- Berlin
- Landratswahl
Alternative zu SPD und AfD
Der parteilose Sven Herzberger hat das Zeug, der nächste Landrat von Dahme-Spreewald zu werden
Es ist sehr wenig los am Donnerstagvormittag auf dem Markt von Luckau (Dahme-Spreewald). Nur am Stand einer Fleischerei bildet sich ab und an eine kleine Schlange. Dort gibt es aber auch für nur 3,50 Euro eine ganz vorzügliche Kartoffelsuppe, wie Mario Dannenberg herausfindet, der Schatzmeister der brandenburgischen Linken. Er ist aus Calau im Nachbarkreis Oberspreewald-Lausitz und gekommen, um im Landratswahlkampf zu helfen.
Die Linke hat keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und unterstützt stattdessen den parteilosen Sven Herzberger. Hilfe bekommt der Bürgermeister von Zeuthen auch von der CDU, der FDP und den Freien Wählern. Das sei ungewöhnlich, bestätigt Herzberger. Es funktioniere aber sehr gut – vielleicht auch deshalb, weil es kein echtes Parteienbündnis sei, das sich einen geeigneten Kandidaten gesucht habe. Jede der Gruppierungen habe für sich entschieden, dass die Schnittmengen mit dem von Herzberger ausgearbeiteten Wahlprogramm groß genug sind, um es mitzutragen. Darum kollidiert der Fall Herzberger auch nicht mit den bei CDU und FDP gefassten Unvereinbarkeitsbeschlüssen, die Koalitionen mit der Linken untersagen.
Am 8. Oktober entscheiden die Bürger, wer Nachfolger des derzeitigen Landrats Stephan Loge (SPD) werden soll. Dessen Stellvertreterin Susanne Rieckhof (SPD), die den Posten übernehmen möchte, sei für 20 Prozent der Stimmen gut, schätzt Sven Herzberger die augenblickliche Situation ein. Der Linke-Kreisvorsitzende Michael Wippold hat nach Gesprächen mit einigen Sozialdemokraten sogar den Eindruck gewonnen, dass diese innerlich schon aufgegeben haben.
Dem Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré (AfD), der sich ebenfalls als Landrat bewirbt, traut Herzberger 30 Prozent zu. Gegen ihn müsste Herzberger dann in die Stichwahl. Die Unterstützer des Bürgermeisters von Zeuthen und er selbst halten es aber für keineswegs ausgeschlossen, dass Herzberger die Landratswahl mit einer absoluten Mehrheit von über 50 Prozent der Stimmen gleich in der ersten Runde an diesem Sonntag gewinnt.
Vorhersagen sind allerdings schwierig und mit Vorsicht zu genießen. Ursprünglich glaubte Herzberger, die Wahl werde im Norden des Landkreises entschieden. Denn dort, im Umland von Berlin, wohnen zwei Drittel der Einwohner von Dahme-Spreewald. Doch da die AfD von Hauptkonkurrent Steffen Kotré im dünner besiedelten Süden stärker sei, habe er vor sechs Wochen seine Strategie geändert und dort mehr Termine gebucht, erzählt Herzberger.
Die AfD-Wähler könne er gewiss nicht mehr umstimmen, ist ihm bewusst, »aber die Unzufriedenen abholen«. Die Bevölkerung berichtete ihm von dem Gefühl, südöstlich der Kreisstadt Lübben höre der Landkreis auf. Für diesen Teil von Dahme-Spreewald interessierten sich die Politik und die Verwaltung nicht. Ein Lob an Herzberger in Straupitz gefiel ihm so gut, dass er sich die Worte eingeprägt hat: »Es ist gut, dass Sie da sind, weil Sie da sind.«
Das ist auch tatsächlich die Stärke des Kandidaten. Nicht nur erzählen und versprechen, sondern fragen, zuhören, sich kümmern. Sich bei seiner Wahlkampftour durch Dahme-Spreewald an den einzelnen Stationen immer groß ankündigen, damit die Presse kommt und Fotos macht, das ist nicht seine Sache. Viele seiner Auftritte habe er zuletzt gar nicht mehr ins Internet gestellt, berichtet der 1969 Geborene. »Wink-Termine, das ist politische Blase. Du musst bei den Menschen sein«, schätzt er ein. »Ich glaube, dass sich das am Sonntag auszahlen wird.«
Nach den Flüchtlingen wird Herzberger dieser Tage immer und überall gefragt. Da kann er darauf warten. AfD-Kandidat Kotré erweckt den Eindruck, er könnte als Landrat die Zahl der Asylbewerber verringern und so für Entlastung auf dem angespannten Wohnungsmarkt sorgen. Dabei sei die Unterbringung der Geflüchteten eine sogenannte Pflichtaufgabe nach Weisung, stellt Herzberger klar. Die Landkreise seien also dazu verpflichtet. Nach einem Schlüssel wird jedem Landkreis eine bestimmte Zahl Flüchtlinge zugewiesen. »Die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, für die müssen wir Platz haben.«
Darüber, dass ein Geflüchteter abgeschoben wurde, der eine Ausbildung bei einem Bäckermeister absolvierte, kann Herzberger nur den Kopf schütteln. Im Handwerk wird doch händeringend Personal gesucht. Auf dem Markt von Luckau bespricht der Kandidat diesen Fall mit einer Passantin. Er erreicht in einem langen Gespräch, dass die Frau verspricht, am Sonntag für ihn zu stimmen. Der Wahlkampf ist ein zähes Ringen um die Köpfe und die Herzen der Menschen. Parteilos zu sein, ist dabei ein Vorteil. Denn den Parteien schlägt in der Bevölkerung zunehmend Misstrauen entgegen. Nach den Belastungen durch die Corona-Pandemie und den anhaltenden Krieg in der Ukraine sind viele enttäuscht und fühlen sich von der Politik vergessen.
Beispielsweise schimpft in Luckau eine Seniorin über die Besteuerung der Renten. Keine Partei kümmere sich um dieses Problem, bedauert sie. Den Infostand der Linken, direkt neben dem Banner des Landratskandidaten Herzberger aufgebaut, steuert sie spontan an, um ihre Kritik einmal anzubringen. Die Frage ist allerdings, ob sie bei den Sozialisten damit an der richtigen Adresse ist. Der stellvertretende Kreisvorsitzende Patrick Scherkowski spricht mit der erzürnten Rentnerin. Er versichert ihr, seine Partei sei für gerechte Steuern, was bedeuten würde, dass Reiche viel mehr Steuern entrichten müssten und Rentner wie sie weniger. Für genauere Informationen wird die Frau an Matthias W. Birkwald verwiesen, den Rentenexperten der Bundestagsfraktion. Sie nimmt sich die Kontaktdaten mit.
Thema im ländlich geprägten Süden von Dahme-Spreewald sind auch die Solarparks, die den Bauern den Acker rauben. Dazu hat Herzberger eine klare Haltung: Solaranlagen gehörten zunächst einmal auf die Dächer von Häusern. Da sei noch viel Platz. Obwohl der Kandidat ursprünglich Musiklehrer und dann Rechtsanwalt war, kennt er sich mit Landwirtschaft durchaus ein wenig aus. Er weiß aus dem Kopf, wie viele Schafe im Landkreis gehalten werden. Herzberger denkt, der Norden von Dahme-Spreewald wäre ein großer Absatzmarkt für die Erzeugnisse der Bauern aus dem Süden des Landkreises. »Die guten Agrarprodukte unserer Landwirte sind nachhaltiger als zum Beispiel die Bio-Tomate aus Marokko oder das Rindfleisch aus Argentinien.«
Zehn Kernpunkte umfasst das prägnant formulierte Wahlprogramm von Herzberger. Zuweilen spricht schon die Zwischenüberschrift Bände: »Damit der Landarzt nicht nur im Fernsehen kommt!« Zu bezahlbaren Wohnungen führt der Bürgermeister aus, die Kommunen müssten dort bauen, wo der Boden noch günstig zu haben sei, und die neuen Quartiere gut an den Nahverkehr anbinden.
Er sagt außerdem, dass Bildung über die Zukunft entscheide. Seit Jahren wisse die Kreisverwaltung, dass dringend insbesondere Ober- und Gesamtschulen benötigt werden. Die Zeit des Handelns sei jedoch leider verschlafen worden. »Als Landrat werde ich die Lösung des Problems anpacken!«
Hier zeigt sich eine Schnittmenge mit der Kreistagsabgeordneten Claudia Mollenschott (Linke). Schönefeld oder Schulzendorf sowie Bestensee bräuchten eine Oberschule, sagt Mollenschott, aber kein weiteres Gymnasium, wie von SPD-Landratskandidatin Rieckhof vorgesehen, die derzeit als Vizelandrätin für Bildung zuständig ist. Es ist der Mensch Sven Herzberger und es sind seine Vorstellungen, die Eindruck machen – auch auf die Linke-Landesvorsitzende Katharina Slanina, die früh aufgestanden ist, um aus dem Norden Brandenburgs ins südlich gelegene Luckau zu fahren und im Wahlkampf zu helfen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.