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Magdeburg gegen Kiel: Mit Stars spielt sich Handball leichter
Die Favoriten der Handball-Bundesliga, Kiel und Magdeburg, beklagen vor ihrem Duell jeweils schwache Saisonstarts
An der Nomenklatura des Handballs rüttelt Alfred Gíslason noch nicht. Der Handball-Bundestrainer ist weiterhin davon überzeugt, dass der SC Magdeburg und der THW Kiel der nationalen Konkurrenz auf lange Sicht überlegen sein werden. »Ich sehe die beiden am Ende auf Platz eins und zwei«, sagte der 64-jährige Isländer in diesen Tagen den offenbar besorgten »Kieler Nachrichten«. »Dabei bleibe ich auch.«
Allein die Frage nach dem Status der beiden Klubs indes verrät, dass im Gemälde des deutschen Handballs Risse zu erkennen sind. Und in der Tat stehen beide Mannschaften am Samstag schwer unter Druck, wenn sie in Magdeburg aufeinandertreffen. Nicht nur Champions-League-Sieger Magdeburg (9:3 Punkte) liegt bereits drei Zähler hinter den bislang punktverlustfreien Teams aus Melsungen und Berlin. Auch der Rekordmeister THW Kiel verzeichnet nach nur fünf Partien bereits vier Minuspunkte.
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Wie ungewohnt die Situation für beide Traditionsvereine ist, belegen die jüngsten Äußerungen ihrer Verantwortlichen. Er müsse sich darum kümmern, was sich bei seinen Spielern »zwischen den Ohren« abspiele, meinte Magdeburgs Erfolgstrainer Bennet Wiegert nach dem 27:27-Remis in Leipzig, denn sein Team hatte im Ostduell einen hohen Vorsprung verschenkt. Es fehle aktuell die »Killermentalität«, klagte Wiegert.
Sein Trainerkollege im Norden blies in das gleiche Horn, nachdem die »Zebras« eine desaströse 30:35-Heimniederlage gegen die MT Melsungen kassiert hatten. Das sei »eine Situation, die wir nicht wollten«, erklärte Kiels Coach Filip Jicha. »Der Druck steigt jetzt natürlich, wir sind in einer schweren Phase«, sagte Geschäftsführer Viktor Szilagyi und forderte, man müsse sich die verlorenen Punkte in der Liga nun woanders wiederholen.
Immerhin hielten sich die Kieler in der Champions League mit drei Siegen bislang schadlos, auch wenn der Auswärtssieg am Mittwoch im nordmazedonischen Bitola (23:20) ebenfalls keinen Nachweis hoher Spielkunst darstellte. Auf der anderen Seite ist die Formkrise des Rekordmeisters keine Sensation, hat er doch im Sommer zwei Topspieler verloren. Zum einen wechselte Sander Sagosen in seine Trondheimer Heimat, um das neue Projekt Kolstad anzuführen. Selbst wenn der Norweger nach Ansicht vieler Experten die hohen Erwartungen im Kieler Rückraum nicht immer erfüllte, so verkörperte der Halblinke doch für jede Abwehr stets höchste Gefahr. Die Statik des Kieler Angriffs hat sich nun jedenfalls stark verändert.
Sein Nachfolger auf der Königsposition, der Schwede Eric Johansson, brillierte zwar zum Auftakt. Aber nach drei klaren Kieler Siegen zum Saisonstart kippte das Momentum beim Auswärtsspiel in Flensburg, als der THW in den Schlussminuten völlig kollabierte und eine Drei-Tore-Führung nicht über die Zeit retten konnte. Nachdem sich der spielerisch hochveranlagte Zugang von den Färöer-Inseln, Regisseur Elias Ellefsen á Skipagøtu, im letzten Angriff zu einem zu frühen Abschluss hinreißen ließ, kassierte der THW in den Schlusssekunden noch eine bittere Niederlage.
Das durfte man noch als Naivität verbuchen. Die folgende Heimpleite gegen Melsungen (30:35) aber demonstrierte, dass der Transfer des Supertorhüters Niklas Landin nach Aalborg noch gravierender war als der Sagosens. In der vergangenen Saison hatte der Däne, der zu den besten Keepern der Handballgeschichte gezählt wird, viele Partien mit seinen Paraden fast allein gewonnen. Gegen die Nordhessen aber gelang das seinem tschechischen Nachfolger Tomáš Mrkva nicht. Chefcoach Jicha musste sich nach der Partie Vorwürfe gefallen lassen, einen Negativlauf erst viel zu spät mit einer Auszeit gestoppt zu haben.
Was Landin für die Kieler Abwehr darstellte, bedeutet Gísli Thorgeir Kristjánsson für den Magdeburger Angriff. Der isländische Regisseur war die zentrale Figur bei ihrer Meisterschaft im Jahr 2022 und auch beim Sieg in der Champions League in diesem Frühsommer, als er nach dem Triumph des SCM als wertvollster Spieler ausgezeichnet wurde. Mit seinen blitzschnellen ersten Schritten vermag es der Spielmacher wie kein anderer Handballer, Überzahlsituationen für seine Kollegen zu schaffen oder selbst mit Durchbrüchen zum Erfolg zu kommen.
Seit dem Sommer aber laboriert Kristjánsson an einer Schulterverletzung, und die beiden Neuzugänge auf seiner Position in der Mitte des Rückraums, Janus Smárason und Felix Claar, waren bislang nicht in der Lage, die Magdeburger Offensive ähnlich zu prägen. Der Schwede Claar, der ohnehin ein etwas anderer Spielertyp ist, muss sich erst an die recht raue Luft in der Bundesliga gewöhnen. Wie sehr die Offensive des SCM auf den individuellen Fähigkeiten Kristjánssons basiert hatte, zeigte sich zuletzt bei der krassen 20:32-Auswärtspleite beim FC Barcelona, als die Halbspieler immer wieder an der katalanischen Abwehrmauer abprallten.
Während die Konkurrenz aus Kiel den Verlust Landins vermutlich in der gesamten Saison verkraften muss – sein Nachfolger, der spanische Torwart Gonzalo Pérez de Vargas, kommt wohl erst im Sommer 2024 von Barcelona nach Deutschland – wird Kristjánsson indes nach der Winterpause wieder zurückkehren. Sollte der SCM bis dahin nicht hoffnungslos abgeschlagen sein, hätte das Team von Bennet Wiegert also gute Chancen auf ein Comeback.
Dennoch dürfte sich der Meisterschaftskampf bis zum Ende dramatisch gestalten. Zumal auch die SG Flensburg-Handewitt (8:4 Punkte) über einen unglaublich starken Kader verfügt, da sie sich mit den beiden dänischen Weltmeistern Simon Pytlick (Rückraum links) und Lukas Jörgensen (Kreis) verstärkt hat. Ein Nachteil aber ist, dass der neue Trainer Nicolej Krickau die Bundesliga noch nicht kennt, die SG jedenfalls ließ ebenfalls überraschend Punkte in Lemgo und in Hannover.
Die Tabellenführer aus Melsungen und Berlin (je 12:0-Punkte) profitieren bislang von den Schwächen der Topfavoriten. Den Füchsen aus Berlin indes könnte die mangelnde Tiefe des Kaders zum Nachteil gereichen, da sich Linkshänder Fabian Wiede just verletzte und lange ausfällt. Trotz ihres Startrekords glauben auch die Nordhessen selbst noch nicht an eine dauerhafte Spitzenposition, zu schwankend waren ihre Leistungen in der Vergangenheit. Aus diesem Grund hat sie auch Bundestrainer Alfred Gíslason nicht auf seiner Meisterrechnung.
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