»Clan«-Debatte rassistisch aufgeladen

Die Erzählung von der grassierenden »Clankriminalität« soll das Aushebeln rechtsstaatlicher Prinzipien legitimieren

  • Jorinde Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf vermeintliche »Clankriminalität« reagiert die Politik meist mit Reppression.
Auf vermeintliche »Clankriminalität« reagiert die Politik meist mit Reppression.

»Die Wohlfühlzeit für Clans ist vorbei« sagte Berlins CDU-Bürgermeister Kai Wegner jüngst – und bediente damit auch nach mehr als einem halben Jahrzehnt des öffentlichen Kreisens um das Schreckgespenst den bewährten Dreh dieser Debatte. Der lautet: Die vermeintlich übermächtige Deutungshoheit politisch korrekter Progressiver habe die Bedrohung von Recht und Ordnung jahrelang verdrängt, und nun beherrschten »Clans« ganze Stadtteile und lachten sich ins Fäustchen. Doch nun wehe ein anderer Wind: Unter seiner Führung werde aufgerüstet, um dem verhöhnten Rechtsstaat wieder auf die Beine zu helfen, so Wegners Darstellung.

Schon 2018 hatte sich Wegners Parteifreund, Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul, auf der politischen Bühne ähnlich verhalten. Unter seiner Ägide wurden und werden Shisha-Bars und andere prekäre Gewerbezweige gezielt schikaniert. Seine mit Polizeihundertschaften als Razzien deklarierten Gewerbekontrollen taufte er »Strategie der 1000 Nadelstiche« – ein Euphemismus für eine Offensive der Repression in Stadtteilen, die ohnehin durch Armut und rassistisches Stigma benachteiligt sind.

Polizei, Politik und Medien spielen Pingpong mit den immergleichen Anekdoten (der Schwerkriminelle, der mit riesigem Auto am Jobcenter vorfährt; das bedingungslose innerfamiliäre Schweigegebot; die Aussage einer Mutter, nur Knast mache Männer…) und lenken damit davon ab, dass die Bedrohung aufgebauscht ist: Höchstens 0,6 Prozent aller aufgenommenen Straftatermittlungen machen das aus, was in Polizeistatistiken als »Clankriminalität« bezeichnet wird – daran ändern auch die wenigen spektakulären Diebstähle nichts, die in kaum einem Medienbericht über »Clans« fehlen.

Die Lageberichte, die das angebliche Kriminalitätsphänomen auf eine objektive Basis stellen sollen, entlarven die »Clankriminalität« als Sammelsurium von Delikten, dessen einziger gemeinsamer Nenner die rassistische Zuschreibung ist. Die polizeilichen Definitionen darin verknüpfen delinquentes Verhalten, angebliche Abschottung oder Staatsfeindlichkeit mit Herkunft, Ethnie, Abstammung. Im Klartext: Der Begriff der »Clankriminalität« dient dazu, eine Sonderstatistik für Delinquenz von rassifizierten Menschen zu führen, denen sie eine kriminelle Neigung qua Geburt zuschreibt.

Rassismus prägt auch die staatlichen Maßnahmen, die mit der Debatte über »Clans« einhergehen: zum Beispiel die gezielte Überhäufung von migrantischen Stadtteilen mit rabiaten Kontrollen, die Versuche von Staatsanwaltschaften, Familien als kriminelle Vereinigungen anzuklagen (Stichwort Sippenhaftung) und die Kriminalisierung von Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Die Betroffenen erleben schon seit Jahrzehnten, dass ihr Aufenthalt und ihre Arbeit illegalisiert werden. Ihre Stigmatisierung als »Clan« gibt ihnen dafür selbst die Schuld und legitimiert auf diese Weise ihre Disziplinierung auf dem Arbeitsmarkt und ihre Verdrängung aus öffentlichen und politischen Räumen.

Der Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD), Menschen aus bestimmten Familien ohne Gerichtsurteil als Kriminelle zu labeln und auf dieser Grundlage abzuschieben, sollte daher nicht als Wahlkampfmanöver verharmlost werden. Denn damit wird die Abschaffung von individuellen Schutzrechten gegen staatliche Gewalt normalisiert. Man lässt sie gar als geboten erscheinen. Die Fülle an Projektionen in dieser Debatte und der Profilierungswettbewerb autoritärer Politiker*innen kann zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese gewaltsame Folgen hat. Der Mythos »Clankriminalität« dient klar dazu, rechtsstaatliche Prinzipien auszuhebeln und eine rassistische, migrant*innenfeindliche Agenda voranzutreiben.

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