Großbritannien: Premier Rishi Sunak versucht den Neuanfang

Großbritanniens Premier präsentiert sich beim Parteitag als Motor des Wandels

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor Rishi Sunaks Rede beim Tory-Parteitag trat ein Überraschungsgast aufs Podium. Akshata Murthy, die Gattin des Premierministers, stellte sich gegen Mittwochmittag ans Mikrofon und sprach in überschwänglichen Tönen von ihrem Ehemann: wie stolz er sie und ihre zwei Töchter mache, wie innig er Großbritannien liebe und wie sehr ihm an der Prosperität seiner Mitbürger liege. »Rishi arbeitet hart, um das Richtige fürs Land zu tun – nicht nur jetzt, sondern auf lange Frist«, sagte Murthy. Es machte den Eindruck, als wolle sie das Publikum milde stimmen und die Delegierten auf einige bittere Pillen vorbereiten, die ihr Mann gleich präsentieren werde.

Schon in den Tagen und Wochen vor dem Parteitag hatte sich abgezeichnet, dass Sunak eine überaus kontroverse Entscheidung treffen würde: den Plan für den Hochgeschwindigkeitszug HS2 teilweise zu verwerfen. Sunak wartete in seiner Rede – es ist sein erster Parteitag als Premierminister – nicht lange, um genau dies zu bestätigen. »Die Tatsachen haben sich geändert«, sagte er, deshalb sollte man »den Mut haben, die Richtung zu ändern«. Die geplante Strecke zwischen Birmingham und Manchester werde eingestampft. Dieser Entscheid ist deswegen so umstritten, weil der HS2 ein riesiges, seit über einem Jahrzehnt geplantes Unterfangen ist und viele Anhänger hat.

Das größte Infrastrukturprojekt Europas sollte einen wichtigen Teil zum regionalen Ausgleich beitragen und dem vernachlässigten Norden zum Aufschwung verhelfen. Dass der Schnellzug jetzt nur zwischen London und Birmingham in den Midlands verkehren wird, hat in den vergangenen Tagen heftigen Widerstand provoziert, gerade unter den Tory-Politikern in Nordengland. Andy Street, der Bürgermeister der Metropolregion Birmingham, soll laut Medienberichten am Mittwochmorgen sogar den Rücktritt erwogen haben, um gegen die HS2-Teilstilllegungspläne zu protestieren.

Sunak legte sich ins Zeug, um den Schritt zu verteidigen. Er sagte, das Geld könne viel besser investiert werden, und legte seinen Alternativplan vor: Die 36 Milliarden Pfund, die das Projekt gekostet habe, würden künftig in »Hunderte« Bahnprojekte im Norden Englands und in den Midlands fließen. Die Verbindung zwischen Manchester und Liverpool etwa solle verbessert werden, und im Großraum Birmingham werde das Tramsystem ausgebaut. »Dies ist es, was der Norden braucht«, sagte er. Dafür erntete er den lauten Applaus des Publikums – und Andy Street sah von seinem Rücktritt ab.

Neben dem HS2-Entscheid machte Sunak in seiner Rede eine Reihe weiterer wegweisender Ankündigungen. Erstens umriss er einen Plan, saftige Geldsummen in die Ausbildung von Pflegern und Ärzten zu investieren, um die Personalmängel im Gesundheitsdienst zu beheben. Und zweitens will er das Bildungssystem umkrempeln: Die A-Levels – das britische Äquivalent zum Abitur – sollen ersetzt werden durch eine breitere Qualifikation, die den Fokus stärker auf technische Fertigkeiten legt. Zudem hat er dem Rauchen den Kampf angesagt: Das Alter, in dem junge Menschen Zigaretten kaufen dürfen, soll sukzessive angehoben werden.

Dass eine scharfe Kurskorrektur seitens des Premierministers nötig war, um den Tories zu neuem Schwung zu verhelfen, darüber waren sich politische Beobachter und Strategen einig. So war Sunaks gesamte 65-minütige Rede darauf ausgerichtet, sich und seine Regierung als Vorreiter eines grundlegenden Wandels zu präsentieren. »Wir werden mutig sein, und wir werden radikal sein«, sagte Sunak gegen Ende seines Auftritts. Er werde dem Land das geben, was es dringend braucht: »Eine Regierung, die langfristige Entscheidungen trifft, sodass wir eine strahlende Zukunft für alle aufbauen können.«

Dass diese Anforderung vom fünften konservativen Premierminister in Folge formuliert wird und nach einer 13-jährigen Periode der Tory-Regierungen, ist nicht ohne Brisanz. »Er hat gerade ziemlich explizit eingeräumt, dass er das Gefühl hat, seine konservativen Vorgänger seien in verschiedener Weise gescheitert«, urteilt der BBC-Journalist Henry Zeffman. Das mache es schwieriger, in einem künftigen Wahlkampf die vergangene Politik der Tories zu verteidigen.

Manche Konservative sind zumindest darüber enttäuscht, dass der Premierminister keine Details vorlegt, wie er die Politik umkrempeln will. »Sunak sagt, er wolle eine andere Politik machen«, so Henry Hill, stellvertretender Chefredakteur der Publikation »Conservative Home«, die stets den Puls der Tory-Basis fühlt. »Aber was wir gehört haben, stellt keine neue Politik dar – es ist eine Reihe von Ankündigungen.«

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