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Der Mythos lebt

Das Neue Museum in Berlin zeigt archäologische Schätze aus Usbekistan – von Alexander bis Kuschan

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 7 Min.
Der »Alexanderzug« im Neuen Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Der »Alexanderzug« im Neuen Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Der Orient – Land der Geschichten aus 1001 Nacht: Hier lebten Scheherazade und Sindbad, Ali Baba und Aladin inmitten von Palästen, Moscheen und Medresen. Dieser Mythos lebt bis heute in Zentralasien, in Usbekistan fort. Lange Zeit blieb diese Region für Besucher weitgehend verschlossen. Im besten Fall konnten die glänzenden Bauten aus islamischer Zeit, die seit dem 14. Jahrhundert von Timur und seinen Nachfolgern erbaut worden sind, in Samarkand, Buchara und Chiwa bestaunt werden. Doch Usbekistan hat eine reiche vorislamische Geschichte und Kultur zu bieten, die in Europa immer noch kaum bekannt ist. Eine beeindruckende Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel will das ändern.

Im späten 6. Jahrhundert v. Chr. wurden weite Gebiete Zentralasiens – Baktrien, Choresmien, Sogdien – Teil des Achämenidenreiches. Die Perser schufen die Grundlagen für die folgenden erstaunlichen wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritte. Doch dann kam ein junger Mann aus dem Westen, wollte bis an den östlichen Rand der Welt ziehen und hätte es fast geschafft: Alexander, König von Makedonien. Seinem Feldzug wie auch seiner Hinterlassenschaft spürt die neue Ausstellung im Neuen Museum nach. Zu sehen ist unter anderem das berühmte in Pompeji gefundene Alexander-Mosaik, darüber eine große Karte, die Stationen seiner Eroberungen nachzeichnet.

Über Troja und Issos (»333 bei Issos Keilerei«, wie ein alter Primanerspruch lautete) zieht er kampflos als »König von Asien« in Babylon ein. 329 v. Chr. erreicht Alexander den Jaxartes (heute Syrdarja, Usbekistan), das Ende der damals bekannten Welt. Er weiß, diese riesigen Territorien dauerhaft unter makedonischer Herrschaft zu halten, ist schwer machbar. Er schließt Bündnisse mit einheimischen Fürsten, heiratet eine persische Prinzessin und verehelicht auchh seine Offiziere und Soldaten mit Töchtern des Orients. Zur Sicherung der Macht lässt er Festungen und Städte, viele »Alexandria« genannt, errichten.

Mit den Soldaten kommen Handwerker und Kaufleute ins Land. Sie bringen westliche Kultur und Lebensart mit. In Kurganzol, einer 329/328 v. Chr. von Alexander gegründeten Feste, wird deutlich, wie persische, griechische und lokale Formen und Traditionen zu etwas Neuem verschmelzen. Keramikfunde, Megarische Becher, Krüge, sogenannte Fischteller und Scherben bestätigen die Arbeit griechischer Töpfer. Andere Tongefäße und Teller bezeugen, dass einheimische Töpfer begannen, deren Vorbild nachzuahmen. Im Innern der Festung fand man eine tönerne Badewanne, für Zentralasien einmalig. Die Griechen brachten auch ihre Badesitten aus der Heimat mit.

Alexander hinterließ bei seinem frühen Tod ein riesiges Reich, das seine Feldherren unter sich aufteilten. Die abgelegenen Regionen waren schwer zu kontrollieren. So erhob sich Diodotos I. um 256 v. Chr. selbst vom Statthalter zum König und begründete das Griechisch-Baktrische Reich. Die mit Alexander begonnene Verknüpfung und Verschmelzung persischer und griechischer Kulturtraditionen fand ihre Fortsetzung, Neues kam hinzu. Hier setzt die Ausstellung in der James-Simon-Galerie ein. Mit Drohnen aufgenommene spektakuläre Luftbilder zeigen historische Orte und Grabungsstätten. Aufwendige Animationen lassen Festungen, Klöster, ganze Städte neu erstehen. Allein diese Bilder lohnen den Besuch. Hauptattraktion sind aber die Fundobjekte und deren Geschichte.

In der Wüste Kysylkum wurde in den 50er Jahren von sowjetischen Archäologen eine von Mauern und Türmen geschützte Anlage freigelegt – Kojkrylgankala. In deren Mitte steht ein massiver zweistöckiger Rundturm. Im Erdgeschoss befinden sich kreuzförmig angeordnete Räume. Die Anlage wird als Kultzentrum angesehen. Dort fand man ein aus Ton gefertigtes Gefäß in Form einer auf einem Podest sitzenden Frau. Beides verweist auf den Zoroastrismus, jene von Zoroaster (oder Zarathustra) Ausgang des 2. Jahrtausends v. Chr. in Indien begründete Religion. In der Folgezeit gewann sie auch in Zentralasien große Bedeutung.

Das Fragment einer Wandmalerei mit der Darstellung eines gehörnten Tieres offenbart wieederumt die aufwändige und komplizierte Arbeit der Restauratoren. Hunderte kleinste bemalte Fragmente wurden mühevoll geborgen, gefestigt und sind hier dem Bild von dem rotbraunen Tier zugesellt.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. kündigten sich für die Geschichte Zentralasiens wichtige Veränderungen an. Die Stämme der Yuezhi waren aus ihrer Heimat in Nordwestchina vertrieben worden. Die Reiternomaden zogen bis zum Syrdarja und siedelten sich 162 v. Chr. am Nordrand des Griechisch-Baktrischen Reiches an. Als dieses in der Jahrhundertmitte zerfiel, übernahmen fünf Stämme (oder Fürstentümer) der Yuezhi Land und Macht und allmählich auch den hiesigen Lebensstil. Aus Nomaden wurden sesshafte Bauern und Händler.

Die Kuschan, einer dieser Stämme, setzten sich durch und begründeten zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Reich, das zur stärksten Macht in Zentralasien und Nordindien aufstieg. Die Verwaltung übernahm man von den Vorgängern. Münzen aus Gold, Silber und Bronze zeigen Herrscher- und Götterbilder nach griechischem Vorbild. Der Fernhandel entlang der Seidenstraße brachte Einfluss und Reichtum. Die Blütezeit des Reiches der Kuschan lag im 2. Jahrhundert n. Chr. unter König Kanischka I. (ca. 127–150). Es reichte vom Kaspischen Meer über Afghanistan bis zum Ganges und war geprägt von persischen, griechischen und nun auch indischen Einflüssen in Alltag, Kultur und Religion. Gerade letzteres war für die Zukunft von großer Bedeutung.

Die Lehren des Buddha Siddhartha Gautama (um 500 v. Chr.) fanden unter dem indischen König Ashoka I. im 3. Jahrhundert v. Chr. starke Verbreitung. In Gandhara (zwischen Hindukusch und Indus) erfuhr die buddhistische Kunst eine erste Blüte. Buddha wurde damals noch nicht in Menschengestalt, sondern symbolhaft dargestellt: der Bodhi-Baum, das Dharmachakra (Acht-Speichen-Rad) oder die Lotusblüte. Architektonisches Symbol war der Stupa, ein halbkugelförmiger Bau zur Aufbewahrung von Reliquien.

Im Kuschan-Reich erlebten Gandhara und die buddhistische Kunst nun unter Kanischka ihre zweite Blüte, der Buddhismus wurde zur vorherrschenden Religion in Zentralasien. Jetzt formte sich das bis heute bekannte Bild Buddhas heraus. Dabei orientierten sich die Bildhauer teilweise auch an antiken Vorbildern: Das gelockte Haar meint man von Statuen des griechischen Gottes Apollon zu kennen, und das beide Schultern bedeckende Mönchsgewand erinnert an eine antike Toga.

Schon im Griechisch-Baktrischen Reich sollen nach dem griechischen Geografen Strabon tausend Städte existiert haben. Im Kuschan-Reich blühte das Land weiter auf. Zahlreiche Städte mit Palästen, buddhistischen Tempeln und Klöstern prägten das Land. Ausgrabungen haben bisher über 210 solcher Anlagen freigelegt. Die Ausstellung stellt einige einzigartige Beispiele vor.

Alt-Termiz an der Grenze zu Afghanistan avancierte zu einem bedeutenden wirtschaftlichen und religiösen Zentrum. Die Erforschung der Stadt mit Hafen, Palast, Wohn- und Wirtschaftsvierteln ist durch die spätere Überbauung erschwert. Aber der nördlich der Stadt liegende Klosterkomplex von Fayaztepa konnte vollständig freigelegt, konserviert und restauriert werden. Im Innern liegt ein großer Innenhof, von Säulenhallen umgeben. Die Säulen trugen korinthische Kapitelle mit spiralförmigen Voluten und Akanthusblättern, eine in der griechischen Architektur bekannte Form. In der Ausstellung ist aus dem benachbarten Kloster Karatepa ein solches Kapitell aus Stein zu sehen. Dort wurde auch ein Relief gefunden, das den meditierenden Buddha sitzend vor einem Bodhi-Baum zeigt. Zu beiden Seiten stehen zwei kleinere Mönchsfiguren. Die Figuren aus Kalkstein waren einst in Gold gefasst – ein Meisterwerk buddhistischer Bildhauerkunst mit hellenistischen Bezügen.

Im Süden des heutigen Usbekistans wuchs aus einer griechisch-baktrischen Festung im Kuschan-Reich die 40 Hektar große Stadt Dalverzintepa. Im Handwerkerviertel arbeiteten geschickte Töpfer, Schmiede, Maler. Kostbare Importe aus Rom (Glas) und Indien (Elfenbein) unterstreichen die Bedeutung der Stadt im Fernhandel und den Reichtum ihrer Bewohner. In einem großen Gebäude im Stadtzentrum, reich geschmückt mit Wandmalereien, war Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. ein Tongefäß vergraben, angefüllt mit mehr als 35 Kilogramm Gold. Es ist der größte Hortfund in Zentralasien, darunter Goldbarren, güldene Ohrringe, Armreife, Ketten sowie ein Brustschmuck. Schaut man genau hin, entdeckt man auf einigen Barren eine indische Inschrift, »Gegeben durch den Gott Mithra«, und eingestempelte Zahlen, Gewichtsangaben. Im Norden der Stadt standen in einem Tempel einst mehrere überlebensgroße Buddha-Statuen. Eine 38 Zentimeter messende, rot bemalte Hand war Teil einer solchen drei Meter großen Sitzstatue. Gefunden wurde dort auch der Kopf eines »Prinzen der Kuschan« mit einem hohen, spitz zulaufenden Hut.

Den spektakulären Abschluss der Ausstellung bilden die Entdeckungen in Chaltschajan. Hier erbauten die Yuezhi im 1. Jahrhundert v. Chr. einen großen Palast mit zahlreichen Statuen und Wandmalereien. Die zentrale Szene zeigt einen auf dem Thron sitzenden König, flankiert von seiner Gattin und dem Thronfolger. Ein Streitwagen ist zu sehen, gelenkt von einer Frau, eventuell der einheimischen Göttin Asha. Interessant hier: Es sind aber griechische Götter, Herakles, Athena und Nike, die auf die orientalische Herrscherfamilie herabblicken. Mit einer filmischen Rekonstruktion des Palastes und seines farbigen Figurenschmuckes endet die eindrucksvolle Ausstellung.

»Archäologische Schätze aus Usbekistan. Von Alexander dem Großen bis zum Reich der Kuschan«, James-Simon-Galerie und Neues Museum auf der Berliner Museumsinsel, bis 14. Januar 2024; Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr, Mo geschlossen. Katalog (Kadmos, 448 S., 550 Abb., 39 €).

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