Brandenburgs »Ernährungsstrategie«: Kohl im Winter und Kantine

Gemeinschaftlich, gesund und nachhaltig: Brandenburgs »Ernährungsstrategie« erinnert an die DDR

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Nichts Geringeres als der Welternährungstag bot den Anlass für Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne), ihre vom brandenburgischen Kabinett mehrheitlich bestätigte »Ernährungsstrategie« einem ersten Praxistest zu unterziehen. Der Auftakt fand am Montag im Potsdam-Museum statt. Den wenigsten der dort Anwesenden wird dabei klar gewesen ein, dass die »Strategie« wesentliche Merkmale der Ernährung zu DDR-Zeiten enthält.

Der »Welternährungstag« werde seit 1979 begangen, wobei es in Brandenburg nicht um die Sicherung von Ernährung gehe, gab die Ministerin eingangs zu verstehen. Trotzdem gebe es auch in Brandenburg »Ernährungsarmut«. Nonnemacher sprach von »finanzschwachen Bevölkerungsgruppen«, die sich nach heutigen Begriffen falsch ernährten. Die Frage, ob die von ihr ausgerufene und angestrebte »Ernährungswende« die Nahrungsbeschaffung und -nutzung tatsächlich billiger macht, blieb jedoch zunächst offen.

Staatssekretärin Antje Töpfer erläuterte die drei Kernbereiche der neuen Strategie: die Ernährungsumgebung gesundheitsfördernd und nachhaltig gestalten (wobei vor allem die »Gemeinschaftsverpflegung« in den Blick genommen wird), regionale Wertschöpfungsketten bilden und die Ernährungskompetenzen der Menschen stärken.

Das Stichwort »Gemeinschaftsverpflegung« gibt Wasser auf die Mühlen derjenigen, die der derzeitigen Politik attestieren, Probleme zu lösen, die die Ostdeutschen zu DDR-Zeiten nicht hatten. Die Gemeinschaftsverpflegung war Kern der kollektivistischen DDR-Gesellschaft, sie kannte das Schulessen, das Essen in Krippe und Kindergarten, als es in Westdeutschland noch weitgehend unbekannt war. Das DDR-Arbeitsgesetz schrieb jedem Arbeitgeber vor, dass Beschäftigten ein Wahlessen in der Kantine anzubieten sei. Das beschränkte sich damals also nicht auf den öffentlichen Dienst und Verwaltungseinrichtungen, sondern war ein Recht aller Menschen, sofern sie einer Arbeit nachgingen. Und die Verpflegung ging weiter in den Wohngebietsklubs der Volkssolidarität, wo Rentner der Einsamkeit entfliehen und etwas essen konnten.

Die von Staatssekretärin Töpfer geforderten regionalen Wertschöpfungsketten bildeten den Kern der Lebensmittelversorgung in der DDR: Die Republik war von einem Wabensystem überzogen, darin war immer abgesichert, dass die Grundnahrungsmittel unweit von dem Ort produziert wurden, an dem sie auch verbraucht wurden. Das in Berlin (Ost wie West) angebotene Obst kam nicht aus Südafrika oder Südamerika, sondern »von nebenan« aus dem Havelländischen Obstanbaugebiet. Nach der Wende wurden die Plantagen abgeholzt.

Ministerin Nonnemacher war bei der Verkündigung ihrer »Ernährungswende« auch wichtig, dass der »saisonale« Charakter der Ernährung wieder ins Spiel kommen müsse. Das müsste dann heißen, frische Erdbeeren nur im Sommer und Rosenkohl im Winter zu essen – wie zu DDR-Zeiten. Seinerzeit wurden fast ausschließlich frische Lebensmittel verwendet, abgepackte und chemisch haltbar gemachte Fertigprodukte waren praktisch unbekannt. Die DDR-Frischmilch wurde – ungekühlt – sauer und konnte als Quark oder saure Sahne weiterverarbeitet werden.

Schließlich hob Staatssekretärin Töpfer hervor, es gelte, die »Ernährungskompetenz« der Verbraucher zu erhöhen, wobei vor allem die heranwachsende Generation in den Blick genommen werden müsse. Hierbei handelt es sich möglicherweise um den schwierigsten Teil des Unternehmens, denn an Appellen zur gesunden Ernährung fehlte es in den vergangenen 70 Jahren nicht. »Wir fangen nicht bei null an«, erklärte Nonnemacher. Sie erwähnte Initiativen zur regionalen Vermarktung und zum verstärkten Einsatz von Öko-Produkten. Genützt hat es nichts: Die Anzahl stark übergewichtiger Menschen in Brandenburg hat innerhalb der vergangenen zehn Jahre um 41 Prozent zugenommen.

Bleibt die Frage, ob die »Ernährungssarmut« auf solchen Wegen verringert werden kann. Denn Öko-Produkte kosten, und Bauern, die auf chemische Düngung verzichten, ernten im Schnitt 20 Prozent weniger auf ihrem Feld. Die Leiterin der Potsdamer Studenten-Mensen Michèle Paschke sagte, ein Zusatz von etwa einem Fünftel Öko-Lebensmittel beim Mensaessen könne »kostenneutral« erfolgen. Wer diesen Anteil steigere, müsse auch mehr Geld verlangen. Bei der Vorstellung der neuen Strategie unterstrich Ministerin Nonnemacher, mit konventionell hergestellten Lebensmitteln sei selbstverständlich auch eine gesunde und vielseitige Ernährung möglich.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.