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Frank Werneke: »Die Streikbereitschaft nimmt zu«

Der wiedergewählte Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke geht selbstbewusst in die zweite Amtszeit

Mit Standing Ovations wurde am Montagabend die Wiederwahl des Bundesvorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, gefeiert. Mit über 92 Prozent der Stimmen wurde er im Amt bestätigt. Der 56-Jährige übernimmt damit die Führung der Gewerkschaft für vier weitere Jahre und wird voraussichtlich den aktuellen, durchaus erfolgreichen Kurs der Gewerkschaft fortführen. Seit Anfang des Jahres verzeichnet Verdi einen erheblichen Mitgliederzuwachs. Vom Streit über die Frage nach Waffenlieferungen am Vortag war am Dienstag bei der Grundsatzrede nichts zu spüren, stattdessen eher Euphorie und Geschlossenheit.

Mit einigem Selbstbewusstsein stellte dann auch der frisch wiedergewählte Bundesvorsitzende in seinem Grundsatzreferat fest, dass die Zeit günstig sei, um die Erfolge von Verdi weiter auszuweiten. »Es entsteht neues Selbstbewusstsein und eine größere Streikbereitschaft«, stellte Werneke fest. »Ich freue mich auf viele knackige Tarifrunden in den nächsten vier Jahren«, verkündete er unter tosendem Applaus der rund 1000 anwesenden Delegierten. Dieses Momentum will Verdi nutzen, um mit umfassenden sozial-, tarif- und arbeitsmarktpolitischen Forderungen aufzutrumpfen. Im Zentrum stehen dabei die Themen Digitalisierung, Klimawandel und Fachkräftemangel.

Mitbestimmung bei Digitalisierung

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Im Vordergrund von Wernekes Grundsatzrede für die kommenden vier Jahre stand das Thema Digitalisierung. Dazu formulierte er eine klare Aufgabenstellung: »Technologische Entwicklung unter den Bedingungen eines kapitalistischen Wirtschaftssystems ist immer eine Verteilungs- und eine Machtfrage.« Diese Macht müsse Verdi entfalten, um sich unter anderem für ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Betrieben einzusetzen, etwa durch den Abschluss von sogenannten Digitalisierungstarifverträgen.

Zudem will die Gewerkschaft den Datenschutz für Beschäftigte stärken und ein digitales Zugangsrecht zu den Betrieben erlangen, um Beschäftigte im Homeoffice besser zu erreichen. Ferner sollen Arbeiter*innen durch eine KI-Dividende vom Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren. Denn die Technologie mache die verbleibende Arbeit immer produktiver. »Eine KI-Dividende ist eine Chance dafür, die Arbeitszeit zu verkürzen«, betonte der Bundesvorsitzende und ergänzte, »bei vollem Gehaltsausgleich und ohne Arbeitsverdichtung«.

Kampf gegen die Klimakrise

Ähnlich zentral ist für Werneke der Kampf gegen den Klimawandel. »Wir haben alle die Umweltkatastrophen der letzten Monate gesehen.« Unter den Extremwetterereignissen würden zunehmend auch Beschäftigte leiden. Es sei darum Aufgabe der Gewerkschaften, den Klimawandel aufzuhalten. Hier mache die Regierung zu wenig, mahnte er und bemängelte einen zu langsamen Ausbau von Windkraft an Land und auf See sowie von Photovoltaik in Deutschland. Dafür forderte er umfassende Investitionen von der Bundesregierung.

Insbesondere im Verkehrssektor sei der CO2-Ausstoß zu hoch. »Es braucht eine Mobilitätswende«, unterstrich er. Auch hier solle die Bundesregierung aktiv werden: »Jedes Jahr müssen zusätzlich 16 Milliarden Euro in den ÖPNV investiert werden.« Damit und mit einer besseren Tarifbindung könne auch dringend benötigtes Personal im ÖPNV gewonnen werden. Werneke gab sich selbstbewusst: Er freue sich auf die kommende Tarifrunde in der Branche. »Und meine Freude wird noch größer, wenn wir in dieser Auseinandersetzung wieder gemeinsam mit Fridays for Future unterwegs sind«, bekräftigte er das Bündnis mit der Klimabewegung.

Drohender Fachkräftemangel

Für die bevorstehende digitale und grüne Transformation der Wirtschaft brauche es dringend Arbeitskräfte, unterstrich Werneke. Damit kam er auf den drohenden akuten Fachkräfte- und Personalmangel durch den demografischen Wandel zu sprechen. Die Pläne der Bundesregierung, den Arbeitskräftemangel durch mehr Zuwanderung zu bewältigen, begrüßte er dabei prinzipiell. Aber er merkte an, dass auch für zeitlich befristet angeworbene ausländische Arbeiter*innen die Tarifbindung gelten müsse. Zudem müssten Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchtgeschichte, die bereits hier seien, besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Da müsse auch Verdi besser werden, gab er selbstkritisch zu. »Verdi muss zu einer Einwanderungsgewerkschaft werden«, erklärte er.

Zugleich sollte das hiesige Arbeitskräftepotenzial ausgeschöpft werden, betonte er und kritisierte, dass Frauen oft ungewollt in Teilzeit arbeiteten: »Sie sind unverhältnismäßig stark von prekärer Beschäftigung und Niedriglohnjobs betroffen«, erklärte Werneke. Deshalb lebten sie auch überproportional in Altersarmut. Vor diesem Hintergrund will Verdi das Rentenniveau auf mindestens 53 Prozent (aktuell etwa 48 Prozent) anheben, Minijobs und das Ehegattensplitting abschaffen, das besonders Frauen in prekäre Jobs dränge. Zudem sollten bessere Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen für Frauen geschaffen werden.

Um die nötigen Investitionen zu finanzieren, forderte Werneke eine Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Zudem müsse die Bundesregierung die Schuldenbremse zeitlich aussetzen, weil sie den notwendigen Investitionen im Weg stehe.

Keine Überraschungen

Insgesamt sorgte Werneke mit seinem Grundsatzreferat also nicht für Überraschungen. Dafür, dass der Bundesvorstand insgesamt in den nächsten vier Jahren auf dem aktuellen Kurs bleiben wird, sprechen auch die restlichen Wahlen am Montagabend: Neben Werneke wurden auch die zwei stellvertretenden Bundesvorsitzenden Christine Behle und Andrea Kocsis mit über 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Einzig Sabine Zimmer und Rebecca Liebig wurden neu in den Vorstand gewählt. Zimmer war zuvor in Nordrhein-Westfalen für den Fachbereich Handel zuständig und hat in diesem Jahr die Tarifverhandlungen im Einzelhandel geführt. Mit ihr zieht eine Gewerkschafterin in das oberste Verdi-Gremium ein, die viel Verhandlungserfahrung hat und sich unter ehrenamtlichen Aktiven großer Beliebtheit erfreut, wie es aus Delegiertenkreisen heißt. Liebig ist ehemalige stellvertretende Leiterin des Landesbezirks Rheinland-Pfalz und Saarland. Die gebürtige Ghanaerin hat Anfang dieses Jahres die Verhandlungen in der Postbranche in Rheinland-Pfalz begleitet. Sie konnte bei ihrer Wahl über 94 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und dabei unter der Parole »Kein wir ohne uns« auch auf die lautstarke Unterstützung migrantischer Gewerkschafter*innen zählen. Mit dem neuen Bundesvorstand geht die Dienstleistungsgewerkschaft also selbstbewusst in die nächsten Jahre.

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