Meloni bekommt nichts auf die Reihe

Im ersten Amtsjahr hat die ultrarechte Regierung in Italien ihre selbst gesteckten Ziele klar verfehlt

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum ersten Mal spürt Giorgia Meloni stärkeren Gegenwind. Ein Jahr nach ihrer Ernennung zur ersten postfaschistischen Ministerpräsidentin in Italien wird die Luft für ihre Regierung dünner. Und das liegt nicht unbedingt an der Opposition, die immer noch nach einem gangbaren Weg und vor allem nach einer gemeinsamen Linie sucht.

Ihr erstes Amtsjubiläum hatte sich Meloni sicherlich anders vorgestellt. Durch die Feierlichkeiten, die dafür in verschiedenen Städten geplant waren, machte der Tod des ehemaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano einen dicken Strich: Das großangelegte Begräbnis und eine dreitägige Staatstrauer machten Jubelfeste unmöglich. Aber abgesehen davon hat inzwischen die Realität die Regierung und ihre Chefin eingeholt.

Das Einzige, was übrig geblieben ist, so schreibt der für seine Ironie berühmte Journalist Filippo Ceccarelli in »La Repubblica«, ist »eine traurige Broschüre, in der man die großen Errungenschaften von Giorgia Meloni aufzählt. Und eben nur diese Broschüre«. Ceccarelli beschreibt das Titelblatt: Die Ministerpräsidentin (pardon: der Ministerpräsident, wie sie genannt werden möchte), schaut verträumt, aber entschlossen in die Zukunft ...

Tatsächlich kann die ultrarechte Regierung nur wenig vorweisen. Vor allem sind das eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die die Strafen für die unterschiedlichsten Verbrechen und Vergehen drastisch anheben: Gefängnis für die Organisatoren von Rave-Partys, für Verkehrssünder, für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Dazu kommt die Abschaffung des sogenannten Bürgergelds für die Ärmsten der Armen und vor allem ein härteres Vorgehen gegen Migranten.

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Ihre wichtigsten Wahlversprechen hat Meloni nicht eingelöst, angefangen mit der berüchtigten Seeblockade, um die Boote der Migranten endgültig von den italienischen Küsten fernzuhalten. Als Regierungschefin hat sie gemerkt, dass das nicht durchführbar ist und musste gleichzeitig praktisch eine Verdoppelung der Zahl der Flüchtlinge verzeichnen, die im letzten Jahr über das Mittelmeer gekommen sind.

Das kann man sicherlich nicht ihr anlasten, aber es ist ein Fakt, mit dem sie nicht zurechtkommt. Und also musste Meloni einen Schuldigen finden, was überhaupt die Lieblingsbeschäftigung der Ministerpräsidentin und ihrer Vertrauten zu sein scheint. Im Falle der Migranten ist das wahlweise Europa, das »unser Land mit den Flüchtlingen allein lässt« – oder auch Deutschland.

In Berlin hat man das vielleicht noch nicht gemerkt, aber mehrere Minister der Meloni-Regierung sind der Ansicht, dass die deutsche finanzielle Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen einer »Kriegserklärung« gleichkommt. Der Slogan, der immer wiederholt wird, ist: »Es ist leicht, seine Solidarität auf Kosten eines anderen Landes zu beweisen«. Italien wird als das Opfer dargestellt.

Ebenfalls für den Anstieg der Flüchtlingszahlen verantwortlich sollen besagte Rettungsschiffe im Mittelmeer sein. Die Tatsachen werden gewollt übersehen: Untersuchungen der Uno belegen, dass die NGOs kein »Pullfaktor« für die Flüchtlinge sind – dass sich die Menschen an der nordafrikanischen Küste also nicht deshalb in unsichere Nussschalen setzen, weil sie wissen, dass sie dann ja von den Schiffen gerettet werden.

Tatsächlich wurde den humanitären Organisationen ihre Arbeit so schwer wie möglich gemacht: Ihre Schiffe werden immer wieder wochenlang in italienischen Häfen festgehalten und es wird ihnen untersagt, pro Reise mehr als eine Rettung durchzuführen. Zudem dürfen sie nicht den »nächsten sicheren Hafen« anlaufen, wie es das internationale Seerecht vorsieht, sondern müssen meist Hunderte von Meilen weiterfahren, um die Geretteten dann nach Norditalien zu bringen. Es wird auch nicht an die große Glocke gehängt, dass sich die italienische Küstenwache selbst immer wieder an eben diese NGOs wendet, um Menschen, die irgendwo im Mittelmeer dem Tod nahe sind, in Sicherheit zu bringen.

Einiges, was die neue Regierung wirklich »geschafft« hat, bleibt in Melonis Jubelschrift unerwähnt: zum Beispiel die Tatsache, dass sie das öffentlich-rechtliche Fernsehen RAI »auf Kurs« gebracht hat. Einige der kritischsten Sendungen wurden abgesetzt, bekannte Journalisten und Satiriker entlassen beziehungsweise gezwungen, sich andere Sender zu suchen. Das gilt für das Fernsehen genauso wie für den Rundfunk.

Jetzt gibt es noch einen neuen »Feind«, dem man die eigene Unfähigkeit in die Schuhe schieben kann: »die politisierte Justiz«. Gerade hat eine Richterin in Catania beschlossen, bestimmte Verordnungen, mit denen man Migranten, die keinerlei Verbrechen begangen haben, wegsperren kann, nicht anzuwenden. Diese würden sowohl gegen die italienische Verfassung als auch gegen europäisches Recht verstoßen. Der Shitstorm, der über die Richterin hereinbricht, ist enorm. Meloni selbst erklärte, es gäbe Richter, die sich für »die Illegalität stark machen«.

Heißt das jetzt, dass die Regierung am Ende ist? Sicherlich nicht, aber Umfragen belegen, dass ihr Rückhalt schwindet.

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