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Preisexplosion in Argentinien

Mit der Inflation wächst auch die Armut – daraus schlagen Rechtspopulisten Profit

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

Argentiniens Inflationsrate bleibt im zweistelligen Bereich. Mit 12,7 Prozent im September ist sie zudem die höchste monatliche Teuerungsrate der vergangenen 32 Jahre. Bereits im August hatte sie im Monatsvergleich mit 12,4 Prozent erstmals die Zehn-Prozent-Marke überschritten, während sie seit Januar noch zwischen sechs und 8,4 Prozent schwankte. Für 2023 wird ein Preisanstieg von rund 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erwartet. Im Verhältnis dazu: In Deutschland wird eine jährliche Preissteigerungsrate von 4,1 Prozent vorhergesagt.

Die Inflation ist eines der zentralen Themen im Wahlkampf für die am kommenden Sonntag stattfindenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen. Sergio Massa, der zuständige Wirtschaftsminister und gleichzeitig Präsidentschaftskandidat des Regierungsbündnisses Unión por la Patria, wirkt nicht sehr glaubwürdig, wenn er bei seinen Wahlkampfauftritten verspricht, die Preissteigerungen zu bekämpfen. Warum erst als Präsident, warum nicht schon jetzt, fragen sich viele.

Mit einem Rückgang der Inflation ist indes nicht zu rechnen. Der Wert des argentinischen Peso befindet sich im freien Fall und steigende Importpreise in US-Dollar werden unmittelbar umgelegt. Vergangene Woche wurden in den klandestinen Wechselstuben erstmals mehr als 1000 Pesos für einen US-Dollar verlangt. Allein am vergangenen Dienstag verteuerte sich die US-Währung um 65 Pesos, seit Monatsbeginn waren es damit 210 Pesos.

Zwar können Importfirmen bei der Zentralbank den US-Dollar zum offiziellen Kurs von 350 Pesos verlangen, doch mangels Devisenreserven bleiben die Überweisungen der Zentralbank meist aus. Technisch gesehen ist die argentinische Zentralbank pleite. Die ohnehin angespannte Situation wurde zu Beginn des Jahres durch dürrebedingte Ernteverluste von 20 Milliarden Dollar bei den landwirtschaftlichen Exporten noch verschärft.

Angeheizt hatte den steilen Preisanstieg der rechte Präsidentschaftskandidat Javier Milei. Er hatte vorige Woche auf die Frage, ob man fällige Festgeldanlagen jetzt noch erneuern sollte, geantwortet: »Niemals in Pesos. Der Peso ist die von den argentinischen Politikern ausgegebene Währung. Er ist nur ein Exkrement und taugt als solches nicht einmal als Dünger.« Damit das Sparen in Peso nicht gänzlich zum Verlustsparen wird, hob die Zentralbank den Leitzins auf sagenhafte 133 Prozent an. Kreditfinanzierte Investitionen werden so illusorisch.

Mileis Wahlversprechen, das Finanz- und Wirtschaftssystem zu dollarisieren und die Zentralbank abzuschaffen, beherrschen seit Wochen den Wahlkampf. Der 52-Jährige erhielt bei den Vorwahlen im August die meisten Stimmen und hat gute Aussichten, der nächste Präsident Argentiniens zu werden. Meilei mag den Verfall des Pesos beschleunigt haben, doch die Ursachen liegen woanders.

Auf Anweisung der Regierung finanziert die Zentralbank das Defizit im Staatshaushalt – mangels Alternativen mit der Notenpresse. Im laufenden Jahr emittierte sie bereits zwölf Billionen Peso. Buntes Papier, das in einer seit Jahren in der Rezession steckenden Wirtschaft keinen materiellen Gegenwert hat. Wirtschaftsminister Sergio Massa hat die Emission noch beschleunigt, indem er Steuersenkungen und Bonuszahlungen an formell und informell Beschäftigte, Rentner*innen und Sozialhilfeempfänger*innen verordnet hat. Allein im September lieferte die Notenpresse 2,3 Billionen Peso.

Die Folgen der Krise sind verheerend. Zwar stiegen etwa die Löhne in den Jahren von 2016 bis 2021 um 446,5 Prozent. Doch mit 591,6 Prozent lag die Inflation deutlich darüber. Hinzu kommt, dass die Lebensmittelpreise meist stärker ansteigen als die durchschnittliche Teuerungsrate, was insbesondere die unteren Einkommensschichten trifft. Dadurch leben rund 40 Prozent der 46 Millionen Argentinier*innen trotz relativ geringer Arbeitslosigkeit unter der Armutsgrenze, wie aus den Zahlen für das erste Halbjahr 2023 hervorgeht. Die Zahl dürfte nun höher liegen.

»Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 2016 und mit über 40 Prozent die höchste Armutsquote der letzten 20 Jahre«, sagt der linke Wirtschaftswissenschaftler Claudio Katz. Dies sei die Folge eines seit Jahren vorherrschenden Anpassungsmodells, bei dem die Anpassung nicht durch eine staatliche Sparpolitik erfolge, sondern durch die Inflation. Dies komme einem Kaufkraftverlust der Einkommen gleich, erklärt Katz.

Es erscheint paradox, dass Milei von der Abwertung des Peso und der steigenden Inflation profitiert. Die Dollarisierung und die Abschaffung der Zentralbank würden Millionen Argentinier*innen weiter in die Armut treiben. Die Wut darüber scheint größer zu sein als während der schweren Wirtschaftskrise Ende 2001. »Que se vayan todos« (übersetzt: Alle sollen abhauen) lautete damals die Forderung. Ein rechter Populist, der verspricht, den Laden aufzumischen, stand damals nicht zur Wahl.

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