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Rebellion im US-Repräsentantenhaus
Ein Misstrauensvotum kostet US-Parlamentssprecher McCarthy das Amt – seine Nachfolge ist ungeklärt
»Und jetzt?«, rief ein republikanischer Abgeordneter im Plenarsaal des Repräsentantenhauses in Washington D.C., nachdem das Abstimmungsergebnis zum Misstrauensvotum gegen Sprecher Kevin McCarthy bekannt gegeben wurde, und fasst damit zusammen, was viele Mitglieder der Kammer in diesen Stunden umtreibt. Mit 216 zu 210 Stimmen votierte das Parlament am Dienstag dafür, seinen Vorsitzenden unverzüglich seines Amtes zu entheben.
Neben der gesamten demokratischen Fraktion stimmten acht Republikaner für den Antrag des rechten Hardliners Matt Gaetz, McCarthy von seinem Posten zu entfernen. Die Initiative, den Sprecher zu entmachten, kam also aus den eigenen Reihen der Konservativen, hatte aber nur Erfolg, weil ihm die Demokraten, die in der Kammer die Minderheit stellen, geschlossen die Unterstützung verweigerten. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat das US-Repräsentantenhaus auf diesem Weg seinen Vorsitzenden gefeuert, inmitten der zweijährigen Legislaturperiode. Es ist damit vorerst beschlussunfähig und bleibt es auch, bis eine neue Sprecherin oder ein Sprecher gewählt ist. Einen klaren Plan für das weitere Vorgehen gibt es derzeit nicht.
McCarthys unrühmlicher Abgang hatte sich bereits länger abgezeichnet. Im Mai hatte der Sprecher mit dem Weißen Haus einen Deal verhandelt, der beinhaltete, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus zusammen mit der demokratischen Mehrheit im Senat den Weg für die Anhebung der Schuldenobergrenze für die US-Bundesregierung freimachte. Im Gegenzug sollten die Ausgaben für das Jahr 2024 auf dem gegenwärtigen Niveau eingefroren werden – bei einer Inflationsrate, die derzeit immer noch im Bereich von drei Prozent verharrt, hätten also reale Kürzungen bei vielen Haushaltsposten angestanden. Dem rechten Parteiflügel bei den Republikanern war dies bei weitem nicht genug – ohnehin hatten viele stramm konservative Abgeordnete Vorbehalte gegen McCarthy gehegt, der als ziemlich offensichtlich prinzipienloser Karrierist und unzuverlässiger Verhandlungspartner gilt.
15 Wahlgänge brauchte McCarthy, um seine Fraktion zu überzeugen, ihn in das Amt zu hieven, nachdem die Republikaner die Kammer bei den Zwischenwahlen im November vergangenen Jahres zurückerobert hatten. Als Pfründe hatten die rechten Skeptiker – allen voran Gaetz – vom designierten Parlamentssprecher damals umfangreiche Änderungen der Geschäftsordnung eingefordert. Unter anderem gilt seither die Regelung, dass ein einzelner Abgeordneter ein Misstrauensvotum gegen den Vorsitzenden einbringen kann. Diese Karte hat Gaetz nun ausgespielt.
McCarthy, der um den Unmut in der eigenen Fraktion wusste, hatte den Deal mit Präsident Joe Biden aufgekündigt, als im August Verhandlungen über den Bundeshaushalt anstanden, und weitere Kürzungen eingefordert. Allgemein war erwartet worden, dass sich der Kongress bis zum 30. September, der First, mit der viele Programme ausgelaufen wären und eine umfangreiche Haushaltssperre gegriffen hätte, nicht auf einen Entwurf einigen würde.
Doch es kam anders: Am Samstag, wenige Stunden bevor die Sparmaßnahmen gegriffen hätten, verabschiedete das Parlament mit Stimmen aus beiden Parteien einen Überbrückungshaushalt für die nächsten 45 Tage. Einzig beim Thema Ukraine konnte man sich nicht einig werden: Die zusätzlichen Mittel, die Biden für die militärische und zivile Unterstützung des Landes im Krieg gegen Russland beantragt hatte, wurden nicht bewilligt – zu groß sind inzwischen die Vorbehalte in weiten Teilen der republikanischen Fraktion. Die Hardliner um Gaetz hatten damit endgültig genug – für sie wäre ein »Shutdown« der Bundesregierung ein willkommenes politisches Signal gewesen, dass sie Biden in die Schranken weisen und die angeblich überbordenden Ausgaben der USA eindämmen würden. Doch die Interessen der Handvoll eher gemäßigten Republikaner aus Wahlkreisen, die als umkämpft gelten, lagen dieser Zielsetzung diametral entgegen: Eine Haushaltssperre hätte für sie ein wesentlich größeres politisches Risiko dargestellt.
Über das weitere Vorgehen scheint niemand im Klaren zu sein. Der rechte Rand der Republikaner hat für sich genommen nicht genügend Stimmen, um einen eigenen Kandidaten durchzusetzen, die republikanische Mehrheit in der Kammer ist mit fünf Stimmen denkbar knapp. McCarthys Nachfolger braucht die Stimmen aller Parteiflügel, doch es ist nicht ersichtlich, wer diese auf sich vereinen könnte. Der Fraktionsvorsitzende Steve Scalise, ein Vertrauter McCarthys, gilt als beliebt, kämpft allerdings mit einer Krebserkrankung. Die Demokraten, die im Unterschied zur zerstrittenen Mehrheitsfraktion äußerst geschlossen auftreten, signalisieren bislang wenig Bereitschaft, einen gemäßigten Kandidaten zu unterstützen. »Die Zusammensetzung ihrer Fraktion bedeutet, dass jeder Sprecher mit der gleichen Dynamik konfrontiert wäre«, erklärte die demokratische Abgeordnete Pramila Jayapal in einem Interview mit der den Demokraten nahestehenden Sendung »Pod Save America«. Weiterer Streit bei den Republikanern scheint vorprogrammiert.
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