Räumung in Berlin: »Sich zu wehren, tut der Seele gut«

Berliner Polizei setzt trotz Widerstand Zwangsräumung in Kreuzberg um

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 4 Min.

Morgens um halb 9 in Kreuzberg: Aus einer Richtung rennen Aktivist*innen auf das Haus in der Nähe des Paul-Lincke-Ufers zu, von der anderen Seite nähern sich Polizeiwannen und Einsatzkräfte. Vor der Haustür kommt es zum Aufeinandertreffen. Durch Schubsen, Drücken und Zerren versuchen die Polizist*innen, die Unterstützer*innen vom Eingang zu entfernen. Das gelingt. Nichtsdestotrotz wächst die Zahl der gegen die Zwangsräumung Protestierenden nach diesem Auftakt in kurzer Zeit auf bis zu 80 Personen an.

Immer wieder kommt es zu wütenden Sprechchören und Parolen, Polizist*innen verdrängen wiederholt Aktivist*innen aus der Nähe des Eingangs. Gegen 9.40 Uhr trifft dann die Gerichtsvollzieherin vor Ort ein und wird zur Wohnung von Reinhard Stolzenberg eskortiert. Knapp 20 Minuten später tritt der nun wohnungslose Stolzenberg mit Begleitung aus der Haustür – er sieht traurig aus, winkt aber den Unterstützer*innen zu, die das mit der Parole »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr Reinhards Wohnung klaut« quittieren.

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Am Freitagmorgen hat die Berliner Polizei mit etwa 40 bis 50 Beamt*innen die Zwangsräumung der Wohnung des Kreuzberger Altmieters Reinhard Stolzenberg in der Manteuffelstraße 63 gewaltsam durchgesetzt. Während der Räumung wurden mehr als zehn Personen in Gewahrsam genommen und ihre Identitäten festgestellt. Sogar die Personalien eines Pressevertreters, der sich vor Ort ausweisen konnte, wurden aufgenommen. Betroffene berichteten später von abfälligen Kommentaren seitens der Einsatzkräfte.

Der 69-jährige lebte seit bereits seit 44 Jahren in seiner Ein-Zimmer-Altbauwohnung in der Manteuffelstraße. Seine Vermieterin Nafiseh H. hatte vor Gericht eine Räumungsklage erwirkt. Das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« beklagt, dass H. in den letzten Jahren viele Mieter*innen mit Eigenbedarfskündigungen vor die Tür gesetzt habe, danach aber weder sie selbst noch Angehörige von ihr in den oftmals zu Eigentumswohnungen transformierten Wohnungen lebten.

Vor Ort in Kreuzberg bei der Räumung war auch Kalle Gerigk vom Bündnis »Recht auf Stadt«. Für die Kundgebung ist er extra aus Köln angereist. Er hat im Jahr 2014 selbst eine Zwangsräumung erfahren, die von großen Protesten begleitet wurde. »Sich zu wehren, tut der Seele gut. Man geht mit einem anderen Gefühl.« Sich einfach verdrängen zu lassen, bringe einen in ein größeres Loch. »Die Solidarität war für mich nicht das Ende, sondern der Anfang, sich hier weiter für diese Bewegung einzusetzen«, so Gerigk im Gespräch mit »nd«. »Wenn ich hier Leute sehe, die damals bei meiner Zwangsräumung dabei waren, und ich sie heute wiedertreffe – da geht mein Herz auf.«

»Zwangsräumung verhindern« protestiert gemeinsam mit Betroffenen immer wieder berlinweit gegen die auf dem Wohnungsmarkt gängige Praxis. Statistisch gab es in Berlin im Jahr 2021 täglich mehr als vier Zwangsräumungen, nur wenige davon werden öffentlich durch Proteste begleitet. Im Fall des Kreuzberger Altmieters hatte das Bündnis zuletzt Mitte September in Steglitz-Zehlendorf vor einem Architekturbüro protestiert, von dem es hieß, dass dort die aktuelle Eigentümerin der Immobilie der Manteuffelstraße 63 wohne. Gefordert wurde dort unter den zahlreichen Blicken schaulustiger Nachbar*innen, dass die Räumung abgesagt werde.

Genau eine Woche vor der Räumung organisierte das Bündnis zudem eine »Videokundgebung« vor dem Haus von Stolzenberg, bei der Aufnahmen von Protesten gegen Zwangsräumungen der letzten Jahre gezeigt wurden. Wie sich am heutigen Freitag zeigte, half das aber alles nicht, um die Eigentümerin von der Räumung absehen zu lassen.

»Die Polizei war mit einem Riesenaufgebot hier und hat sich ziemlich brutal verhalten. Das kennen wir aber schon: Das Privateigentum wird einfach rücksichtslos durchgesetzt«, zieht Tim Riedel, Sprecher von »Zwangsräumung verhindern«, im Anschluss an die Proteste ein vorläufiges Fazit. Man müsse für andere gesellschaftliche Verhältnisse kämpfen, in denen Wohnraum keine Ware ist. »Wohnungen müssen für die Bedürfnisse gebaut werden und nicht für den Profit.« Solange es Zwangsräumungen gebe, will das Bündnis weiterhin dagegen aktiv werden.

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