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Wird Zocken bald olympisch?

Bei den Asienspielen in Hangzhou sind erstmals Medaillen im E-Sport vergeben worden – womöglich ein Vorbote für die Eingliederung ins Olympiaprogramm

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Publikumslieblinge bei den Asienspielen: die E-Sportler, hier die Mannschaften Usbekistans (l.) und Vietnams
Publikumslieblinge bei den Asienspielen: die E-Sportler, hier die Mannschaften Usbekistans (l.) und Vietnams

Auf den ersten Blick war das Bild vom vergangenen Freitagabend kaum ungewöhnlich: Fünf junge Männer standen auf dem Podium, funkelnde Medaillen um den Hals, mit aufs Herz gelegter Hand der südkoreanischen Nationalhymne lauschend. Bei den noch bis zum 8. Oktober im chinesischen Hangzhou laufenden Asian Games – eine Art Olympischer Spiele für Asien – hatten sie für Südkorea Gold gewonnen. Ungewöhnlich aber war die Aktivität, für die diese Männer in ihren weiß-blau-roten Trainingsanzügen ausgezeichnet wurden: fürs Computerspielen, genauer gesagt: E-Sport.

Die fünfköpfige Truppe hatte das Turnier im Onlinekriegsspiel »League of Legends« für sich entschieden und steht damit in einer Reihe mit anderen Athleten aus Sportarten wie Taekwondo, Fechten, Modernem Fünfkampf oder Schwimmen, die ebenfalls Gold für Südkorea gewonnen haben. Denn die Frage, ob E-Sport nun wirklich ein Sport ist oder eher ein kompetitiv betriebenes Hobby am Bildschirm, wurde zumindest im Rahmen der Asienspiele klar beantwortet: Hier zählt E-Sport erstmals zu jenen offiziellen Disziplinen, in denen am Ende Medaillen vergeben werden.

Bei den Spielen von Hangzhou zählt das Spektakel sogar zu den beliebtesten Ereignissen. Der Publikumsandrang war dieser Tage so groß, dass die Veranstalter ein Lossystem einführten, um die Tickets zu vergeben. Immerhin zählen zu den sieben Spielen, in denen sich die Nationen Asiens gemessen haben, die populärsten Videospiele der Welt: Neben »League of Legends« sind dies »Arena of Valor«, »Dota 2«, »Dream Three Kingdoms 2«, »EA Sports FC Online«, »Peacekeeper Elite« und »Street Fighter V«. Die meisten Goldmedaillen hat dabei Gastgeber China gewonnen, gefolgt von Südkorea und Thailand.

Der Erfolg des E-Sports bei den Asian Games stellt auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) vor die Frage, ob es die Computerspiele nicht ins Olympiaprogramm aufnehmen sollte. Seit Jahren bemüht sich das IOC, durch sein Angebot an Sportarten möglichst attraktiv für die junge Generation zu bleiben. Zuletzt wurden daher Skateboarding und Surfen für olympisch erklärt. Gegen E-Sport sprach bisher nicht nur, dass man es vorm Bildschirm sitzend betreibt. Hinzu kommt, dass die Szene vor allem durch die Spieleindustrie betrieben wird und die Spiele häufig reichlich Gewalt enthalten.

Andererseits zählt E-Sport in mehreren asiatischen Ländern, allen voran in Südkorea, unter jungen Menschen längst zu den populärsten Freizeitbeschäftigungen. Im Jahr 2018 ergab eine Umfrage des südkoreanischen Bildungsministeriums etwa, dass Profi-Gamer unter Schülern der achtbeliebteste Berufswunsch ist. Die E-Sport-Branche, unterstützt von großen Unternehmen, ist auch ein florierender Wirtschaftszweig. Von 2015 bis 2019 wuchs das nationale Geschäft um 18 Prozent pro Jahr, mittlerweile werden jährlich mehr als 100 Millionen US-Dollar umgesetzt.

Gerade in Südkorea, aber auch in China und Taiwan, haben E-Sport-Profis in etwa den Status von Popstars. Wichtige Partien finden in großen Arenen statt, werden live im Fernsehen übertragen. Orchester spielen in Konzertsälen die Hymnen der populärsten Spiele nach. »Das Mekka für E-Sport ist Korea«, erklärte zuletzt Karen Koo vom US-amerikanischen Spieleentwickler Riot Games, der das populäre Spiel »League of Legends« vermarktet. »Das öffentliche Interesse dort ist unglaublich«, so Koo.

Das Statement bezog sich nicht nur auf das Zocken an sich, sondern auch auf die riesige Fanszene drum herum, die sich bei Turnieren teils als Game-Charaktere verkleidet und Merchandise der besten Spieler kauft. Entsprechender Fan-Andrang war dieser Tage auch in Hangzhou zu beobachten. Wobei auch in größeren westlichen Ländern wie den USA, Brasilien, Frankreich und Deutschland in den vergangenen Jahren große Szenen entstanden sind, die ihre Turniere in Fußballstadien oder Kongresshallen austragen.

Während E-Sport in Europa trotzdem noch teilweise für Unverständnis sorgt, ist es etwa in Südkorea bereits Konsens. Denn dort begann die Szene schon Ende der 90er Jahre mit dem Onlinespiel »Starcraft«. Darin gilt es, in Echtzeit mit eigens aufzubauenden Truppen Schlachten gegen Gegner zu gewinnen. In Südkorea boomte das Strategiespiel auch deshalb früh, weil die Infrastruktur passte: Das Internet war schnell, Internetcafés boten viele leistungsfähige Rechner nebeneinander. Nach Ende eines Schultages füllten sich die Cafés regelmäßig – ideale Bedingungen für Turniere.

In Südkorea ist E-Sport mittlerweile so fest in der Gesellschaft verankert, dass es nicht nur private Akademien gibt, in denen man E-Sport trainieren kann. Auch reguläre Schulen bieten das Zocken seit einigen Jahren als Wahlfach an. Die Hanshin-Universität nahe Seoul hat sogar ein Universitätsstudium rund um die E-Sport-Welt konzipiert. Damit will man in Südkorea nicht nur Talente für eine im Land weiter wachsende Industrie ausbilden, sondern auch Interessenten aus dem Ausland anziehen.

Der südkoreanische Staat will E-Sport in Zukunft verstärkt fördern. In der Vergangenheit aber nahm er eher die Rolle des Spielverderbers ein. Besorgt wegen Spielsucht unter Minderjährigen, hatte das Parlament im Jahr 2011 das Videospielen für Kinder unter 16 ab Mitternacht verboten. Nach großen Protesten wurde dieses Verbot allerdings 2021 wieder aufgehoben. Mittlerweile, so scheint es, hat das Potenzial der Softpower, die Südkorea mit Erfolgen im E-Sport erringen kann, Priorität.

Diese rasante Entwicklung ist dem IOC nicht verborgen geblieben. Seit diesem Jahr organisiert es jährlich eine E-Sport-Woche, bei der auch Wettbewerbe ausgetragen, aber keine olympischen Medaillen vergeben werden. Aus der organisierten E-Sport-Szene gab es zuletzt Kritik am Format des IOC – nicht nur wegen der fehlenden Medaillenvergabe, sondern weil bisher andere Games gespielt werden als jene, die in der Szene die beliebtesten sind. Die populärsten Spiele wiederum konnte man über die letzten Tage bei den Asian Games sehen. Dem Publikum scheint es gefallen zu haben.

Die Tickets waren in Hangzhou so begehrt, dass sie verlost werden mussten.
Die Tickets waren in Hangzhou so begehrt, dass sie verlost werden mussten.
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