- Berlin
- Mobilitätsgesetz
CDU versus Fahrrad in Berlin: Im Slalom um die Autos
Die »Kidical Mass« demonstriert für kindergerechte Fahrradwege, doch die Berliner CDU plant das Gegenteil
Breit genug muss er sein, mit freier Sicht und am besten inklusive Schutzvorrichtung zur angrenzenden Autofahrbahn: der kinderfreundliche Fahrradweg. Doch die Realität sieht an vielen Stellen in Berlin anders aus, die CDU will durch eine Änderung des Mobilitätsgesetzes die Sicherheit nicht-motorisierter Verkehrsteilnehmer*innen sogar noch weiter einschränken.
Am Wochenende erobert sich deshalb die Jugend die Straßen zurück: Bei mehreren Fahrraddemos am Samstag und am Sonntag werden kleine Räder, Laufräder, Fahrräder mit Anhänger oder Lastenräder mit Passagieren durch insgesamt elf Bezirke fahren und sich zu gemeinsamen Kundgebungen treffen: Etwa im Stadtpark Lichtenberg oder bei der Jugendverkehrsschule am Sachsendamm in Schöneberg.
Die Veranstaltungen nennen sich »Kidical Mass«, in Anlehnung an »Critical Mass«. Zu Deutsch »kritische Masse«, wird damit eine Bewegung bezeichnet, bei der sich Radfahrer*innen, manchmal auch Rollschuh- oder Skateboardfahrerinnen, scheinbar zufällig treffen und gemeinsam durch die Innenstadt fahren. Durch ihre bloße Anzahl vereinnahmen sie die Straße und nehmen zum Beispiel an Kreuzungen Autos die Vorfahrt – ihrer politischen Forderung nach fahrradfreundlicher Infrastruktur geben sie dadurch Ausdruck. Die »Kidical Mass« ist zwar nicht ganz so spontan, dafür aber bewusst kindgerecht gestaltet.
Gabi Jung vom BUND hat die Fahrraddemo in Schöneberg mitorganisiert. Sie sieht ganz dringenden Handlungsbedarf. Zum einen müssten Falschparker*innen und Raser*innen konsequent verfolgt werden. Dafür brauche es eine Verstärkung der Ordnungsämter und der Bußgeldstelle. Was die Infrastruktur betrifft, hält Jung ausreichend breite Radwege für notwendig. »Es braucht nicht nur genug Abstand zu den fahrenden, sondern auch zu den parkenden Fahrzeugen, wegen der aufgehenden Autotüren«, so Jung. »Hier haben wir das Problem, dass die Autos immer größer werden.« Somit verkleinere sich der Abstand.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Geländewägen und SUVs würden zudem die Sicht versperren. »Das können wir uns gar nicht so richtig vorstellen als Erwachsene, aber wegen so dicker Autos können Kinder oft gar nicht in die Straße blicken.« Um das Problem zu illustrieren, ließ der BUND kürzlich eine Fünftklässlerin, die kurz zuvor ihrer Radfahrausbildung absolviert hatte, mit einer Helmkamera durch die Stadt fahren. »Man hat richtig gesehen, wie sie an jeder Kreuzung unsicher war.«
Aktuell hätten Eltern deshalb berechtigterweise Angst, ihr Kind alleine auf dem Fahrrad oder zu Fuß loszuschicken. »Das schafft die paradoxe Situation, dass Eltern ihr Kind mit dem Auto fahren und dadurch selbst das Problem vergrößern, insbesondere vor Schulen.« Laut ADAC werden in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern die meisten Kinder mit Elterntaxi zur Schule gebracht. Ein Teufelskreis, so Jung: »Wenn ein Kind immer nur auf dem Rücksitz sitzt, macht es nicht die notwendigen Erfahrungen, da kriegt es ja gar nichts mit vom Straßenverkehr.«
Während es viel zu verbessern gäbe, legt die CDU den Rückwärtsgang ein. Jung befürchtet, dass die geplanten Änderungen des Mobilitätsgesetzes den Verkehr gerade für Kinder gefährlicher machen werden. Der BUND hat sich deshalb am Donnerstag zusammen mit anderen Vereinen wie dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Berlin oder dem Verkehrsclub Deutschland Nordost mit einem offenen Brief an die SPD-Fraktion gewandt. Das Bündnis ruft den Koalitionspartner der CDU dazu auf, die Gesetzesänderung zu verhindern. »Die SPD hat das Mobilitätsgesetz mit auf die Welt gebracht – jetzt liegt es an Ihnen, es zu schützen«, erinnert der Brief an die Entstehung des Gesetzes, das Fahrrad- und Fußverkehr Vorrang gegenüber motorisiertem Verkehr gewährt. 2016 hatte die Berliner SPD das Mobilitätsgesetz in die Koalitionsverhandlungen mit Linke und Grünen gebracht, 2018 wurde es unter Rot-Rot-Grün verabschiedet.
Die Organisationen kritisieren in dem Brief das Vorhaben der CDU, mithilfe des Gesetzentwurfes den Ausbau des Straßenbahnnetzes »als kostengünstigste und klimafreundlichste ÖPNV-Variante« auszubremsen. Mit Blick auf den Radverkehr weisen sie vor allem auf den Plan hin, weniger und schmalere Fahrradwege zu bauen. Während bisher Wege an Hauptstraßen zwei bis 2,5 Meter breit sein müssen, soll das neue Mindestmaß bei Einrichtungsradwegen zwischen 1,5 und zwei Meter liegen, bei Radfahrstreifen bei 1,85 Meter. Für gemeinsame Rad- und Fußwege sieht die CDU gerade mal 2,5 Meter Mindestbreite vor.
»Darüber hinaus sollen die Beteiligung von Fachverbänden und der Zivilgesellschaft auf ein Minimum reduziert und die Bezirke in der Verkehrsgestaltung entmachtet werden«, heißt es in dem Brief. So will die CDU die Stellen für die Radverkehrsplanung von zwei auf eine pro Bezirk reduzieren. Weitere Änderungen betreffen Spielstraßen: Die sollen zukünftig nicht mehr »gefördert«, sondern lediglich »geprüft« werden. Den Vorrang von Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen will die CDU streichen und durch die Vorgabe ersetzen, dass sich die diversen Verkehrsformen nicht gegenseitig verdrängen sollten.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, positioniert sich bereits gegen den CDU-Gesetzesentwurf. »Ich kann sagen, dass er so, wie er jetzt vorliegt auf gar keinen Fall ins Parlament eingebracht werden wird«, teilte er gegenüber »nd« mit. Zwar hätten sich die beiden Parteien im Koalitionsvertrag auf eine Überprüfung der Mindesbreiten von Radwegen geeinigt. »Das gilt aber nur in Ausnahmefällen und nicht in der Regel.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.