- Politik
- Konferenz zur Zukunft der EU
EU: Janusköpfige Wertegemeinschaft
Die Ebert-Stiftung ließ über die Zukunft einer militärisch wie wirtschaftlich autarkeren EU debattieren
So viele Fachleute, so viele hochqualifizierte Debatten – und doch: Am Ende dominierten merkwürdig hilflose Appelle, die EU, die wie üblich so vereinnahmend hier wie ausschließend dort »Europa« genannt wurde, durch geschicktes Erzählen von ihren Werten und Chancen wieder attraktiver zu machen. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hatte am Dienstag zu ihrer Tiergartenkonferenz geladen, längere Referate waren SPD-Chef Lars Klingbeil, EU-Parlamentarierin Katarina Barley und dem FES-Vorsitzenden Martin Schulz, Ex-Kanzlerkandidat und Ex-Präsident des Europaparlaments, vorbehalten.
Unter dem Motto »Zeitenwende: Chance für ein stärkeres Europa?« wurde über Sicherheitspolitik und Aufrüstung, »Resilienz« gegenüber antidemokratischen Entwicklungen und den Weg zur Wirtschaftsunion gesprochen. Barley sagte zum Thema Narrative: »Wir müssen stärker emotionalisieren.« Gemeint war der Kampf um die Köpfe der EU-Bürger, die, so Klingbeil, den Staatenbund, »immer mehr als Belastung« sähen. Barley möchte gern vermitteln: »Es steckt ganz viel Herz in Europa.«
Sie plädierte dafür, dass jede Person in der EU die Gelegenheit haben müsse, eine Zeitlang in einem anderen Mitgliedsstaat zu leben, dass mehr Austausch beim Erlernen von Sprachen her müsse, damit der Wert dieser Union erlebbar sei.
Hier wie an vielen anderen von Barley angesprochenen Punkten handelt indes die gegenwärtige Bundesregierung unter Führung eines SPD-Politikers in einer Weise, die solchen Zielen zuwiderläuft. So setzt die Ampel-Koalition auch bei der internationalen Verständigung den Rotstift an. Allein in Frankreich werden drei Standorte des Goethe-Instituts geschlossen, das Kenntnisse über Kultur und Sprache Deutschlands vermittelt.
Hinter verschlossenen Türen dürfte es auch bei den Gesprächen zwischen der deutschen und der französischen Regierung in Hamburg Kritik an diesem Vorgang gegeben haben. Bundeskanzler Olaf Scholz beteuerte am Dienstag auf einer Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Deutschland wolle sich weiter »kräftig« für Spracherwerb und kulturellen Austausch engagieren. Trotz der Schließung der Standorte werde es »eine starke Präsenz des Goethe-Instituts in Frankreich auch in Zukunft geben«.
Barley mahnte unterdessen auch: »Wir dürfen die Narrative der Rechten nicht übernehmen.« Das helfe nicht, wie zuletzt auch die Landtagswahlen in Bayern und Hessen am Sonntag gezeigt hätten. Zugleich sei die Rechte auf EU-Ebene in alarmierendem Maße erstarkt, seit auch in Italien, Schweden und Finnland Koalitionen unter Beteiligung oder gar unter Führung Rechtsextremer an der Macht seien. Sie alle hätten auch das Recht, EU-Kommissare zu stellen. »Weil Kommission und Rat kippen werden oder schon gekippt sind, ist es nur noch das Europäische Parlament, das ein Korrektiv sein kann«, sagte Barley.
Tatsächlich folgen auch die SPD und Grüne rechten Narrativen, wenn auch sie die Notwendigkeit einer rigideren Flüchtlingspolitik betonen. Auf der Tagung warnte Lars Klingbeil vor einem Scheitern der gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik (GEAS). Die »Reform« des Asylsystems der EU sorgt unter anderem für mehr Internierungen von Geflüchteten in Lagern an den Außengrenzen, für noch mehr Patrouillen der Grenzagentur Frontex zwecks Verhinderung von Einreisen.
Der als Fachmann für Resilienz geladene Soziologe Matthias Quent machte auf das mit solchen politischen Positionierungen verbundene Problem aufmerksam. »Die europäischen Werte ertrinken jeden Tag im Mittelmeer«, sagte er. Deshalb sei es schwierig, sie glaubhaft als Vorbild für die Welt zu propagieren.
Gleichzeitig sprach sich Klingbeil für eine Vertiefung und Erweiterung der EU aus. Nach 30 Jahren erfolgreichen Binnenmarkts – dieser gewährleistet den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen – solle nun die Grundlage für »die nächste Generation Binnenmarkt« gelegt werden. Außerdem plädierte Klingbeil für eine schnelle und umfassende EU-Erweiterung. »Ukraine, Moldau, alle Staaten des westlichen Balkans, perspektivisch auch Georgien – das ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Frieden in Europa«, sagte er. Die Sicherheit Europas lasse sich nicht ohne die Zukunft des von Russland angegriffenen Landes denken.
Selbstredend nahm auch die militärische Ertüchtigung der EU breiten Raum auf der Konferenz ein. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, betonte, die EU müsse eigenständig militärisch agieren und sich verteidigen können. Folglich müsse sie mehr »rüstungstechnologische Fähigkeiten« vorhalten und deren Ausbau fördern.
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