Neue Etappe für Korsika

Mit einer Verfassungsänderung könnte französische Mittelmeerinsel die Autonomie erlangen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Präsident Emmanuel Macron hat sich am vergangenen Donnerstag in einer Rede vor der Territorialversammlung Korsikas als erstes Staatsoberhaupt in der Geschichte Frankreichs bereit erklärt, der Insel eine »Autonomie innerhalb der Republik« zu gewähren und dies in der Verfassung zu verankern. »Scheuen wir nicht vor diesem kühnen Schritt zurück«, rief er den 63 Abgeordneten des Regionalrates zu. »Es wird weder eine Autonomie gegen den Staat noch eine Autonomie ohne den Staat sein, sondern eine Autonomie für Korsika und in der Republik.«

Die viertgrößte Mittelmeerinsel gehört seit 1768 zu Frankreich. Jahrzehntelang kämpften korsische Separatisten für politische Eigenständigkeit, die Untergrundorganisation FLNC legte erst 2014 die Waffen endgültig nieder. Gleichzeitig gewannen gemäßigte Nationalisten politisch an Bedeutung. Mittlerweile haben sie die Mehrheit im Regionalparlament. Statt einer vollständigen Loslösung fordern sie einen weitgehenden Autonomiestatus für die französische Gebietskörperschaft.

Macron sprach sich dafür aus, eine neue Etappe einzuleiten. »Um Korsika vollständig in der Republik zu verankern und seine Einzigartigkeit anzuerkennen, müssen wir vorankommen, und dazu ist die Aufnahme Korsikas in unsere Verfassung erforderlich. Das ist Ihr Wunsch, ich teile ihn und mache ihn mir zu eigen, denn ich respektiere und erkenne die Geschichte, die Kultur und die Besonderheiten Korsikas in der Republik an.«

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Die verschiedenen politischen Formationen in Korsika, mit denen die Regierung in Paris bereits seit Monaten Vorgespräche führt, haben jetzt sechs Monate Zeit, sich auf einen entsprechenden Passus in der Verfassung zu einigen. Dann muss der Kongress, die gemeinsame Sitzung beider Kammern des Parlaments, die traditionell im Schloss von Versailles stattfindet, über diese Verfassungsänderung entscheiden. Für die Annahme ist eine Drei-Fünftel-Mehrheit erforderlich.

Ob sie erreicht werden kann, ist im Moment noch ungewiss. Während nicht nur das Regierungslager, sondern auch die linke Opposition einen solchen historischen Schritt befürwortet, wird viel davon abhängen, wie weit man die Bedenken der rechtsoppositionellen Republikaner wird zerstreuen können. Doch vor allem müssen sich die verschiedenen Kräfte in Korsika selbst erst einmal auf gemeinsame Positionen einigen, um einen aussichtsreichen Textentwurf für die Verfassungsänderung vorlegen zu können.

Die Autonomisten um Gilles Simeoni, den Präsidenten der Korsischen Exekutive, sind »fest entschlossen, zu einem Kompromiss der verschiedenen Forderungen zu gelangen, um nicht diese historische Chance zu verpassen«, wie Jean-Félix Acquaviva erklärt, der die Partei als Abgeordneter der Nationalversammlung in Paris vertritt.

Jean-Christophe Angelini, der Führer der »oppositionellen Autonomisten« in Korsika kann diesen Optimismus nicht teilen. Er ist skeptisch, ob die Differenzen überbrückt werden können. Schließlich hat in Versailles nur ein solcher Text Aussicht darauf, angenommen zu werden, den man nicht nur in Korsika, sondern auch in Paris akzeptiert.

Die Vorgespräche in Paris haben ergeben, dass die Regierung bereit ist, viele Kompetenzen auf administrativem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet an die Exekutive in Korsika abzugeben. Diese soll auch regionale Steuern erheben können, aber keine eigenen Gesetze erlassen.

Problematisch ist noch die Frage der Sprache. Die bei den Befürwortern der Autonomie verbreitete Forderung, das eng mit dem Italienischen verwandte Korsisch zur Amts- und Unterrichtssprache auf der Insel zu erklären und Französisch nur zur zweiten Sprache, ist für Macron inakzeptabel. Er befürwortet jedoch, den Unterricht der korsischen Sprache und ihre breitere Verwendung in jeder Hinsicht zu fördern.

Macron hat auch versprochen, die Immobilienspekulation auf der Insel zu bekämpfen. Weil durch Ferienhausbesitzer vom Kontinent die Preise für Baugrundstücke und damit auch die Mieten in unerschwingliche Höhen treiben, fordern viele Korsen bei der Vergabe eine Priorität für Inseleinwohner. Das kommt für den Präsidenten allerdings ebenso wenig infrage wie eine Priorität für Korsen bei der Besetzung freier Arbeitsplätze.

Für Macron war es bereits das vierte Mal seit seiner Wahl zum Präsidenten 2017, dass er Korsika einen Besuch abstattete. Dabei war es sicher kein Zufall, dass er die Erklärung zugunsten der Autonomie am Rande einer Visite abgegeben hat, die dem 80. Jahrestag der Befreiung der Insel von der Nazi-Besetzung am 4. Oktober 1943 gewidmet war.

Indem der Präsident die korsischen Widerstandskämpfer würdigte, betonte er die Verbundenheit der Korsen mit der Republik und ihren demokratischen und humanistischen Werten. Korsische Antifaschisten hatten einen großen Anteil daran, dass ihre Insel im Oktober 1943 als erstes Territorium Frankreichs durch die Alliierten befreit werden konnte. Bemerkenswert ist auch, dass in Korsika die Juden versteckt und keiner deportiert wurde, weil es – anders als nur zu oft auf dem Kontinent – keine Denunziation bei den Besatzern gab.

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