- Politik
- Landtagswahl
Beim Klimaschutz hinkt Bayern hinterher
Fridays und Architects for Future fordern mehr Windenergie sowie eine Verkehrs- und Bauwende
»In Bayern lebt es sich einfach besser«, lautet der Wahlkampf-Slogan von CSU-Chef Markus Söder. Da mag er recht haben, wenn man bedenkt, dass andere Orte von Dürren oder Überschwemmungen heimgesucht werden, kontert Ronja Hoffmann, die Sprecherin von Fridays for Future Bayern, bei einer Pressekonferenz der Gruppe zu den am Sonntag anstehenden Landtagswahlen. »Aber wie lange noch? Was bleibt von der Heimat, wenn sie von den Fluten mitgerissen wird?«, fragt sie mit Blick nach Österreich und ins Ahrtal.
Ob Bayern ein lebenswerter Ort bleibt, sei entscheidend davon abhängig, welche Maßnahmen für Klimaschutz getroffen werden. Bestätigen kann das Hans-Peter Schmid, Leiter des Campus Alpin am Karlsruher Institut für Technologie. Seit Beginn der Temperaturmessungen habe die globale Durchschnittstemperatur bereits um ein Grad zugenommen. »In Deutschland sind es bereits zwei und in Bayern 2,5 Grad«, warnt er. Mehr Hitze und weniger Frost im Winter führe zum Beispiel dazu, dass sich der Borkenkäfer massiv vermehre. Der hat auch in diesem Jahr wieder massive Schäden in bayerischen Wäldern angerichtet.
Dass das Bundesland beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf Platz eins liege, wie Söder gerne behauptet, »ist eine Lüge«, stellt Hoffmann klar. Rechne man die tatsächliche Leistung erneuerbarer Energien auf die Fläche Bayerns um, dann lande man im bundesweiten Vergleich im hinteren Mittelfeld. Wenn das Land im aktuellen Tempo weitermache, wird es laut einer Greenpeace-Studie erst in 280 Jahren klimaneutral – und nicht, wie geplant, 2040.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Verantwortlich dafür macht Fridays for Future unter anderem die bayernspezifische Regelung, dass Windräder das Zehnfache ihrer eigenen Höhe (10H) an Abstand zur Wohnbebauung halten müssen. Dadurch blieben der Windenergie lediglich 0,05 Prozent der Landesfläche. Vom Bund gesetzlich festgelegt und für die Klimaziele notwendig ist jedoch, dass zwei Prozent der Landesflächen für Windkraft genutzt werden. Fridays for Future fordern daher die Abschaffung der 10H-Regelung.
Im September musste das bayerische Umweltministerium auf eine Anfrage des grünen Landtagsabgeordneten Martin Stümpfig zugeben, dass der Klimaschutz im Freistaat dem des Bundes deutlich hinterherhinkt. Zwischen 1990 und 2021 sind die CO2-Emissionen demnach nur um 18 Prozent gesunken, bundesweit sind es etwas mehr als 40 Prozent. Sogar um 5,5 Prozent angestiegen sind in Bayern die Emissionen im Verkehrssektor, die 2019 insgesamt 30 Prozent sämtlicher Treibhausgasausstöße des Landes ausmachten. Von einer neuen Landesregierung erwarten Fridays for Future daher ein Straßenbaumoratorium, den Ausbau des Nahverkehrs, flächendeckende Tarifverbünde, die Elektrifizierung aller Bahnstrecken sowie sichere Fahrradinfrastruktur.
In der Klimakrise fehle es weder an Fakten noch an technischen Lösungen, sondern lediglich an Gesetzen, um Klimaschutz gerecht zu gestalten. Deshalb sei es »dramatisch, dass keine Partei ein Konzept für die 1,5-Grad-Grenze hat«, findet Hoffmann. Auch Schmid appelliert an die Politik, Klimaschutz »in der Priorisierung von politischen Entscheidungen auf allen Ebenen nach vorne zu rücken«.
Kritik an der bayerischen Landespolitik haben auch die Architects for Future, also Beschäftigte der Baubranche, die sich zur Klimabewegung zählen und für eine nachhaltige Baupolitik und Stadtentwicklung einsetzen. Dieses Thema sei im Wahlkampf kaum vorgekommen, obwohl eine entsprechende Bauwende zur Bekämpfung der Klimakrise unabdingbar sei. Auch in dieser Branche ist die Diskrepanz zwischen Bund und Bayern laut Umweltministerium groß: Deutschlandweit wurden die Emissionen hier zwischen 1990 und 2019 um 42 Prozent, in Bayern nur um 8,5 Prozent reduziert. Hier gebe es also »enorme Einsparpotenziale mit direkt umsetzbaren Lösungen«, sagt Christina Patz von der Gruppe.
Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre, Gebäude zu erhalten und zu sanieren, statt abzureißen und neu zu bauen. Die 10 000 Wohnungen, die Söder bis 2025 bauen will, könnten durch Aktivierung von Leerstand, Umnutzung, Umbau und Aufstockungen komplett im Bestand geschaffen werden, ohne weitere Flächen zu versiegeln. Der Flächenverbrauch, der täglich 10,3 Hektar betrage, müsse auch zu Gunsten von erneuerbaren Energien, Überflutungsschutzmaßnahmen und Landwirtschaft reduziert werden. »Dazu werden dringend gesetzliche Rahmenbedingungen benötigt wie eine Erweiterung des bayerischen Klimaschutzgesetzes und eine bayerische Bauordnung, die das Bauen im Bestand als neues Normal anerkennt«, fordert Patz.
Schließlich blickt Fridays for Future mit Sorge auf den bayerischen Rechtsruck. »Ich bin auch von einer Politik betroffen, die Spaltung befürwortet«, sagt Luc Ouali von der Münchner Ortsgruppe. Populismus und Hetze seien im Wahlkampf üblich geworden, Politiker*innen wie Söder würden Hass auf Migrant*innen schüren und die Klimakrise als Fluchtursache verkennen. »Fridays for Future steht konsequent gegen rechte Hetze ein«, so Ouali. An diesem Freitag lädt die Gruppe wieder zum Klimastreik nach München ein.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.