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Wessis vererben Chefsessel an Wessis
Anteil von Ostdeutschen an Führungskräften steigt laut aktuellem »Elitenmonitor« kaum an
Beim Regionalsender MDR steht Anfang November ein Wechsel auf dem Chefposten an. Nachfolger der seit 2011 amtierenden Intendantin Karola Wille, die in Karl-Marx-Stadt geboren wurde, wird der bisherige Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig, der aus Borna stammt. Damit folgt auf dem Führungsposten ein Ostdeutscher auf eine Ostdeutsche. Das ist in der Bundesrepublik noch immer ein nicht alltäglicher Fall. Denn auch fast 35 Jahre nach dem Ende der DDR sind Menschen, die auf deren Gebiet gebürtig sind, auf Chefsesseln unterrepräsentiert, wie aus einem jetzt veröffentlichten »Elitenmonitor« hervorgeht. Und bei Führungswechseln würden selbst zuvor von Ostdeutschen besetzte Positionen »eher von Westdeutschen besetzt«.
Dass Ostdeutsche auf den Chefetagen von Politik und Wirtschaft, in Justiz und Verwaltung, an Hochschulen und in Kirchen unterrepräsentiert sind, ging schon aus früheren Zahlen hervor. Der »Elitenmonitor«, der von Wissenschaftlern der Universitäten Leipzig und Jena sowie der Hochschule Görlitz/Zittau erarbeitet und vom Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, gefördert wird, erlaubt jetzt erstmals Vergleiche über mehrere Jahre. Er wertete die Herkunft von knapp 3000 Entscheidungsträgern aus und beziffert die Ost-Quote auf 12,2 Prozent, bei einem Bevölkerungsanteil der Ostdeutschen von rund 20 Prozent. Vor fünf Jahren hatte der Anteil bei 10,8 Prozent gelegen. Von einem Trend wollen die Wissenschaftler angesichts des geringfügigen Anstiegs noch nicht sprechen. Schneider sprach von einem »Problem, das wir als Gesellschaft nicht hinnehmen können und ändern müssen«. Es gehe darum, Ostdeutschen eine »gleiche Teilhabe innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen«.
In der Politik ist eine adäquate Vertretung auf den ersten Blick immerhin erreicht. Dort liegt die Ost-Quote bei fast 21 Prozent, allerdings nur, wenn die Ebene der Bundesländer einbezogen wird. In der Bundespolitik beträgt sie 13,3 Prozent. Von gut 70 Toppositionen im Militär, die in die Untersuchung einbezogen wurden, ist dagegen keine einzige mit einem Ostdeutschen besetzt. Bei etwas mehr als 200 Führungsjobs in der Justiz beträgt ihr Anteil zwei Prozent. Erhöht habe sich ihre Präsenz in den vergangenen fünf Jahren vor allem in öffentlicher Verwaltung und Wissenschaft, sagen die Forscher. Zu den Eliten zählen sie »Inhaber formaler Führungspositionen«, die qua Amt »Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungen ausüben können«. Maßgebliches Kriterium für die Definition als »ostdeutsch« ist der Geburtsort.
Die mangelnde Repräsentanz der Ostdeutschen in Führungspositionen ist ein politisch heikles Thema. Immer wieder sorgt es für erregte Debatten, ausgelöst von Vorläufern der jetzigen Studie oder etwa auch einem provokanten Slogan der Linken in Sachsen-Anhalt, die im Wahlkampf 2021 plakatierte: »Nehmt den Wessis das Kommando«. Umfragen zufolge wird eine unterdurchschnittliche Vertretung Ostdeutscher in Führungsetagen von zwei Dritteln der Befragten negativ wahrgenommen. Teils verstärkt sie ein Gefühl von Benachteiligung und eine Selbstwahrnehmung Ostdeutscher als Menschen 2. Klasse.
Die jetzt vorgelegte Studie dämpft Hoffnungen, wonach ein Generationswechsel in den Chefetagen zu einer verbesserten Repräsentanz führen könne. In den 1990er Jahren wurden viele Führungspositionen mit Westdeutschen besetzt, weil diese das »System« kannten und fachliche Qualifikationen früherer DDR-Führungskräfte nicht als ausreichend galten. Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung würde man erwarten, dass »genug Ostdeutsche Qualifikationen erworben und Laufbahnen abgeschlossen haben, um in Elitenpositionen aufzusteigen«, so das Papier. Dem ist nicht so. Von 128 Positionen, die 2018 mit Ostdeutschen besetzt gewesen waren und seither den Inhaber wechselten, ging nicht einmal jede zweite wieder an einen Ostdeutschen. Und von 839 zuvor mit Westdeutschen besetzten Topjobs, bei denen sich ein Wechsel vollzog, gingen 92 Prozent wieder an Westdeutsche.
Im »Elitenmonitor« werden auch Erklärungsansätze für das Ungleichgewicht geliefert. Verwiesen wird neben persönlichen Netzwerken etwa auf eine geringere Quote von Ostdeutschen, die ein Studium aufnehmen, und ungleich verteilte Fremdsprachenkompetenz. Beides gilt als Voraussetzung für Führungspositionen. Angemerkt wird, dass keine speziellen Förderprogramme für Studierende mit Ost-Herkunft existierten und es Hinweise gebe, dass diese in Begabtenförderwerken unterrepräsentiert seien. Außerdem wird ein Aufstieg in gesellschaftliche Eliten im Osten offenbar auch als weniger erstrebenswert angesehen. Dort können sich Befragungen zufolge nur 36 Prozent vorstellen, eine höhere Führungsposition zu übernehmen, im Westen sind es 45 Prozent. Die Forscher merken an, es seien »flankierende Maßnahmen nötig«, damit Elitepositionen von Ostdeutschen übernommen würden.
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