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Forderungen der »Letzten Generation« fast schon amüsant moderat
Wir brauchen viel mehr Radikalität im Kampf gegen den Klimawandel, meint Nathaniel Flakin
Am Sonntagmorgen haben Aktivist*innen der »Letzten Generation« das Brandenburger Tor mit orangefarbener Farbe besprüht. Als Historiker stimme ich dem mit Begeisterung zu. Unser kulturelles Erbe leidet schon unter den extremen Wetterbedingungen. Noch besser ist es natürlich, wenn die orange Farbe auf Privatjets oder Megayachten landet.
Wenn man deutsche Politiker*innen und Polizist*innen über solche kleinen Sachbeschädigungen reden hört, könnte man meinen, die »Letzte Generation« sei die Wiedergeburt der Roten Armee Fraktion. Die bayerische Regierung hat Dutzende von Aktivist*innen für jeweils 28 Tage in Präventivhaft genommen (also bevor sie überhaupt etwas getan haben!).
Dabei sind die Forderungen der »Letzten Generation« fast schon amüsant moderat. Alle sind sich einig, dass die Menschheit in einer existenziellen Krise steckt – nicht in ferner Zukunft, sondern schon jetzt, wie wir bei den beispiellosen Überschwemmungen und Bränden im Sommer gesehen haben. Angesichts dessen fordern sie nur ein Tempolimit von 100 km/h auf der Autobahn und die Beibehaltung des 9-Euro-Tickets. Ich unterstütze diese Forderungen, aber sie sind nicht gerade radikal.
Nicht alle Linken in Deutschland sind glücklich, wenn sich die »Klimakleber*innen« auf den Asphalt kleben. Einige wenden ein, dass dies die Massen verärgert: »Die Leute kommen zu spät zur Arbeit!« Das scheint mir ein doppelt dummes Argument zu sein. Erstens werden Überschwemmungen und Brände zu weitaus größeren Verspätungen für Pendler*innen führen. Und zweitens kann ich mir keine Formen zivilen Ungehorsams vorstellen, die Störungen vermeiden. Ist das nicht genau der Punkt?
»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.
Die englische Version dieser Kolumne gibt es hier.
Ich frage mich, was diese Linken während der Französischen Revolution gesagt hätten: »Ich kann die Erstürmung der Bastille nicht gutheißen, weil dadurch einige Sansculottes zu spät zur Arbeit kommen!« Es gibt keinen Fortschritt ohne Kampf, und es gibt keinen Kampf ohne zumindest kleine Staus.
Die »Letzte Generation« hat eine völlig unbedenkliche Taktik. Aber was ist mit ihrer Strategie? Ihre Theorie der Veränderung erscheint mir naiv und offen gesagt bürgerlich. Seit Jahren hält die deutsche Regierung feierliche Reden über die Gefahr des Klimawandels. Und dann beschließen die »grünen« Minister*innen, Dörfer abzureißen, um Kohle abzubauen oder 100 Milliarden Euro zusätzlich für Autobahnen auszugeben. Die »Letzte Generation« glaubt, dass ein bisschen Druck ausreicht, um Politiker*innen zu überzeugen, den Worten Taten folgen zu lassen.
Das Problem ist, dass dies kapitalistische Politiker*innen sind. Ihr einziger Job ist es, dafür zu sorgen, dass deutsche Milliardär*innen ihr Kapital von einem Quartal zum nächsten vermehren – wenn dabei der Planet verbrennt, nun, das ist das Problem von jemand anderem. Wie Marx sagte: »›Après moi, le déluge!‹ [Nach mir die Sintflut] ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.« Ich frage mich, ob Marx klar war, wie wörtlich dieses Zitat werden würde.
Die Klimabewegung muss radikaler sein als die »Letzte Generation«. Wir brauchen ein antikapitalistisches Programm zur Enteignung des fossilen Kapitals. Nur wenn wir die Autofabriken und Energiekonzerne unter demokratische Kontrolle stellen, werden wir in der Lage sein, die Kohlenstoffemissionen radikal zu reduzieren. Die einzigen, die das tun können, sind die Arbeiter*innen – die Milliarden von Menschen, die jeden Tag die Zahnräder des Kapitalismus am Laufen halten, können ihre Arbeitsplätze übernehmen und die Transformation anführen.
Beim Klimastreik am vergangenen Freitag schlossen sich Hunderte von Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland den Protesten an. Dies ist Teil der Kampagne #WirFahrenZusammen, die bessere Arbeitsbedingungen und massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr fordert. Im Herbst werden diese Beschäftigten mit Unterstützung von Klimaaktivist*innen in den Streik treten.
Der einfachste Weg, die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu beenden, wäre es, Busse, Straßenbahnen und Züge für alle kostenlos zur Verfügung zu stellen. Elektroautos werden nicht helfen, denn es ist einfach keine gute Idee, 2000 Kilogramm Stahl zu verwenden, um eine einzige Person zu befördern. Jahrhundertealte Technologien wie Schienen haben eine Effizienz, die nicht zu übertreffen ist.
Diese neue Kampagne ist ein kleiner Schritt in Richtung einer Arbeiter*innenbewegung zur Umgestaltung der Wirtschaft. Das ist viel erfolgversprechender als orangene Farbe.
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