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Kohlenstoff-Zoll gegen Klima-Dumping
In der EU ist der neue CO2-Grenzausgleichsmechanismus in Kraft getreten
Verkehrsminister Volker Wissing sorgte sich dieser Tage auf der nationalen Luftfahrtkonferenz in Hamburg um die »Verlagerungsproblematik«. Der Grund: Mit dem Gesetzespaket Fit-for-55 möchte die Europäische Union auch Fortschritte auf dem Weg zum CO2-neutralen Fliegen erreichen. So sollen Flugzeuge schrittweise einen immer höheren Anteil an nachhaltigen Kraftstoffen tanken. Doch der ist aktuell fünfmal so teuer wie der Klimakiller Kerosin. Airlines könnten daher ihre Flüge in weniger regulierte Regionen verlagern, um billiges Kerosin zu tanken. Diese Befürchtung trieb nicht allein FDP-Politiker Wissing auf der Luftfahrtkonferenz um, sondern auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), die versammelte Industrieprominenz und Gewerkschafter.
Die Debatte rankt sich vor allem um die Luftfahrt und die energieintensiven Industrien. Verlagerungen und Klima-Dumping verhindern soll das neue europäische CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM), das am 1. Oktober in Kraft getreten ist. Vereinfacht gesagt wird ein Klimazoll erhoben, der bei Importen an der Grenze den preislichen Vorteil einer Produktion im Ausland ausgleichen soll, die nicht für Emissionen bezahlen muss.
Damit die EU-Länder Champions bei der Senkung der Treibhausgasemissionen werden, treibt die EU die Kosten für den CO2-Ausstoß in die Höhe. Ein Zertifikat, das den Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid erlaubt, kostet zurzeit an die 100 Euro. Dadurch kann in Ländern ohne CO2-Bepreisung unter Umständen günstiger produziert werden. Dies könnte einerseits deutsche und europäische Unternehmen verleiten, ins Nicht-EU-Ausland abzuwandern. Andererseits sind Importe aus solchen Ländern günstiger und gefährden somit die hiesige Produktion. Sorgen bereitet dieses sogenannte Carbon-Leakage, die Kohlenstoff-Lücke, vor allem exportstarken Branchen wie dem Maschinenbau und der Chemie- oder Automobilindustrie.
Der CO2-Grenzausgleich ist Teil einer Reform des EU-Emissionshandels. Derzeit müssen betroffene Firmen nur einen Teil der Zertifikate am Markt kaufen. So sollen sie im globalen Wettbewerb bestehen können. Der Rest wird von den Mitgliedstaaten frei zugeteilt, auch um die heimische Industrie konkurrenzfähig zu halten. CBAM soll fortan helfen, die freien Zuteilungen schrittweise abzubauen. Nach einer Übergangsphase, in der vorwiegend ein »Monitoring« erfolgt, wird dieser CO2-Zoll dann ab 2026 bei Importen bestimmter Produkte erhoben. 2030 soll der CBAM auf Produkte aus allen Sektoren in Industrie und Verkehr Anwendung finden.
»Aktuell betrifft die CO2-Bepreisung (nur) die Emissionen, die innerhalb der EU entstehen«, erläutert Robin Sogalla, Doktorand am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. »Wenn hier zum Beispiel eine Tonne Stahl produziert wird, dann fällt dafür ein CO2-Preis an.« Der Grenzausgleich solle das nun ausweiten auf Emissionen, die in den Importen enthalten sind. »Das heißt, für die Emissionen, die in Nicht-EU-Ländern bei der Produktion beispielsweise einer Tonne Stahl angefallen sind, soll an der Grenze eine Abgabe erhoben werden.« Diese dürfte beispielsweise auch klimaschädliche Kraftstoffe für Flugzeuge verteuern, da diese weitgehend importiert werden.
Unterm Strich, so das Ziel der EU, sollen importierte Waren mit den gleichen CO2-Kosten belastet werden wie die in der EU hergestellten. Der Grenzausgleichsmechanismus könnte daher Verlagerungen von Produktion (und damit von Emissionen) in andere Länder sowie den Produktionsrückgang treibhausgasintensiver Industrien vermeiden, den die Reduzierung der kostenlos zugeteilten Zertifikate mit sich bringen könnte. »Er kann sie aber nicht vollständig ausgleichen«, zeigen DIW-Forscher in einer Studie. Die Wirkung auf den internationalen Wettbewerb sollte daher nicht überbewertet werden.
Auch Wirtschaftsverbände haben ein anderes Problem. Der CBAM zieht umfassende Berichtspflichten und einen hohen Verwaltungsaufwand nach sich. Das dürfte vor allem für kleine und mittlere Betriebe zur Herausforderung werden, weil sie in der Regel nicht über entsprechend große Abteilungen verfügen.
Zunächst dürfte die reale Wirkung des CO2-Zolls auch abgefedert werden durch die Entwicklung des Preises für Emissionszertifikate. Dieser ist infolge der Konjunkturschwäche im Keller gelandet. Analysten der Commerzbank erwarten, dass dies zumindest auch 2024 so bleiben wird, was etwaige Kinderkrankheiten des Grenzausgleichs verhindern dürfte. Die EU kann dann bis 2026 nachsteuern.
Entscheidend wird mittelfristig sein, dass der Grenzausgleich nicht zu Handelskonflikten führt. Das wird nicht ganz einfach, denn in China oder den USA wird der CO2-Zoll der EU nicht gerade als Beitrag zu einem fairen Wettbewerb gesehen, sondern vereinzelt als egoistischer Protektionismus gegeißelt. Eine bessere internationale Zusammenarbeit bleibt für die Bewältigung auch dieses Streitfeldes unabdingbar.
Ein Schluss, den auch die Luftfahrt auf ihrer Konferenz in Hamburg zog. Die Airline-Lobby forderte von Minister Wissing und der Bundesregierung weitere Maßnahmen und unterstrich das mit der üblichen Drohung: Ohne zusätzliche Hilfen werden die europäischen Fluggesellschaften an Marktanteilen verlieren. Und, so warnten sie, Luftverkehrsdrehkreuze werden in Nicht-EU-Länder verlagert werden.
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