkleinerung der Tagebaue sei »dringend notwendig«, sagt Schuster, »und zwar um weit größere Flächen als das umstrittene Waldstück«.
Der Kohlekonzern zeigt sich bisher zu einer Reduzierung seiner Abbaupläne nicht bereit – und auch nicht zum Verzicht auf die strittigen 5000 Quadratmeter Forst. Er strebt an, die Waldeigentümer und die Pächter enteignen zu lassen. Dazu wurde beim sächsischen Oberbergamt in Freiberg ein Verfahren zur »Grundabtretung und vorzeitigen Besitzeinweisung« beantragt, wie die Behörde bestätigte. An diesem Montag fand dazu zunächst ein Gütetermin statt. Für den wahrscheinlichen Fall, dass sich beide Seiten nicht einigen, sollte sich unmittelbar danach eine mündliche Verhandlung anschließen. Eine Entscheidung werde nicht sofort gefällt, sondern später per schriftlichem Beschluss mitgeteilt, erklärte die Behörde.
In dem Verfahren muss abgewogen werden zwischen dem in Artikel 14 des Grundgesetzes garantierten Recht auf Eigentum und der in Absatz 3 eingeräumten Möglichkeit zur Enteignung, wenn diese »zum Wohle der Allgemeinheit« nötig sei. Im Bundesberggesetz werde dieses vor allem durch die »Versorgung der Märkte mit Rohstoffen« gerechtfertigt, erklärt das Oberbergamt. Voraussetzung ist, so formuliert es das Gesetz, eine »technisch und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsplanung oder Betriebsführung«. Kritiker merken regelmäßig an, dass die entsprechenden Passagen im Bergrecht aus der NS-Zeit stammen, und fordern eine Novellierung. Die Grünen stellten im Mai 2023 eine entsprechende Studie vor. Sie kritisierten unter anderem, dass die Interessen der betroffenen Bevölkerung oder des Umweltschutzes gegenüber der Rohstoffgewinnung vernachlässigt würden. Ein Gesetzentwurf soll 2024 vorliegen. Für das laufende Verfahren hätte das keine Auswirkungen.
Die Grüne Liga rechnet sich dennoch Chancen aus, die Enteignung abwenden zu können. Zwar führt die Leag nach Angaben des Umweltverbands ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013 ins Feld, das die Enteignung einer Streuobstwiese am Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen bestätigte. Damals ging es um 60 Millionen Tonnen Kohle. Das Gericht argumentierte, für das Grundstück gehe »jede sinnvolle anderweitige Nutzungsmöglichkeit« verloren. Im Lausitzer Fall sei aber nicht nur die Kohlemenge deutlich niedriger. Schuster betonte auch, der Wald bleibe, wenn er nicht abgebaggert würde, zugänglich. Zudem müsste der Tagebau in dem Fall in größerem Abstand an den nächstgelegenen Dörfern vorbeigeführt werden. »Damit nutzt das neben privaten auch öffentliche Belangen«, sagt er.
Schuster verweist zudem auf die Genehmigungslage am Tagebau Nochten. Das strittige Waldstück liegt an der Peripherie eines Abbaufeldes, für das es einen gültigen Betriebsplan gibt. Die Bagger würden darüber hinweg aber in das sogenannte Sonderfeld Mühlrose schwenken, für das bisher nicht einmal eine Genehmigung beantragt worden sei. Auch das müsse in dem Verfahren berücksichtigt werden, betont Schuster.
Viel Hoffnung, dass die Behörde zugunsten der Waldeigentümer und -pächter entscheidet, hat er dennoch nicht: »Das wäre für das Oberbergamt eine hohe Hürde«, formuliert er diplomatisch. Die Grüne Liga rechnet mit einer ablehnenden Entscheidung, gegen die danach beim Chemnitzer Verwaltungsgericht und gegebenenfalls beim Oberverwaltungsgericht Bautzen geklagt werden müsste. Für das kostspielige Verfahren würden bereits Spenden gesammelt, sagt Schuster. Zudem verweist er darauf, dass das Pachtverhältnis für den Wald nicht nur auf dem Papier besteht. Der Umweltverband veranstalte dort Ausstellungen und treibe den Waldumbau voran. Am Sonntag gastiert in dem »gallischen Waldstück« am Tagebau das Ensemble »Lebenslaute«, das klassische Musik mit politischer Aktion verbindet.
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