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LNG-Infrastruktur auf Rügen: Von wegen Gasmangellage
Die auf Rügen entstehenden Terminals für den Import von Flüssigerdgas werden laut einer Studie für die Versorgungssicherheit nicht gebraucht
Die LNG-Terminals, die zurzeit auf der Ostsee-Insel Rügen errichtet werden, sind nicht nur natur- und klimaschädlich, sondern auch energiewirtschaftlich nicht notwendig. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH). LNG steht für Liquefied Natural Gas, ist also verflüssigtes Erdgas. In Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine will die Bundesregierung bisherige Gaslieferungen aus Russland durch LNG-Importe ersetzen.
»LNG ist größtenteils noch dreckiger als Pipeline-Gas«, sagt Fabian Präger zu »nd«. Er ist Mitautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik der Technischen Universität (TU) Berlin, das in einer Forschungsgruppe mit dem DIW im vergangenen halben Jahr an der Untersuchung gearbeitet hat. Natürlich ist die Verbrennung jedes Erdgases klimaschädlich, betont Präger. Doch LNG ist besonders problematisch, weil es in der Regel durch Fracking gewonnen wird, häufig in den USA. Fracking stellt dort eine große Belastung für Natur und Grundwasser dar. Außerdem ist die Verfrachtung mit vielen energieintensiven Prozessschritten verbunden, bei denen auch das Treibhausgas Methan entweicht.
Dennoch brachte die Bundesregierung im Mai 2022 das LNG-Beschleunigungsgesetz auf den Weg, das zunächst die zügige Einrichtung von Flüssiggas-Terminals im niedersächsischen Wilhelmshaven, im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel und im mecklenburg-vorpommerschen Lubin bezweckte. Inzwischen ist als Standort für zwei schwimmende Terminals auch der Hafen von Mukran auf Rügen in das Gesetz aufgenommen worden. »Beschleunigt« bedeutet dabei unter anderem, dass auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet wird. Für Rügen ist das vor allem deswegen fatal, da die dortigen Terminals mit denen in Lubin verbunden werden sollen – über eine 50 Kilometer lange Pipeline mitten durch das hochsensible Ökosystem Greifswalder Bodden. Beide Standorte werden vom Gaskonzern Deutsche Regas betrieben.
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Das Gesetz rechtfertigt die von Expert*innen erwarteten Umweltschäden mit der Versorgungssicherheit. Eine Gasmangellage in diesem Winter soll unbedingt vermieden werden, da noch immer rund die Hälfte der deutschen Privathaushalte mit Erdgas heizt. Aber ist die Angst vorm Frieren überhaupt gerechtfertigt? »Angesichts der Entspannung auf den deutschen und europäischen Erdgasmärkten, sowie der auskömmlichen Versorgung mit Erdgas ist die im Herbst 2022 befürchtete Gasmangellage nicht eingetreten und wird nach aktuellem Stand der Entwicklung auch im Winter 2023/24 nicht auftreten«, heißt es dazu in der Studie.
Die Verbräuche seien gesunken und die Gasspeicher, die zum Zeitpunkt des russischen Überfalls auf die Ukraine Anfang 2022 sehr niedrig gewesen seien, kontinuierlich aufgefüllt worden. Anstelle von russischen Gasimporten, die spätestens mit den Anschlägen auf die beiden Nordstream-Pipelines eingestellt wurden, spielen Importe aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien inzwischen die dominierende Rolle bei der Versorgungssicherheit. Einen kleineren Teil tragen die drei bereits bestehenden LNG-Terminals bei. Genau wie zu Beginn der letzten Heizperiode seien die Gasspeicher aktuell nahezu vollständig gefüllt. »Das fossile LNG-Projekt Mukran wird weiterhin nicht dringend zur Vermeidung einer Gasmangellage im Winter 2023/24 benötigt«, schlussfolgert Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie-Verkehr-Umwelt am DIW.
Tasächlich »gab es in Deutschland nie eine Gasmangellage«, stellt Fabian Präger klar. Die zuständige Bundesnetzagentur wolle Deutschland jedoch auch für Extremszenarien absichern, bei denen folgende Bedingungen erfüllt wären: ein überdurchschnittlich kalter Winter, eine Sprengung oder vergleichbare Sabotageakte an wichtigen Importrouten wie den Pipelines aus Norwegen und eine geringere Bereitschaft der Industrie und Haushalte zu sparen. Nur unter diesen drei Voraussetzungen könnte es sein, dass die Rügener LNG-Terminals für die Versorgungssicherheit in diesem Winter notwendig wären. In den folgenden Wintern sollte aufgrund des zunehmenden Ausbaus erneuerbarer Energien ohnehin immer weniger Erdgas zur Wärmeerzeugung nötig sein.
Andersherum könnte die Schaffung neuer Gasinfrastruktur die Wärmewende jedoch ausbremsen. »Wenn man sich mit zu viel LNG absichert, besteht die Dringlichkeit zur Wende ja nicht«, erklärt Präger. Außerdem würden teure Terminals und Pipelines nicht nur für einen unter Extremsituationen kritischen Winter errichtet. Wenn die Infrastruktur einmal verbaut ist, werde sie potenziell bis Ende ihrer gesetzlichen Nutzungsdauer genutzt, laut LNG-Beschleunigungsgesetz also bis 2043. Es würde zu Überkapazitäten an Gas kommen. »Diese Perspektiven sind durch das LNG-Beschleunigungsgesetz nicht gedeckt«, heißt es in der Studie.
Deshalb wird das Projekt zudem mit dem Argument legitimiert, dass die Terminals zukünftig auf klimafreundliche Energieträger wie Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Der Haken dabei: Die schwimmenden Terminals »eignen sich grundsätzlich nicht zur Anlandung von Wasserstoff und können auch nicht sinnvoll dafür umgerüstet werden.« Sie würden eine sozial-ökologische Transformation auf Rügen eher behindern und seien nicht mit den Nachhaltigkeitszielen der Region vereinbar.
Laut LNG-Beschleunigungsgesetz ist die neue Gasinfrastruktur dennoch mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vereinbar – trotz klimaschädlicher Emissionen und Eingriffen in den Lebensraum Ostsee. Die womöglich preismindernde Wirkung eines größeren Gasangebots wird mit dem Nachhaltigkeitsziel »Zugang zu nachhaltiger und sauberer Energie« identifiziert. »Das ist ein Missbrauch dieser Ziele«, findet Präger. Diese würden laut Studie »auf fragwürdige Weise für einen wirtschaftlichen Vorteil in Deutschland uminterpretiert, anstatt es denjenigen Ländern zur Verfügung zu stellen, denen der generelle Zugang zur Energieversorgung noch fehlt«.
Zwar müssen aus geopolitischen Gründen auch osteuropäische Länder von Deutschland aus mit Gas versorgt werden. Doch dafür machen die Wissenschaftler*innen von DIW und TU Berlin in ihrer Studie einen Vorschlag, für den überhaupt keine neuen Pipelines verlegt werden müssen. Eigentlich gebe es in Deutschland nämlich schon genug Erdgasleitungen – die drei von vier werden jedoch nur von Osten nach Westen betrieben, weil das Gas bislang überwiegend aus Russland kam. Man könnte die Fließrichtung nun ändern. Das ist zwar mit Umbaumaßnahmen verbunden, doch immer noch einfacher, als eine komplett neue Infrastruktur zu schaffen.
Bis 2027 werden entsprechende Maßnahmen durchgeführt, sagt Präger. Viel zu spät, findet er: »Diese Netzentwicklungsmaßnahmen müssen nun höchste Priorität haben.« Langfristig sei die Versorgung Ostdeutschlands und Osteuropas auf diese Weise dennoch gesichert. »Das LNG-Projekt auf Rügen bekämpft ein Gespenst, das es nicht gibt«, schlussfolgert Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der auftraggebenden DUH. Es habe »mit faktenbasierter und verantwortungsbewusster Politik nichts zu tun«. Deshalb lautet der Appell der Studienautor*innen: »Die Bundesregierung sollte den Ausbau der LNG-Infrastruktur stoppen und die verfügbaren Finanzmittel stattdessen für Energiewende-kompatible Projekte verwenden«, wie Christian von Hirschhausen erklärt, der Forschungsdirektor des DIW.
Fabian Präger hat persönlich wenig Hoffnung, dass sich aufgrund der Studie tatsächlich Bundestagsentscheidungen ändern. Dafür seien mehr Akteure notwendig. Als Wissenschaftler sieht er seine Rolle darin, Fakten und verständliche Informationen zu liefern. So klagt die DUH inzwischen auf Grundlage der Studie gegen die LNG-Terminals – voraussichtlich werden diese aber schneller fertig gebaut als über die Klage entschieden werden kann, prognostiziert er. Andererseits könne es auch sein, dass die Deutsche Regas es in diesem Winter nicht mehr schafft, die Terminals in Betrieb zu nehmen. »Dann wäre erneut bewiesen, dass die Kapazitäten nicht gebraucht werden.«
Wichtig sei, dass Deutschland aus fossilem Gas aussteigt und die sozial-ökologische Transformation vorantreibt. Technisch möglich und fürs Klima notwendig wäre ein Ausstieg Mitte oder Ende der 2030er Jahren, sagt Präger. Allerdings sei dies »eher unrealistisch«. Es brauche den politischen und gesellschaftlichen Willen, eine andere Art zu produzieren und zu konsumieren. Spätestens die bewusst mit Falschinformationen geführte Debatte um das Heizungsgesetz habe klar gemacht: »Breite Teile der Gesellschaft können sich einen beschleunigten Erdgasausstieg noch nicht vorstellen.« Dennoch lohne es sich, darum zu kämpfen.
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