Internationaler Währungsfonds: »Streicht die Schulden!«

François Kamate über den Gegengipfel zum Internationalen Weltwährungsfonds in Marrakesch

  • Interview: Nico Graack
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Kampagne Debt for Climate (Schuldenerlass für das Klima) fordert die totale Streichung der Staatsschulden der Länder des Globalen Südens. Wie wirkt sich die Verschuldung auf die Entwicklung der Demokratischen Republik Kongo (DRK) aus?

Das Schuldensystem ist eines der vielen Probleme, mit denen wir hier umgehen müssen. Aber kurz vorweg: Die DRK ist ein Land, das alles hat, was es zum Überleben braucht – wir haben immense Vorkommen an Bodenschätzen, wir haben frisches Wasser, wir sind nach dem Regenwald im Amazonas die zweite grüne Lunge der Welt. Und doch sind die Menschen in meinem Land nach wie vor mit die ärmsten auf dem Planeten – das ist ein Skandal! Zu den Schulden muss gesagt werden, dass ein Großteil davon schlichtweg einen verbrecherischen Ursprung hat: Nachdem die belgischen Kolonialherrscher abgezogen sind, wurden ihre Schulden einfach dem neuen Staat übergeholfen.

Und unter dem Liebling des Westens, dem Diktator Mobutu, der von 1965 bis zu seinem Sturz 1997 das damalige Zaire regierte, blieb alles beim Alten?

Es wurde schlimmer: Zu Zeiten Mobutus wurden immense Kredite beim Internationalen Währungsfonds aufgenommen, die nur dem Regime dienten. Sie waren mit harschen Kürzungen in den Sozialsystemen und bei den Investitionen – den berüchtigten »Strukturanpassungsprogrammen« – verbunden. Die westlichen Großmächte hinter IWF und Weltbank haben also alles getan, um, sagen wir, Herrn Mobutu alles zu geben, was er wollte. Denn wir wissen, dass es diese Großmächte waren, die versuchten, Mobutu zu schützen. Es waren diese Großmächte, die Mobutu Geld gaben, damit er die Bergbauressourcen des Kongo ausbeuten konnte, ohne die Integrität des Lebens der Kongolesen zu respektieren.

Und heute?

Heute verhindert die Schuldenlast weiterhin genau diese Staatsaufgaben, die wir eigentlich bräuchten – die Schulden strangulieren unsere Wirtschaft, und der einzige Weg ist dann der weitere Raubbau an der Natur. Das steht in einer Linie mit Mobutus Politik: Vor nicht allzu langer Zeit, im Juni 2022, hat der Präsident der Demokratischen Republik Kongo beschlossen, 27 Öl- und Gasblöcke zu verkaufen, die in gefährdeten Schutzgebieten liegen. Und vor nicht allzu langer Zeit hat er selbst während der Klimakonferenz COP26 behauptet, dass er nun alles tun wird, um die biologische Vielfalt zu erhalten, um all den Reichtum zu bewahren, den wir in der Demokratischen Republik Kongo haben. Aber überall sehen wir die Zerstörung: Im Zentralkongo wird Öl gefördert, mit katastrophalen Konsequenzen für die lokalen Gemeinschaften: Wasserverschmutzung, Krankheiten, lang anhaltende Dürreperioden, Erosionen, Überschwemmungen und all das. In Nord-Kivu, wo ich herkomme, gibt es Minen mit den gleichen Auswirkungen. Die großen Finanzorganisationen und internationalen Firmen, die hier verdienen, denken nicht eine Sekunde an das Leben der kongolesischen Menschen.

Welche Rolle spielt der Gegengipfel in Marrakesch?

Der Gegengipfel ist Gold wert. Das ist ein Raum, in dem wir all das herausschreien müssen, was wir als Menschen, die auf diesem Planeten leben, übrig haben! Wir werden die Großmächte mit ihren eigenen Entscheidungen konfrontieren – zum Schutz der verschuldeten Länder, die am heftigsten unter den Folgen des Klimawandels leiden, zum Kampf gegen die Klimakatastrophe und so weiter. Der IWF/Weltbank-Gipfel ist mal wieder schon im Voraus eine einzige Enttäuschung. Die Menschen in der DRK haben nie von all dem profitiert, was bei solchen Treffen entschieden wird. Aber der Gegengipfel gibt uns eine Möglichkeit, unsere Stimmen hörbar zu machen. Wir sind dabei, alles, was wir haben, als Botschaft an die Organisatoren des Gegengipfels zu übermitteln. Wir sagen ihnen ganz offen, dass dieser Gipfel unsere letzte Chance ist.

Sind Sie selbst in Marrakesch vor Ort?

Nein. Ich beteilige mich an den globalen Aktionstagen von Debt for Climate. Diese Kampagne ist geboren aus den Sorgen der verschuldeten, ausgebeuteten Ländern der Welt. Wir fordern unmissverständlich: Streicht die Schulden, um die elende Extraktion von Öl, Metallen und so weiter zu stoppen! Vom 12. Oktober an planen wir die jungen Menschen, die kongolesischen Frauen und Männer zu mobilisieren, damit sie anfangen, die Frage nach dem Klimawandel zu stellen und sie mit der Schuldenfrage zu verbinden. Wir fordern die Welt auf, uns zuzuhören!

Und wer zuhören will, was kann der tun?

Na, zunächst ist es doch ganz klar, dass auch der Globale Norden ein großes Interesse daran haben müsste, unsere Stimmen zu verstärken: Es geht hier um das Leben aller jetzigen, aber auch künftigen Generationen! Und wir fordern den Entzug aller Genehmigungen, die internationalen Firmen erteilt wurden, um hierherzukommen und Öl oder Mineralien auszubeuten. Wenn wir das tun, betrifft das die Menschen im Globalen Norden genauso, wie wenn wir die Streichung der Schulden ihrer internationalen Organisationen fordern – das ist auch euer Kampf, das sind eure Organisationen und Firmen! Die Kongolesen haben es satt, und so bitte ich die Welt, ich bitte alle aus der ganzen Welt, sich uns anzuschließen! Damit wir endlich die Streichung der Schulden und der Fördergenehmigungen erreichen und, wenn der Kampf vorbei ist, endlich in einer Welt leben können, in der es keine Umweltverschmutzung gibt.

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