Tag der Deutschen Einheit: Gegen die »widerliche Vereinigung«

Hamburg richtet in diesem Jahr die offiziellen Einheitsfeierlichkeiten aus. Es gibt Proteste

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Hamburg ist eine internationale Metropole des Fortschritts und der Vielfalt«, erklärte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bei der Vorstellung der Planungen für die Feier zum Tag der Deutschen Einheit. Der Stadtstaat organisiert in diesem Jahr turnusgemäß die offiziellen Rituale zum Nationalfeiertag. Denn das Bundesland hat gerade die Bundesratspräsidentschaft inne.

Als selbsternanntes »Tor zur Welt« legt Hamburg auch beim Logo noch einen drauf: Zum obligatorischen Schwarz-Rot-Gold tritt Blau hinzu. Die Farbe habe einen »maritimen Anklang«, stehe für Seriosität und solle »den Spirit ausdrücken, der uns in Hamburg ausmacht«, erklärte Tschentscher die Auswahl.

Rund um die Binnenalster im Zentrum der Hansestadt soll zwei Tage lang gefeiert werden. Auch wenn die Verwaltung beim PR-Sprech besonders dick aufträgt: Im Prinzip ist es das übliche Programm mit einer Meile, auf der sich alle Bundesländer präsentieren, mit Informationen zu den Verfassungsorganen, zu Vereinen und weiteren Institutionen. Auch die »Metropolregion Hamburg« mit fünf Millionen Bewohnern soll gefeiert werden. Dazu rechnet Hamburg das Umland mit Teilen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens und auch Mecklenburgs.

Hamburgs Kapital und Handel haben seinerzeit stark vom Zusammenbruch der DDR profitiert, sowohl, was den Absatz von Produkten angeht, als auch durch die Auslagerung von Produktion nach Osten. Das Ende der DDR war ein Konjunkturprogramm für Hamburg wie für ganz Westdeutschland. Die Verkehrs- und Warenströme von und nach Hamburg nahmen nach 1989 enorm zu.

Aber darum wird es beim Festprogramm ebensowenig gehen wie um die Treuhand und den Ausverkauf der DDR-Wirtschaft. Stattdessen wird Bundeswehrminister Boris Pistorius zum Thema »Zeitenwende in der Sicherheitspolitik« sprechen – in der Handelskammer, die direkt an das Rathaus angrenzt. Und die mit dem der Verwaltung der Stadt nebenan mit einer unscheinbaren Tür verbunden ist. Das Rathaus und das Haus der Handelskammer wurden zusammen geplant und gebaut. Die Tür verkürzt den Weg zwischen beiden Häusern auf ein Minimum – und steht dafür, in wessen Interesse Bürgermeister und Senatoren regierten und regieren.

Das Festprogramm ist getragen von der Darstellung der Wiedervereinigung als Erfolgsgeschichte. Unter der Überschrift »Die deutsche Einheit in Highlights« wird etwa hervorgehoben, dass sechs Prozent der Hamburger*innen in der DDR geboren wurden. Nur ist von diesen sechs Prozent in der städtischen Öffentlichkeit eigentlich nie etwas zu hören. Tatsächlich sind verhältnismäßig viele Ostdeutsche nach Hamburg ausgewandert. Und viele pendeln von Mecklenburg aus täglich zur Arbeit in die Hansestadt.

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Kein Wunder, denn vom Stadtrand bis zum ehemaligen Grenzübergang Horst sind es nur 25 Kilometer. Dass genau dort seit langem die Zentrale Aufnahmestelle Mecklenburg-Vorpommerns für Geflüchtete steht, in der auch Hamburg Menschen unterbringt, wird selbstredend nicht erwähnt.

Abgerundet wird das offizielle Festprogramm wie schon der G20-Gipfel 2017 mit einem großen Konzert in der prächtigen Elbphilharmonie. Mit Protesten wie beim G20-Gipfel ist nicht zu rechnen, wobei Hamburgs Polizeiführung trotzdem groß plant.

Doch es gibt auch ein Alternativprogramm. Motto: »Nix zu feiern!« Diesen Montag um 19 Uhr startet eine Protestdemo am Hauptbahnhof, veranstaltet von Gruppen aus dem Umfeld des Kulturzentrums Rote Flora. Auf dem schwarz-roten Plakat, auf dem zur Teilnahme aufgerufen wird, fällt ein Bundesadler zerstückelt von einem hohen Sockel über einer Menschenmenge. Als Motto steht dort: »Deutschland du …(zensiert)«.

Neben der Demo gibt es mehrere Veranstaltungen. »Wir wollen mit der Reihe ›Die widerliche Vereinigung – Deutschland, Rechtsruck und antifaschistische Perspektiven‹ den Jahrestag der Einheit kritisch begleiten«, sagt Leandra Myrkra von der Roten Flora dem »nd«. Der Titel der Reihe ist derselbe wie jener einer Veranstaltung am 2. Oktober 1990 in Hamburg, die mittendrin abgebrochen werden musste. Denn die Besucher*innen verließen den Raum, um von etwa 300 Nazis und Hooligans angegriffenen Bewohner*innen der Hafenstraße zu Hilfe zu kommen.

Hinter Veranstaltungsreihe und Demo steht ein loses Bündnis linksautonomer Gruppen: »Wir sind in der Roten Flora aktiv und lassen die Reihe ganz bewusst hier stattfinden«, erläutert Leandra Myrkra: »Als besetztes Kulturzentrum bietet die Flora Möglichkeiten, die in einer durchgentrifizierten Stadt zunehmend schwinden.« Warum »zensiert« auf dem Plakat zur Demo am 2. Oktober steht, kann Myrkra erklären: »Das ursprüngliche Motto ›Deutschland, du mieses Stück Scheiße!‹ wurde untersagt.« Die Versammlungsbehörde teilte mit, dabei bestehe dabei der »Anfangsverdacht einer Straftat gem. § 90a StGB«. Der Paragraf stellt die »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole« unter Strafe.

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