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Olaf Weber: Ein »Ossi« in Weimar
Vor 80 Jahren wurde Olaf Weber geboren. Vor 30 Jahren nahm in Weimar die Fakultät Gestaltung den Lehrbetrieb auf – dort wirkte Weber ideensprühend als Professor für Ästhetik
Im Sommer 1974 ermittelte die Stasi in Weimar. Gegenüber vom Nationaltheater, sozusagen im Sichtfeld von Goethe und Schiller auf ihrem Denkmalsockel, war ein großes Banner aufgehängt worden. Die Aufschrift: »Fußball ist langweilig!« Eine unerhörte Aussage – womöglich subversiv, jedenfalls nicht staatstragend. War sie vor oder nach dem Sieg der DDR-Auswahl über die Europameister aus der BRD im Hamburger WM-Gruppenspiel zu lesen? Das weiß ich nicht mehr. Aber die Weimarer Mitarbeiter der Staatssicherheit wussten, bei wem sie vorzusprechen hatten, um dem Spuk ein Ende zu machen. Denn das Banner war an den Fenstern der Wohnung von Olaf Weber befestigt. Das Aufsehen war groß, der Zweck seiner Aktion erreicht, und so konnte der Urheber das Plakat wieder hereinholen. Er blieb unbehelligt, und seine Kritik an der Sport- und Nationen-Ideologie blieb im Gespräch.
Olaf Weber, der am 5. Oktober 80 Jahre alt geworden wäre, zählte zu den interessantesten jungen Architekturtheoretiker*innen der DDR. Als gelernter Maurer und diplomierter Architekt wandte er sich in den 1970er Jahren der Architekturtheorie zu. Weber war mit Gerd Zimmermann und anderen maßgeblich an der Aneignung des Semiotik-Diskurses für die Architekturtheorie der DDR beteiligt. Geschützt von seinem Weimarer Doktorvater Bernd Grönwald, musste er nicht in die SED eintreten. Das verhinderte zwar eine Professorenkarriere, nicht aber unorthodoxe Forschungstätigkeit, unter anderem bei Bruno Flierl in der Berliner Bauakademie. Weber griff früh die Ökologie-Thematik im Zusammenhang mit Architektur und Design auf. Ähnlich provokativ wie seine spontaneistische Anti-Fußball-Aktion wirkte sein heute noch lesenswerter Aufsatz in »Form und Zweck« über die Deformationen, die das Design des Trabant-Automobils seinen Benutzer*innen auferlegte.
Webers Habilitationsschrift »Die Funktion der Form. Zu Grundlagen und aktuellen Problemen der Gestaltung« war zur Publikation im VEB Verlag Der Kunst Dresden zugelassen worden. Doch dann kollabierte die DDR und trat dem Herrschaftsgebiet der BRD bei. Nun initiierte Weber die Gründung einer Fakultät für Design und Kunst an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar. Seine Devise lautete: »Es war uns nicht gelungen, die DDR zu verändern, nun müssen wir die Bundesrepublik verändern.« Leider verlief die Gründungsgeschichte typisch für die Kolonisierung der akademischen Institutionen durch »Wessis in Weimar« (um es ausnahmsweise einmal mit Rolf Hochhuth zu sagen). Eigentlich wollte Weber mit einigen Kolleg*innen, die 1991 ein »Institut für Kunst und Design« gebildet hatten, die Fakultät selbst gründen. Aber das Ministerium ließ nicht zu, dass ein »Ossi« das machte. (Ich weiß nicht mehr, ob man ihm das direkt ins Gesicht sagte oder sich hinter Formalia versteckte.) Weber fragte, ob er denn wenigstens jemanden vorschlagen könne. Darüber lasse sich reden, beschied das Ministerium. Daraufhin empfahl er Lucius Burckhardt, dessen Schriften zu Design und Ökologie er schätzte.
Burckhardt (1925–2003) hatte nicht lange zuvor als Gründungsrektor der Hochschule für Gestaltung in Saarbrücken gewirkt. Er wurde vom Erfurter Ministerium als Gründungsdekan für Weimar nominiert. Bei einem ersten Sondierungsgespräch mit Weber gab er vor, dessen Ideen für eine Fakultät interessant zu finden, die ortsspezifische Traditionen und Impulse aufnahmen – nicht zuletzt die liegengebliebenen Fäden der (sozialkritischen) Avantgarde. Unmittelbar nach seiner Bestallung machte Burckhardt aber keinen Hehl mehr daraus, dass er sich in Wirklichkeit nicht die Bohne für Webers Ideen interessierte.
»Die Neugründung einer Kunst- und Designfakultät in einem der neuen Bundesländer«, kommentierte Weber nach Eröffnung des Lehrbetriebs im Herbst 1993, »hätte das Ost-West-Zusammentreffen thematisieren müssen. Die unterschiedlichen Erfahrungen und Kulturen in den beiden Teilen Deutschlands hätten für die Fakultät ein zusätzliches Entwicklungsmoment eingebracht«. Stattdessen orientierte man sich lediglich an den »Maßstäben des gültigen Kunst- und Designmarktes«. Dass bei der »dominierenden West-Sicht kein einziger Künstler oder Designer aus den neuen Bundesländern berufen werden konnte«, fand Weber, mit Recht, »nicht nur für diese Bewerber bedauerlich, sondern vor allem für die neue Fakultät, für deren Pluralismus und Kreativität«.
Burckhardt hatte eine Fakultät mit dezidiert postmodernem Konzept installiert, wie sie auch an jeder Hochschule in den alten Bundesländern hätte an den Start gehen können. Etliche der Weimarer Posten hatten seine Günstlinge erhalten, die in Saarbrücken nicht zum Zuge gekommen waren. Weber konnte er nicht gänzlich ignorieren. Doch die Professur für Ästhetik, die Weber erhielt, war nicht auf der Gehaltsstufe, die ihm als Habilitiertem zugestanden hätte. Als »einziger Professor mit Ostsozialisation« (Weber) war er auch der Einzige im Kollegium, der sich seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht alleine aussuchen durfte. Ein Jahr später setzte er sich dann aber in diesem Punkt doch durch (zum Glück für den Schreiber dieser Zeilen).
Weber wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, sich beleidigt zurückzuziehen. Und er hielt mit seiner Sicht der Dinge nicht hinter dem Berg. Die offizielle Eröffnungsfeier der neugegründeten Fakultät im November 1993 kommentierte er so: »Eine kleine Theatergruppe spielte uns die Geschichte des Designs der letzten 90 Jahre vor, in der die 40-jährige DDR-Designgeschichte selbstverständlich nicht vorkam. Vorher hatte schon Prof. Lucius Burckhardt ein Bild vom Bauhaus gezeichnet, das ähnlich, nur auf andere Weise einseitig war, wie wir es von früher her kannten. Die Geschichtsklitterung geht also weiter.«
Doch mit seiner gänzlich undoktrinären und methodisch undogmatischen Art passte Weber auch nicht schlecht in die postmoderne Landschaft der Weimarer Gestaltungsfakultät. Das Kollegium freute sich an seinem ruhigen, unorthodoxen Auftreten und lernte seine konstruktive Mitarbeit in den Gremien schätzen. Die Studierenden liebten ihren antiautoritären und anarchisch-ideensprühenden Professor mit seinen spektakulären, öko-dadaistischen Aktionen.
Ende 1999 landete Weber einen Medien-Coup als Sprecher einer (fiktiven) Organisation, die dafür eintrat, den Beginn des neuen Jahrtausends zu verschieben. Das Jahr 2000 könne noch nicht stattfinden, weil zu viele ökologische und soziale Krisen der Bewältigung harren, ließ er in einer Pressemitteilung an die DPA verlauten. Das fand ein Riesenecho; Weber wurde im öffentlich-rechtlichen Frühstücksfernsehen interviewt und landesweit wahrgenommen.
Bis zu seiner Pensionierung 2009 widmete er sich, in der Lehre und in der städtischen Öffentlichkeit, einer kapitalismuskritisch fundierten Ästhetik des Absurden. Dabei trat er als Performancekünstler und als Lyriker hervor. Seine heimtückische Augenkrankheit, die mit den Jahren zur Erblindung führte, machte ihm, der bis zuletzt eine ebenso athletische wie freundliche Erscheinung blieb, die Arbeit und das Leben schwer. Aber selbst sie vermochte er produktiv in sein Weltwirken zu integrieren.
Schon seit Mitte der 90er war Weber als Stadtpolitiker für die »Grünen« hervorgetreten. In seinen letzten Lebensjahren wandte er sich dem Friedensaktivismus zu. Die grüne Unterstützung des Nato-Angriffs auf Serbien hatte er seinerzeit noch als Entgleisung auffassen können. Es blieb ihm erspart, die Mutation ›seiner‹ Partei in eine Unterstützerin von Waffenlobby und Bellizismus (aka »wertegeleitete Außenpolitik«) miterleben zu müssen. Nach einer Krebserkrankung starb Olaf Weber im November 2021.
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