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Mexiko: »Die gewaltsame Vertreibung nimmt zu«
Pedro Faro über die Menschenrechtslage in Chiapas und im Süden Mexikos
Sie sind derzeit in Europa unterwegs, um auf die Menschenrechtsprobleme im Süden Mexikos aufmerksam zu machen. Anders als vor fünf Jahren erwartet hat sich an der Situation unter der Regierung von Andrés Manuel López Obrador wenig geändert – warum?
Es ist richtig, dass Andrés Manuel López Obrador vor knapp fünf Jahren mit großen Erwartungen vereidigt wurde. Wir als Organisation, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, müssen leider kritisieren, dass die Zahl der Verletzungen grundlegender Menschenrechte durch den Staat nicht zurückgegangen ist. Dabei handelt es sich um Vertreibungen, extralegale Hinrichtungen, gewaltsames Verschwindenlassen sowie Angriffe auf Gemeinden im Widerstand. Gravierend ist, dass der Staat beziehungsweise seine Vertreter*innen diese Fakten oft nicht anerkennen, ignorieren oder als nicht richtig bezeichnen. Wir laufen quasi gegen eine Wand des Schweigens und der Ignoranz im Land, und deshalb ist es so wichtig, im Ausland auf die Situation aufmerksam zu machen.
Die Regierung von Andrés Manuel López Obrador, in Mexiko meist AMLO genannt, ist als linke, progressive Regierung angetreten. Wie lautet Ihre Bilanz als Menschenrechtsexperte?
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Linke Regierungen in Lateinamerika haben immer wieder soziale Bewegungen in den jeweiligen Ländern angegriffen. Da bildet Mexiko keine Ausnahme, denn Organisationen wie die CNI (Indigener Nationalkongress) oder die zapatistische Befreiungsbewegung EZLN werden kriminalisiert. Generell hat sich die Menschenrechtssituation in Chiapas unter der AMLO-Regierung verschlechtert: Vorher gab es einen ausgehandelten Frieden zwischen Narco-Akteuren, sprich mächtigen Organisationen aus dem Drogensektor. Mit dem Amtsantritt wurde eine neue Sicherheitspolitik der Regierung durchgesetzt, die die alten Abkommen ersetzte. Die Militärpräsenz in der Region wurde verstärkt, die Konfrontation nahm zu und die Situation wurde in diesen Transitregionen, wo die Migration eine wichtige Rolle spielt, immer unübersichtlicher.
Warum modifiziert der Staat seine Sicherheitspolitik nicht?
Für den mexikanischen Staat gibt es kein gravierendes Problem, obwohl in etlichen Regionen ein Chaos herrscht, weil sich mehrere Gruppen bekämpfen, und die Regierung verfolgt parallel dazu eine Strategie der Remilitarisierung – attackiert allerdings nicht die bewaffneten Akteure. Das sorgt dafür, dass die Situation der Zivilbevölkerung riskant ist – sie sitzt zwischen allen Stühlen. Zudem treffen regionale und lokale Politiker immer wieder Absprachen mit den bewaffneten Akteuren, die mit dem Transport von Menschen über die Grenzen derzeit am meisten verdienen – derzeit ist der Menschenhandel attraktiver als der Drogenhandel.
Geraten dadurch zivile indigene Organisationen oder auch die EZLN unter Druck?
Ja, natürlich. Die Präsenz paramilitärischer Gruppen hat zugenommen, zum Beispiel in San Gregorio, wo die EZLN präsent ist. Sie geht Konfrontationen aus dem Weg, aber paramilitärische Akteure dringen öfter in deren Gebiet vor, wo die Bevölkerung sie unterstützt. Das ist ein Problem und wir haben den Eindruck, dass die lokalen, regionalen und nationalen Verantwortlichen das dulden – daher nimmt die gewaltsame Vertreibung zu.
Wie wirkt sich das auf Aktivisten aus?
Die werden mehr und mehr kriminalisiert. Ein Beispiel ist Manuel Gómez, der sich für Landrechte engagiert hat und der EZLN nahesteht. Er sitzt seit zwei Jahren im Gefängnis – ohne Urteil. Er ist ein Untersuchungsgefangener gegen den keine Beweise vorliegen, dessen Grundrechte verletzt werden. Ein weiterer Aktivist ist José Díaz, der seit acht Monaten aufgrund manipulierter Anschuldigungen im Gefängnis sitzt. Das sind nur zwei Beispiele, die internationale Aufmerksamkeit benötigen, denn generell nimmt die Kriminalisierung sozialer Aktivisten, meist indigener Herkunft, in Mexiko stark zu. 80 Prozent der inhaftierten Menschen in Chiapas sind indigener Herkunft. Sie haben oft keine Chance auf Recht, können sich keine Anwälte leisten und sind oft Opfer konstruierter Anschuldigungen.
Berichtet die Presse über die Situation der lokalen Bevölkerung?
Ja, aber nur selten und die Regierung bestreitet solche Berichte oft – verweist auf eigene Zahlen. Hinzu kommt, dass das Verhältnis zwischen Regierung und Presse schlecht ist: Immer wieder gibt es verbale Angriffe auf die Presse, Anzeigen werden kaum geschaltet und die Regierung reagiert sehr empfindlich auf Kritik und teilweise mit massiven verbalen Angriffen. Die Situation ist sehr polarisiert. Journalisten in Mexiko leben sehr gefährlich, die Zahl der Morde an Journalisten ist so hoch wie in Ländern, wo es einen offenen Krieg gibt wie in der Ukraine. Hinzu kommt die hohe Zahl der gewaltsam Verschwundenen, die sich inzwischen auf rund 110 000 Menschen beläuft.
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