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Kornelia Wehlan: Die einzigartige Landrätin
Trotz Negativtrend ihrer Partei hält sich die Linke-Politikerin Wehlan an der Spitze des Brandenburger Landkreises Teltow-Fläming
Es fehlen nur wenige Tage, dann ist Kornelia Wehlan (Linke) genau zehn Jahre Landrätin in Teltow-Fläming. Am 14. Oktober 2013 trat sie ihr Amt an. Sie war damals die erste Landrätin ihrer Partei in Brandenburg und ist bis heute die einzige geblieben. Es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, dass die Sozialisten auf absehbare Zeit im Bundesland noch einen zweiten Landratsposten erobern. Denn im Moment verzichten die geschwächten Kreisverbände auf einen eigenen Kandidaten – so geschehen im Frühjahr in Oder-Spree – oder sie unterstützen zusammen mit anderen Gruppierungen einen parteilosen Bewerber wie jetzt am 8. Oktober Sven Herzberger bei der Landratswahl in Dahme-Spreewald.
Freilich hatte Die Linke auch schon große Schwierigkeiten, als die Bürger von Teltow-Fläming Kornelia Wehlan im Oktober 2021 für weitere acht Jahre im Amt bestätigten. Mit 55 zu 45 Prozent der Stimmen gewann Wehlan damals die Stichwahl gegen Mitbewerberin Dietlind Biesterfeld (SPD). Dabei hatte Die Linke nur zwei Wochen zuvor bei der Bundestagswahl brandenburgweit lediglich 8,5 Prozent der Stimmen erhalten und auch in Teltow-Fläming nicht viel besser abgeschnitten. Doch Wehlan gilt als bürgernah und lösungsorientiert. Die Anerkennung für ihre Arbeit als Landrätin hielt dem Negativtrend der linken Bundespartei stand.
Niemals konnte sich Wehlan als Landrätin auf eine Mehrheit im Kreistag stützen. Sie setze auf Vernunft, gesunden Menschenverstand und parteiübergreifenden Konsens, erläutert die Politikerin. »Das war von Anfang an mein Prinzip. Natürlich ist das leichter gesagt als getan, denn anders als bei klaren Mehrheiten muss jeder Beschluss hart erkämpft werden. Doch trotz aller Differenzen geht es stets um den besten Weg.« So zu handeln sei für sie alternativlos, betont Wehlan. »Denn das Maß aller Dinge sind die Menschen im Landkreis. Teltow-Fläming ist meine Heimat. Ich liebe diesen Landstrich und engagiere mich für ihn – mit ganzem Herzen.« Das nehme man ihr hoffentlich ab, sagt die 62-Jährige. Das bei den Landratswahlen erwiesene Vertrauen spricht dafür.
Als sie 2021 wiedergewählt wurde, habe sie die Programme der unterlegenen Kandidaten nebeneinander gelegt und die Schnittmengen herausgearbeitet. So habe sie sozusagen allen die Hand für die Zusammenarbeit gereicht, sagt Wehlan. »Wir haben dann das Leitbild des Landkreises überarbeitet.« Der Entwurf werde nun mit den Bürgern diskutiert und solle im April 2024 beschlossen werden.
Wehlans Erfolgsgeheimnis? Es sei keine One-Woman-Show, also nicht ihre alleinige Leistung, betont die 62-Jährige. »Es hat viel damit zu tun, dass man mit anderen Menschen respektvoll umgeht und sich auf Augenhöhe begegnet. Und es gehört auch immer ein bisschen Demut dazu und dass man sich selbst nicht zu wichtig nimmt.«
Sie liebe ihre Arbeit, obwohl sie alles andere als leicht sei, versichert die Landrätin. »Gefühlt löst eine Krise die nächste ab. Wir hatten Schuldenberge abzutragen, vor Krieg und Hunger fliehende Menschen bei uns aufzunehmen, riesige Waldbrände zu löschen, die Coronakrise zu meistern und uns gegen die geplante Kreisgebietsreform zu behaupten.« Aber der Landkreis habe sich hervorragend entwickelt. Steter Zuzug vor allem junger Familien und die unterschiedlichsten Ranglisten zeugen für Wehlan davon, wie beliebt und wie erfolgreich Teltow-Fläming heute sei.
Wie lange die Politikerin noch Landrätin bleibt? »Gewählt wurde ich für acht Jahre, davon sind zwei schon wieder um«, erinnert sie. »Das Ende der Wahlperiode fällt nahezu mit meinem Renteneintritt zusammen. Soweit die Theorie. Aber in der Praxis kann auch ich nicht in die Glaskugel schauen. Ich hoffe, dass meine Familie und ich gesund bleiben. Und dass ich nicht selbst die Reißleine ziehen muss.« Denn zehn Jahre als Landrätin seien nicht spurlos an ihr vorbeigegangen.
Ob es das war mit einer linken Landrätin in Brandenburg, wenn sie einmal in den Ruhestand tritt? »Ich hoffe nicht, aber das hängt letztlich vom Wählerwillen ab. Linke Politik hat sich jedenfalls bereits über 30 Jahre behauptet, auch wenn der PDS und dann der Linken zunächst keine großen Überlebenschancen eingeräumt wurden«, sagt Wehlan.
Sie sei froh darüber, dass sie zwei Gesellschaftsordnungen erleben durfte. »Das schärft den Blick für all die Dinge, die sich in den vergangenen Jahren positiv verändert haben, aber auch für die Unterschiede, die es nach wie vor gibt.« Für ostdeutsche Biografien und Frauen in Führungspositionen oder politischen Ämtern sei in Brandenburg und Teltow-Fläming noch viel Luft nach oben.
Aktuell sei die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge das größte Thema im Landkreis. »Hier sind wir längst an die Belastungsgrenze gekommen«, sagt Wehlan. Die Städte und Gemeinden könnten der Kreisverwaltung keine Immobilien mehr anbieten, da ihnen Gebäude für die Daseinsvorsorge »nur noch in begrenztem Maße zur Verfügung stehen«. Wehlan nennt hier Kita, Schule und Hort. Das sei in den Jahren 2014 und 2015, als auch schon einmal viele Geflüchtete zu versorgen waren, noch anders gewesen. Auch seien 300 Plätze in den 14 Gemeinschaftsunterkünften mit ehemaligen Asylbewerbern belegt, »die zum Teil Arbeit haben, aber keine Wohnung finden«. Überhaupt gebe es kaum noch bezahlbaren Wohnraum.
Eine persönliche Prioritätenliste, was sie als Landrätin noch unbedingt erledigen will, hat Wehlan nach eigenem Bekunden nicht. Aber sie habe den Eindruck, dass die Herausforderungen der Gegenwart wie Flüchtlingsunterbringung, Gebäudeenergiegesetz, Klimawandel, Engpässe in der medizinischen Versorgung, fehlende Kitaplätze und Fragen der nachhaltigen Mobilität »dem Gesetz der Schwerkraft folgend nach unten fallen«. Das sei für sie ein Verschiebebahnhof. »Wir sollen es hier vor Ort richten und überwiegend allein stemmen. Das geht nicht, denn die Herausforderungen sind ähnlich groß wie nach der Wende. Es taugt nicht, dass Bund und Land auf die Schuldenbremse verweisen, denn die Menschen erleben ja, dass für andere Dinge genug Geld zur Verfügung steht.« Es brauche ein Zukunftsprogramm, um die Kommunen bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu unterstützen. »So kann beispielsweise ein Landkreis nicht ad hoc drei neue Oberschulen aus dem Boden stampfen. Das ist nicht aus Bordmitteln zu stemmen.«
Und noch etwas treibt die Landrätin um. Aus Anlass des Tages der deutschen Einheit am 3. Oktober und mit Blick auf die brandenburgische Kommunalwahl am 9. Juni 2024 erklärt sie: »Kommunalpolitik beginnt vor der eigenen Haustür und ist eine Schule der Demokratie. Abwägen, Kompromisse schließen, Gleichgesinnte finden und sich durchsetzen, die Interessen des Ortes wahren, ohne die Interessenlage anderer zu verkennen ... all das zählt.« Und eine weitere Qualität sei gefragt: Geduld. »Eine Demokratie steht nie auf festen Füßen – gerade in diesen Zeiten.« Es brauche Menschen, »die durch ihr Mitwirken den Willen der Mehrheit zu Zusammenhalt und demokratischem Handeln bekunden«. Die Demokratie sei kostbar und schützenswert. Deshalb ruft Wehlan die Bürger – und weil die Politik unbedingt eine weibliche Sicht der Dinge brauche, auch insbesondere die Bürgerinnen – dazu auf: »Seien Sie dabei, wenn es darum geht, die Dinge anzupacken oder sie zu verbessern.«
»Kornelia Wehlan steht seit zehn Jahren an der Spitze eines der dynamischsten Landkreise Deutschlands und dem mit der langjährig besten Entwicklung im Osten«, würdigt die Linke-Landesvorsitzende Katharina Slanina. »Gleichzeitig bleibt sie auf Augenhöhe, ist ansprechbar für die Menschen in Teltow-Fläming und hat ihre Probleme im Blick. Für mich ist Konni Wehlan ein Musterbeispiel dafür, wie pragmatische, bürgernahe, linke Kommunalpolitik auch dauerhaft erfolgreich sein kann.«
Einen anderen Landratsposten besetzte und besetzt Brandenburgs Linke nicht. Aber in ihrer Dienststellung einem Landrat vergleichbar sind im Bundesland die Oberbürgermeister der vier kreisfreien Städte. Seit Mai 2018 ist René Wilke (Linke) Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Der inzwischen 39-Jährige ist ebenfalls der erste und einzige Oberbürgermeister seiner Partei im Land Brandenburg.
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