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Türen zur jüdischen Baracke repariert
Lehrlinge aus Bremen und Hennigsdorf sanieren die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
Die klassischen Fähigkeiten eines Industriemechanikers sind hier nicht gefragt. Aber sie lernen in ihrer Ausbildung immerhin auch Schweißen, und handwerkliches Geschick ist bei allen möglichen Reparaturen hilfreich. So sind neben Metallbauern, Malern, Glasern, Dachdeckern und einem Fliesenleger dieses Jahr auch Industriemechaniker dabei, die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zu sanieren. Seit Montag machen sich Lehrlinge des Bremer Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße und des Eduard-Maurer-Oberstufenzentrums im brandenburgischen Hennigsdorf in der Gedenkstätte nützlich. Sie tun es noch bis Freitag und freiwillig. Die Jugendlichen aus Bremen zahlen sogar 140 Euro aus eigener Tasche für die Unterbringung in der Jugendherberge. Die aus Hennigsdorf haben keine weite Anfahrt und brauchen keine Übernachtung.
»Lernen und Arbeiten im ehemaligen KZ Sachsenhausen« heißt das in den 90er Jahren angelaufene Projekt. Nun sind bereits zum 26. Mal Lehrlinge aus Bremen da und zum 24. Mal die Lehrlinge vom Hennigsdorfer Oberstufenzentrum. Aus Bremen sind es diesmal 29 junge Männer und Frauen, von Hennigsdorfer Seite 18. Allein in Bremen hatten sich mehr als 50 gemeldet, die gerne mitgewollt hätten. Doch so viel Platz sei nicht in der Jugendherberge, bedauert Berufsschullehrerin Katrin Graf. Ihr liegt das Projekt sehr am Herzen, genauso wie ihrem alten Klassenlehrer Peter Herbst. Der ist schon vor 20 Jahren in Rente gegangen, inzwischen 81 Jahre alt und engagiert sich immer noch. Herbst ist seit den 90er Jahren fast jedes Mal mitgekommen nach Sachsenhausen.
So mancher Lehrling wäre während seiner Ausbildung gern zweimal mitgefahren. Aber andere sollen auch die Möglichkeit erhalten. »Das ist wirklich sehr nachhaltig, dieses Projekt. Es wirkt. Diese eine Woche ist sehr präsent«, berichtet Lehrerin Graf. Aus ihren drei Jahren Berufsausbildung erinnerten sich die jungen Leute später an diese fünf Tage noch sehr genau, erläutert sie. Zuweilen trifft Graf ehemalige Berufsschüler auf der Straße. Die erzählen ihr dann, sie seien mit ihrer Familie noch einmal nach Sachsenhausen gefahren, um den Angehörigen die Gedenkstätte zu zeigen und das, was sie da gemacht haben.
Und das ist nicht wenig. Auch dieses Jahr waren die jungen Leute wieder sehr fleißig. »Wir haben einigermaßen gut was geschafft«, sagt Malerlehrling Asadullah Nikzad viel zu bescheiden. Er ist zufrieden und Sharina Blendermann ist es auch. Sieben schon im vergangenen Jahr aufgearbeitete Holzfenster an der alten Häftlingswäscherei haben jetzt den noch fehlenden zweiten Anstrich bekommen. Bei fünf weiteren Fenstern sind die Glaser fast mit dem Einsetzen neuer Scheiben fertig. Die Rahmen müssen dann noch von den Malern lackiert werden.
Warum Blendermann und Nikzad sich an dem Projekt beteiligen? »Ich hatte Interesse, etwas instand zu setzen, damit es erhalten bleibt«, antwortet Blendermann. Es kämen ja auch die Nachfahren der Opfer, um an ihre Angehörigen zu erinnern. Da solle die Gedenkstätte in einem vernünftigen Zustand sein. Die 24-Jährige hörte als Kind von ihrer Urgroßmutter vom Zweiten Weltkrieg. Und als Kind besichtigte sie die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Jetzt, in Sachsenhausen erlebt Sharina Blendermann so etwas das erste Mal als Erwachsene. Es gab am Montag eine Führung für die Lehrlinge über das Gelände. »War schon bedrückend«, sagt Blendermann. Sie findet es gut, mehr zu erfahren. »Man lernt ja nie aus.«
Dem ebenfalls 24 Jahre alten Asadullah Nikzad ist es wichtig, nicht nur als Besucher hier zu sein und sich alles anzusehen, sondern tatkräftig zu helfen. »Ich finde es super-, supergeil, nicht nur zu gucken, sondern auch was zu machen«, schwärmt er.
An den einzelnen Einsatzorten präsentieren die Lehrlinge am Donnerstag stolz, wie weit sie seit Montag gekommen sind, so auch an der jüdischen Baracke 38. Es ist unter den historischen Gebäuden eine der wenigen Häftlingsbaracken, die noch erhalten sind. Darum streben die Besucher der Gedenkstätte fast automatisch dorthin, weil sie so etwas einmal sehen wollen. Es entspreche ihrer Erwartung von einem Konzentrationslager, erklärt Horst Seferens, Sprecher der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten. »Die Reisegruppen sehen sich die jüdischen Baracken immer an«, sagt er.
Ständig öffnen sich zwei Türen. Menschen strömen rein und raus. An den Türen geht diese hohe Belastung nicht spurlos vorüber. Sie wackelten schon bedenklich. Nun haben die Metallbaulehrlinge und die angehenden Industriemechaniker das Problem behoben. Die zwei Türen schließen wieder einwandfrei.
Nicht weit entfernt am Zellenbau gibt es einen gemauerten Schacht, der zu einem unterirdischen Raum führt. Vermutlich sei das einst ein Luftschutzbunker für die SS-Wachen gewesen, erläutert Seferens. Die Metallabdeckung des Eingangs war verrostet und kommt nun auf den Schrott. Die Lehrlinge haben eine neue Abdeckung gebaut. Die ist jetzt mit Plexiglas versehen, was einen Einblick in den Schacht erlaubt.
Die alte Abdeckung hatte kleine Löcher. Leider steckten da Raucher ihre Zigarettenkippen hinein. »Auch Münzen haben wir letztes Jahr unten jede Menge gefunden«, berichtet Berufsschullehrer Mario Hoffmann. Es seien US-amerikanische Dollar und Cent dabei gewesen, Dänische Kronen, sowjetische Rubel und Kopeken, polnische Złoty und Groszy sowie Mark und Pfennige aus der DDR. Weil Währungen von Staaten dabei waren, die nun schon lange nicht mehr existieren, kann man sich vorstellen, wie lange niemand mehr in den Schacht geklettert war.
Etliche Lehrlinge schauen sich nun in dem alten Bunker um, der nicht sehr groß ist. Leider passierte beim Ausmessen ein Missgeschick. Jemand hatte sich falsche Abmessungen notiert. Nun passt die Abdeckung nicht 100-prozentig. Doch die Lehrlinge, die von ihren Ausbildern den Freiraum erhalten, selbst die beste Lösung zu suchen, finden zwei Auswege: entweder ein Stück vom Beton wegstemmen oder etwas von der Abdeckung wegfräsen.
Die Maurer wären mit dem Stemmen schneller fertig als die Metallbauer mit dem Fräsen. Aber an der originalen Betoneinfassung des Schachts etwas zu verändern, das würde gegen die Bestimmungen des Denkmalschutzes verstoßen, denen das gesamte Areal unterliegt. Also wird die Abdeckung passend gemacht.
Die Industriemechaniker erfüllten derweil ihren Arbeitsplan für die Woche schon vorfristig. Sie bekamen deshalb den Auftrag, den Platz vor dem Lagereingang zu begradigen. Dort befand sich einst die SS-Kommandantur. Die SS machte es sich in dem kleinen Waldstück schön. Es ist ein seltsamer Kontrast zum Grauen, das die Häftlinge wenige Schritte weiter erleben mussten. Die Wurzeln der Bäume, die teils schon seit der Nazizeit hier stehen, drücken die erst bei der Gestaltung der Gedenkstätte zu DDR-Zeiten verlegten Pflastersteine nach oben. So entstehen Stolperfallen, die besonders betagten Gästen gefährlich werden könnten.
Metallbau- und Industriemechanikerlehrlinge entfernen jetzt Pflastersteine an den bewussten Stellen, hacken Wurzelstücke weg und passen die Steine wieder glatt ein. Das ist gar nicht so einfach. Denn kein Stein ist wie der andere. Es ist ein richtiges Puzzlespiel. Am Mittwoch mussten die jungen Männer an einer Stelle zuletzt sogar alle Steine wieder herausholen und neu verlegen, weil die letzten zwei einfach nicht passen wollten.
Im Plan sind derweil die Tischler und Zimmerleute, die ein Flügeltor im alten Industriehof erneuern. Während Lehrlinge die Holzlatten auf dem Rahmen des einen Flügels festschrauben, versichern der 19-jährige Lenadro Pflau und die 22-jährige Lara Domke, dass auch der andere Flügel noch am Donnerstag fertig werde. Dann müssten am Freitag die Maler ran und das Holz lackieren.
140 Euro zahlen die Bremer wie gesagt aus eigener Tasche. 300 Euro müssten es sein, um alle Kosten zu decken, erläutert ihre Lehrerin Katrin Graf einmal mehr. »Aber so viel kann ich von Auszubildenden nicht verlangen.« Das Projekt ist in der Vergangenheit mehrfach ausgezeichnet worden. Das Preisgeld wurde zur weiteren Finanzierung eingesetzt. Aber nun sind die Reserven langsam aufgebraucht. Sie reichen überhaupt nur deswegen noch für das kommende Jahr, weil eine Dachdeckerfirma eine beträchtliche Summe spendete.
Ein Fernsehsender hatte in Bremen über das Projekt berichtet. In dem Beitrag kam auch ein Lehrling dieser Dachdeckerfirma vor. Darüber habe sich der Chef, dem das Projekt auch sonst wichtig sei, so gefreut, dass er Geld dazugegeben habe, berichtet Graf. Sie würde sich freuen, wenn andere Unternehmen nachziehen.
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